Heft 
(1885) 35
Seite
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Die Erbtante von Johannes van Dervatt.

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Es ist etwas Großes und Schönes um den Reichthum, aber ebenso wie die zu große Dosis einer heilsamen Arznei zu Gift wird, so ist es auch mit jenem; ich glaube kaum, daß es vortheilhaft wäre für unsere beiden Herren Onkels, wenn Du Deiner Freigebigkeit die Zügel schießen ließest. Wenn Du mir erlaubst, will ich überlegen, was am gerathensten scheint, und Dir morgen das Resultat meines Nach­denkens mittheilen, auch gestatte mir, daß ich der Familie die Eröffnungen mache, die jetzt unumgänglich nothwendig geworden sind."

Ich lege Alles in Deine Hände und werde fortan nur Deine Rathschläge befolgen, lieber Schatz."

Ich bitte da habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden," fiel hier Marie ein.Im Uebrigen aber, ihr verliebten Leute, ist es nun die höchste Zeit, daß wir uns auf den Heimweg machen, sonst könnte die Entdeckung Deiner Kriegslist eher erfolgen, als Dir lieb ist, Lisel."

Es war zwei Uhr durch, schon Essenszeit, etwas fluchtähnlich brach man deßhalb auf, nachdem man vorher verabredet hatte, sich am Nachmittage wieder hier zu treffen. Daheim hatte John seine liebe Noth gehabt, den verschiedenen Angriffen, welche Karola und namentlich der Onkel Leopold gemacht, Widerstand Zu leisten; namentlich der Letztere, welcher mit wichtigen geschäftlichen Vorschlägen kam, hatte sich die größte Mühe gegeben, bis zu der Tante vorzudringen, und wollte sich durchaus nicht abweisen lassen. Der fortgesetzte trockene Widerstand des ehr­lichen John hatte denselben so in Harnisch gebracht, daß er sich zuletzt sogar zu Injurien Hinreißen ließ. Marie hatte sich deßhalb, kaum umgezogen, zu Karola begeben, um sich zu entschuldigen wegen ihres Be­nehmens und ihr mitzutheilen, die Tante sei heute ganz besonders unträtabel, man möchte das Essen hereiuschicken, aber sie ja nicht stören sonst. Sie beklagte sich dann noch über den Onkel Leopold und verschwand wieder in den Privatgemächern, die Thüren und Portieren fest hinter sich verschließend.

Den Nachmittag verbrachten die Drei zusammen im Hotel. Der Doktor konnte gar nicht aufhören, seine Geliebte zu bewundern und Fragen zu stellen; er that dabei immer tiefere Einblicke in ihr Leben, in ihrer: Charakter und fühlte seine Achtung für die­selbe immer mehr steigen.

Man verabredete dann Alles für den morgenden Tag; die Tante sollte noch einmal die ganze Familie bitten, sich zu versammeln, um eine wichtige Mittheilung entgegenzunehmen die Komödie sollte enden, so be­friedigend wie möglich für alle Theile, das war der Glücklichen sehnlichster Wunsch. Dieses sollte die letzte Nacht sein, welche die Erbtante unter dem Dache des Onkels verbrachte; als Elisabeth Steinsurt und glückliche Braut sollte sie morgen in die Welt eingeführt werden.

Noch ein langer Blick, noch ein zärtlicher Kuß und man trennte sich für wenige Stunden.

Siebenmrddreißigstes Kapitel.

Der Präsident und Karola unterhielten sich leb­haft, halblaut mit einander in dem Arbeitszimmer

Deutsche Roman-Bibliothek. XII. 18.

des Elfteren; was konnte es sein, das die Tante Karoline ihnen mitzutheilen hatte? Der Doktor kam alle Tage jetzt fühlte sie sich schwächer? Man wußte es nicht, denn Vetter Rudolph war ein verschlossenes Buch, und diese Angelegenheit war von der größten Wichtigkeit. Man hatte der Tante viel zu danken, der Präsident namentlich war dankerfüllt und ließ wohl nur ungern den Wunsch in sich auf- kommen, der sich hin und wieder unwillkürlich in den Vordergrund drängte. Karola dagegen war rücksichtsloser, sie dachte an ihren unglücklichen, leicht­sinnigen Bruder. Die Tante war alt und lebte sich selbst zur Last, Jener aber und die Anderen hatten ein ganzes Leben noch vor sich. Keiner gab seinen eigentlichen Gefühlen Worte, aber Jeder ahnte, was den Andern beschäftigte.

Es war ein Bote hinausgeschickt nach der Vor­stadt, auch den Doktor hatte man benachrichtigt. Für alle Fälle wollte man auch sogleich an Egbert schreiben. An die arme Verlassene, an Elisabeth Steinsurt dachte Niemand, auch nicht mit einem Ge­danken.

Gegen Mittag kam der Doktor. Karola wollte ihn aushorchen, aber derselbe war zugeknöpft von oben bis unten und schützte große Eile vor. Er­schien ihr besorgt zu sein.

Um fünf Uhr kam der Onkel, aufgeregt und ärgerlich, Helene etwas blaß. Man versammelte sich in dem großen Saal, Alle in gespanntester Er­wartung. Der Lieutenant gab Helene die Hand und trat dann stumm zurück. Aller Augen waren auf die Uhr gerichtet und auf die Thüre zu den Zimmern der Tante.

Punkt Fünf ging dieselbe aus, aber nicht die Tante erschien, sondern der Doktor seltsamerweise im schwarzen Frack, mit weißer Kravate.

Unmittelbar vor der Thüre blieb er stehen, richtete einen langen, festen Blick auf die Versammlung und sprach daun mit seiner sonoren Stimme ein wenig bewegt: ^

Ich habe Ihnen eine Mittheiluug Zu machen!"

Es war seltsam, welch' eine Bewegung das Er­scheinen des Doktors, namentlich aber diese Worte hervorbrachteu: der Präsident sah zu Boden aus Scham, Karola öffnete den Mund zu einer Frage und hob den Fuß, Onkel Leopold wurde kirschbraun, Bestürzung las man nur in Helenens und des Lieutenants Mienen.

Mitten in diese Erregung hinein klangen die Worte des Doktors:

Ich habe mich soeben verlobt."

Der Doktor hatte entschieden einen sehr un­passenden Augenblick gewählt für diese Mittheilung, das gegenseitige Interesse in der Familie war über­haupt nicht eben ein sehr reges, jetzt aber obendrein nur auf einen Punkt konzentrirt. Der gallige Onkel aus der Vorstadt zog die Mundwinkel weit herab und starrte den Bräutigam an mit einem brutalen, unangenehmen Ausdruck: was giug ihn diese Privat­angelegenheit an, er hatte die Alte erwartet, nicht den Neffen. Der Präsident sprach ein zerstreutes: Ich gratulire," Frida verzog spöttisch den Mund,

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