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Deutsche Roman-Bibliothek.
Flora bereute fast, das stolze Herz unheilbarem Natterbiß preisgegebeu Zu haben.
„Ist dieß Ihr letztes Wort, Mylord?" stieß sie heraus.
„Mein allerletztes!"
Da stöhnte es plötzlich seltsam durch die Stille, wie ein mühsam verhaltener Wehernf.
Unwillkürlich wendeten sich beide Anwesenden nach der Richtung, von welcher der wimmernde Laut ausgegangen war.
War doch die angrenzende Galerie nicht geheuer, wimmelten doch die Winkel der Abtei von Schatten, die sich nicht bannen ließen.
Und wie der Wind draußen heulte!
„Hörten Sie nichts?" flüsterte Flora, glücklich, daß äußere Zufälligkeit Bhron's Zorn momentan von ihr abzog.
„Hülse, Hülfe!" klang es jetzt deutlich und zwar ganz in der Nähe.
„Sollte der schwarze Klausner uns rufen?" sagte mit leisem Lachen Byron's Geliebte, „das muß ich ergründen!"
Entschlossen trat sie in die Galerie hinaus.
Auch dieß mißfiel ihrem erkalteten Freunde: je schutzbedürftiger, zaghafter, anschmiegender ein Wesen war, je mehr bemitleidete er es, und bei ihm entsprang aus Mitleid zärtlichste Liebe.
Hätte Flora in jenem Augenblick etwas Gespensterfurcht geheuchelt, so würde er sie jedenfalls beruhigt, ja, ihr vielleicht vergeben haben. Eine Judith, eine Penthesilea, eine Charlotte Corday ließ ihn gleichgültig; die Heldinnen des Corneille waren ihm fast unangenehm. Wie charakteristisch ist es für Byron's Empsindungsweise, daß sein „Korsar" die herrliche, schimmernde, energische Gülnare, seine Lebensretterin, nicht lieben, niemals küssen kann, weil ein Tröpfchen Blut des erstochenen Sultans ihre Stirne benetzte!
„Irgend Jemand," sagte Mylord wie im Selbstgespräch, „macht sich einen schlechten Scherz... ich wette, daß Hobhouse oder Wingfield —"
„Nein," unterbrach Miß Gordon, „es klang wie weiblicher Hülseruf —"
„Unsinn! Woher sollte —"
„Aber so hören Sie doch, es weint und schluchzt irgendwer."
„Hollah, was gibt's, was soll's?" ries Byron's volltönende Stimme durch den gewölbten Saal.
Wiederum lautlose Stille.
„Wäre es draußen gewesen?" zweifelte Flora.
„Keineswegs... ha, es raschelt dort in der Uhr!"
Nasch ging der Lord auf ein alterthümliches Uhrgehäuse in einer Nische Zu; es hatte ungefähr die Höhe, wenn auch nicht ganz die Breite eines Schilderhauses und konnte allenfalls eine aufrechtstehende Person beherbergen.
Wirklich tönte ein schwaches Pochen im Innern dieses Gehäuses. George versuchte dasselbe zu öffnen, indessen das Schloß gab nicht sogleich nach. „Das bist Du, Johnny, — Tollhäusler, willst Du ersticken?"
Krach! flog die mit Vögeln und Schmetterlingen bemalte Thüre auf.
Mehr todt als lebendig stürzte Polly ans dem engen Versteck heraus, dem verwunderten Schloßherrn schnurstracks zu Füßen fallend und vor Beschämung vergehend.
„Gnade, Gnade!" schluchzte die bestrafte Fürwitzige.
Gegenseitiges bewildertes Anstarren.
„Was bedeutet dieß?" fragte Mylord in strengem Tone; forschend bohrten sich seine Blicke, die ebenso stahlhart, als weich und schmelzend schauen konnten, in Polly's weinende Augen.
Miß Gordon aber wurde beim unvermutheten Anblick der ländlichen, drallen Dirne zur Medea.
„Dieß ist eine mit Fleischer oder Frank abgekartete Jntrigue," tobte sie. „Wer bist Du, verworfenes Geschöpf?" Und halb wahnsinnig vor Eifersucht gab sie der knieenden Polly einen unsanften Stoß.
„Hinaus mit Dir in Deine Kohlbeete, Deine Rnnkelrübenfelder, — hinaus! Unterstehe es Dich nicht noch einmal, die Schwelle, ja nur den Umkreis von Newstead zu betreten, hinwegpeitschen wird man Dich, Bauerndirne!"
Byron hatte unterdessen so stark an der Klingel gerissen, daß ihm Schnur und Quasten in der Hand geblieben waren.
Ohne im geringsten den Zusammenhang der Dinge zu ahnen, fühlte er das Lächerliche der Situation und eben das brachte ihn in Wallung.
Der Kammerdiener Fleischer mit dem lavendel- dnftenden Jabot eilte in den Saal und rief entsetzt, bevor er noch gefragt wurde:
„Heiliger Schürhaken und hochheilige Feuerzange, Die hatte ich vergessen!!"
Polly raffte sich auf und schoß wie ein Pfeil ans dem Saale hinaus.
„Höre, Fleischer," rief zornbebend der junge Gebieter, „dieß ist das erst' und letzte Mal, daß solche Streiche unter meinem Dache abgespielt werden. Verstanden?"
„Zu Befehl, Eure Herrlichkeit," nickte Fleischer, der wie ein nasser Pudel dastand, „aber halten zu Gnaden: diese junge Affenseele — Bob Rushton's Schwester — das heißt, genau genommen, Pflegeschwester, ist neugierig wie eine ganze Nachtigallenbrut."
„Schweig'!" donnerte Mylord und deutete nach dem Ausgang.
Ein wahres Glück, daß Boatswain als Beruhigungsmittel dazwischen fuhr, zwar vermochte der tief Verdrossene die Liebkosungen des Hundes nicht zu erwiedern, was den Neufundländer in größtes Erstaunen versetzte.
Kaled-Flora lag rücklings aus einem Divan, schlug mit den Händen um sich und zuckte am ganzen Körper.
„Schändlicher Verrath!" ächzte sie, „mein Brustkrampf — o, o, diese Stiche!"
Mit unglaublicher Elastizität, um welche eine Balletfigurantin sie beneidet hätte, ließ sie sich völlig auf den Fußteppich hinabgleiten.
Leider war dieses Schauspiel verbraucht und daher erfolglos.
Miß Gordon hatte umsonst auf die poetische