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Deutsche Noinan-Sibtiothek.
„Der Himmel führte mich dort mit der mir bis dahin sagenhaften Tante Karoline zusammen; wir erkannten uns, auf ihren Wunsch blieb ich bei ihr, pflegte sie bis zum Tode und wurde ihre Erbin."
„Ich erhebe Protest! ... wir sind die Opfer unwürdiger Gauner!" brüllte hier der Onkel Leopold los und sprang wie ein Besessener in die Höhe und ans Jene zu.
„Sie haben vorhin eine Aeußerung gegen mich gethan, die nicht eben schmeichelhaft war, Herr Kommerzienrath," sprach der Doktor, indem er die Stimme ebenfalls zu einem kleinen Donnerwetter anschwellen ließ und seine Jupiterstirn in krause Falten Zog, „Sie würden sich eine Beschämung erspart haben, hätten Sie ruhig bis Zu Ende zugehört, ohne eine Dame zu unterbrechen. — Nur die Gegenwart meiner Braut und Ihrer Tochter hindert mich, Ihnen die Zurechtweisung zukommen zu lassen, die Ihnen gebührt! ... Ich bitte die verehrten Versammelten nur noch um eine kurze Spanne Geduld."
Und wieder wurde es still, kirschbraun, aber bedeutend eingeschüchtert trat der Onkel zurück und schwieg, wenn auch mit geballten Fäusten und bebenden Lippen; die Stimme Elisabeth's wurde wieder vernehmbar:
„Aus den Wunsch meines Bräutigams werde ich meine Erlebnisse in Indien, seit dem Zusammentreffen mit der seligen Tante" — der Kommerzienrath schüttelte sich förmlich — „und was ich über diese durch sie selbst erfuhr, bis zu ihrem Tode niederschreiben und dem Onkel Konrad einhändigen, ebenso den Todtenschein, eine Abschrift des Testaments und einige andere Papiere. Sie werden daraus ersehen, daß ich keine Abenteurerin bin. Gott ist mein Zeuge, daß ich auch niemals nach jenem Vermögen getrachtet habe!"
Wieder durchlief eine sichtbare Unruhe die Versammlung.
„Ich ziehe nun — nicht ohne Beschämung — den letzten Vorhang fort: die Tante befahl, ihren Tod den Verwandten geheim zu halten, welche nach ihrem Gelde trachteten, wie sie sagte, und — ich bitte um Verzeihung — die sie beschuldigte, sich grausam einst gegen sie benommen zu haben, sie durch Spione zu umstellen, selbst im fernen Lande noch. Sie warnte mich vor ihnen, sie nahm ihren Haß mit in's Grab. Trotzdem fühlte ich, als ein einzeln stehendes, unerfahrenes und jetzt noch dazu reiches Mädchen, mich gedrungen, mich meiner Familie zu nahen .. . Anschluß Zu suchen, einen natürlichen Schutz für das Leben.. . Ich reiste deßhalb nach Hamburg, ich schrieb an meine treue Jugendgefährtin Marie Werner, und dann besprachen wir ihn und führten ihn ans, den großen Plan: um euch zu prüfen — verzeiht mir — täuschte ich euch, — spielte ich die Erbtante!"
„Unmöglich! . . . unerhört!" rief man mit Unglauben und Entrüstung, ganz verblüfft durch diese Mittheilung; der Onkel Leopold schnitt ein geradezu verzweifeltes Gesicht.
„Aber ich erlahmte, ich ging nach Nizza und verlebte dort den Winter. Ich empfand Scham über meine Rolle, allerhand Zweifel quälten mich . . .
seit ich Die, gegen welche ich diese Komödie spielte, lieben und achten gelernt hatte und vor Allem, als mir der Himmel die Liebe und Achtung eines braven, heißgeliebten Mannes geschenkt hatte, die mich reicher macht als alles Geld!"
Hier sah sie zärtlich auf zu dem langen, tief gerührten Doktor und drückte seine Hand an ihre Lippen.
„Und nun bitte ich euch herzlich um Verzeihung, — Dich vor Allen, lieber Onkel," — hier trat sie aus diesen zu und streckte ihm beide Hände entgegen. „Ich danke Dir für alle Güte und Nachsicht und bitte Dich, mir auch fernerhin freundlich gesinnt zu bleiben; auch Du, Karola, und ihr Anderen. — Ich hoffe, Du zweifelst nun nicht mehr an meiner Person und an meiner Wahrhaftigkeit," sprach sie bedeutend zurückhaltender zu dem Onkel Leopold. „Damit Du aber auch die letzten Zweifel schwinden lässest, werde ich Dir die aktenmäßigen Beweise beibringen, daß ich Deine Nichte Elisabeth Steinfurt und die Universalerbin bin, freie Verfügung habe über das Vermögen, welches die Tante hinterließ."
Die Ueberraschung aller Mitglieder der Familie war eine ganz unbeschreibliche. — Die ersten Momente nach dieser Erklärung waren im höchsten Grade peinlich. Die Vergessene, Verlassene, Die, deren man mit keinem Worte erwähnt hatte vor der Tante, die man ausschließen wollte bei der Theilung, sie stand jetzt mitten unter ihnen und sammelte feurige Kohlen auf ihre Häupter. Aber allmälig, je nach dem Charakter eines jeden Einzelnen, machten sich die Gefühle Luft.
Der Onkel Präsident war der Erste von Allen, welcher Worte fand.
„Wir haben Dir viel zu danken, aber auch viel, sehr viel abznbitten," sprach er mit tiefer Beschämung, „das Leben macht uns Alle zu Egoisten — namentlich wenn man so kämpfen mußte, wie ich gekämpft habe! ..."
Nach ihm kam Helene, welche die neugesundene Cousine in Thränen, aber glücklich umarmte.
„Habe ich recht gethan?" flüsterte Elisabeth dieser in's Ohr.
Sie nickte und schlug die Augen nieder und ihre Thränen flössen noch reichlicher.
Der Kommerzienrath blieb ziemlich zugeknöpft, er wollte erst die Beweise sehen, er war Geschäftsmann.
„Sollte ich mich geirrt haben, dann bitte ich um Verzeihung," sprach er, ohne Elisabeth anznsehen, und trat zurück.
Dann kamen Karola, der Lieutenant und Frida, diese maulend und linkisch, und gaben ihr die Hand.
„Damit ihr euch gleich überzeugt, daß ich in Wahrheit die Erbtante spielte, die euch so viel zu schaffen machte, — kommt und seht, — ich gab mir Mühe, sie getreulich zu kopiren."
So sprechend nahm sie Karola's Arm und führte diese in ihre Gemächer, die Anderen folgten. Man erschrak förmlich; in einer Sophaecke lag die dicke Gestalt der Begum, aber bei näherer Betrachtung stellte es sich heraus, daß dieselbe nur aus einem Gestell von Stahl und Draht bestand, — einer Art von Krinoline und einem Brustkorb, wie die Schau-