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Deutsche Noman-Sibtiothek.
Er schüttelte nur um so lebhafter.
„Ich sehe aus den Grund Deiner Seele und sage: kein Engel ist so rein, — drum, Geliebte, wer Du auch seist, und was Du auch thatst, lege ich meine Ehre und Geschick vertrauensvoll in Deine Hände. Wie Du auch heißt und wer Du auch bist, — ich liebe Dich und begehre Dich zu meiuem Weibe!"
Ein Strom von Thränen brach da aus ihren Augen, sie schlang ihre Arme um seinen Hals und schluchzte vor Glück und Seligkeit.
„Du Edler... Du sollst es niemals bereuen!"
Und nun kam plötzlich ein wahrer Uebermuth über den sonst so ernsten Doktor, sein Auge leuchtete aus, er strich ihr über das Haar und die Wangen mit seinen großen, weichen Händen.
Welch' ein Ausbund von Schönheit sie wäre, sagte er ihr, und wie er von ihr gefesselt worden sei vom ersten Sehen an. Er wehrte der erröthenden, überseligen Elisabeth dann, ihm jetzt Erklärungen Zu geben, und rief: „Heute wollen wir glücklich sein, an nichts Anderes denken, als daß unsere Herzen sich gesunden haben und sich angehören wollen in Ewigkeit!"
Man bestellte dann Wein und ein leckeres Mahl, ging hinunter, um zu tanzen; sie suchte Marie aus, und dann saßen die Drei hernach glückselig bei einander, speisten und tranken und waren so glücklich, daß die Stunden wie im Fluge verstrichen.
Gegen Morgen erst stiegen sie in ihren Wagen.
„Wo soll ich Dich hinbringen?" fragte der Doktor.
„Nach dem Hotel Bellevue."
„Um elf Uhr erwarte ich Dich," sprach sie nach einer letzten Umarmung und eilte in's Haus.
„Aber die Tante!" rief der Doktor plötzlich heftig erschrocken ihr nach. — Erst jetzt fiel es ihm ein, daß man dieselbe in dem Taumel des Glückes ganz vergessen hatte, und daß diese nun ohne ihre Begleiterin war.
„Beunruhigen Sie sich nicht und träumen Sie süß," antwortete an ihrer Statt unter der warmen seidenen Kapuze hervor Marie Weruer, drückte ihm flüchtig die Hand und eilte hinterher.
Fünfunddreißigstes Kapitel.
Das war eine sehr unruhige Nacht, erst der späte Morgen brachte Schlaf, und als gegen zehn Uhr Elisabeth sich endlich erhob, hatte sie tiefe Schatten um die Augen. Gleich nach dem Frühstück ging Marie daran, sie schön zu machen, sie zu rüsten für die wichtige Stunde, und dabei redete sie ihr in Einem fort gut zu und beschwor sie lächelnd, wenn sie erst eine glückliche Frau wäre, ihr ebenfalls einen Maun zu verschaffen, am liebsten einen Freund des langen Doktors.
Mit weit weniger Furcht als ehedem sah Elisabeth jetzt dem Aussprechen mit dem Geliebten entgegen; während Jene plauderte, saß sie still mit einem tiefen, glücklichen Gefühl im Herzen und überlegte, was sie ihm sagen wollte, ja, es zuckte sogar einige Male um ihren Mund, wenn sie sich vorstellte, welch' ein Gesicht der Doktor machen würde, erführe
er, daß sie die alte, verabscheute Tante aus Kalkutta wäre.
Nachdem sie so tief in seine Augen gesehen und seine Versicherungen vernommen hatte und wußte, wie sehr er sie wiederliebte, seitdem hatte sie Muth, fühlte sie in ihm keinen Richter mehr, sondern eine Stütze und einen Bundesgenossen. Die Ungeduld trieb den Verliebten schon vor der Zeit in's Hotel; kaum hatte er hier etliche Minuten gewartet, so trat Elisabeth herein. — Ein Moment des Anblickens und sie lagen sich abermals in den Armen. Es dauerte eine ganze Weile, ehe sich die Wogen in ihrem Innern so weit gelegt hatten, daß sie an ein ruhiges Aussprechen denken konnten. Endlich aber saßen sie sich Beide gegenüber, in der Nähe des Fensters, Auge in Auge, Hand in Hand, und Elisabeth begann zu erzählen:
„Erschrick nicht, Rudolph," sprach sie mit ihrer klangvollen, weichen Stimme und beobachtete dabei eine jede seiner Empfindungen, „ich bin nicht Die, die ich scheine, weder Elise Wild, noch Miß Herford,
— ich bin Deine Cousine Elisabeth Steinsurl."
Der Doktor fuhr beinahe erschrocken zurück. —
Diese Erklärung klang ihm fast unglaublich: seine verschollene, von der Familie mißhandelte Cousine identisch mit der Geliebten? — Das kam ihm vor wie ein Märchen; — der ernste, gerade Mann verspürte beinahe einen Schatten von Mißtrauen.
„Wie?!" rief er, sich zur Hälfte erhebend, „wie ist das möglich? — Du unsere Verwandte? . . . Aber welchen Grund, in aller Welt, hattest Du, uns das zu verheimlichen?"
Sie ließ seine Hand nicht los und schaute wie gebannt in seine Augen, sie las das Mißtrauen ans dem Grunde seiner Seele und ein Schatten flog über ihre reinen Züge.
„Ich habe euch allerdings hinreichenden Grund gegeben, mir nicht zu glauben, aber heute und von nun an werde ich nur die lautere Wahrheit sprechen," sprach sie mit erhobener Stimme; „so wahr mir Gott helfe!" fügte sie betheuernd hinzu und eine Thräne trat in ihre Wimpern.
„Theure Elise!" rief der Doktor heftig ergriffen, „es sei fern von mir, an Deinen Worten zu zweifeln,
— nur die Ueberraschuug ist es, denn wie konnte ich ahnen, daß Du meines Onkels Tochter bist, und wie soll ich die Gründe begreifen, welche Dich veranlaßten, Deinen nächsten Verwandten das zu verschweigen?"
„Das eben wollte ich Dir mittheilen," antwortete sie, „und wenn ich es gethau haben werde, aus Deinem Munde mein Urtheil vernehmen."
Er faßte ihre Hände, küßte sie und sprach:
„Was Du mir auch sagen wirst, Geliebte, mein Urtheil liegt schon bereit."
„Wer weiß! Du wirst Manches hören, was Du nicht erwartest, Rudolph," erwiederte sie ernst, „mein Leben war ein seltsames, abenteuerliches, darum versprich nicht mehr, als Du zu halten vermagst, und warte bis zu Ende."
Sie begann dann zu erzählen von ihrer Kindheit, ihrer Thcaterzeit, wie sie Marie kennen lernte, und was sie aus Bern vertrieb. Den Namen Egbert's verschwieg sie wohlweislich.