Kinder der Flamme von Günther von Freiberg.
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Szenerie gerechnet, auf den Mond, der soeben hinter den Wolken hervortrat und mit zärtlich blauem Strahle ihr feines Antlitz bis zur Durchsichtigkeit verklärte, und damit nichts zu wünschen übrig blieb, ertönte unter den Fenstern ein süßes, süßes Klingen, so luftig, so geisterhaft, so glucksend, als sängen Krystalle und Thautropfen, Nixen, Sylvanen und Sylphiden.
Aber es verfing nichts mehr! Mylord hatte keine Augen für den schwarzen Pagen, keine Ohren für Bob's Glasharmonika.
„Ich hoffe, Miß Gordon, Sie verschlafen Ihre Nervenattake," sagte er kurzweg, ohne die Brust- krampf-Attitüden weiter zu berücksichtigen; „was übrigens jene Pächterstochter betrifft, so genüge Ihnen das Wort eines Edelmanns: ich habe für Idyllen kein Verständniß, mag Wordsworth oder der liebe Gott ihr Verfasser sein."
Miß Gordon hatte nur eben Zeit, sich vom Boden zu erheben und Zurückzuziehen. Die Ritter vom Todtenschädel stürmten aus dem Spielzimmer herbei, die übliche Bowle zu trinken und dieser einen letzten Punsch — „die Nachtmütze", wie der Prinz von Wales ihn nannte — folgen zu lassen.
Sie hatten graue und Weiße Mönchskutten über- geworsen, taumelten sich weinselig in die Arme und sangen mit und ohne Stimme das Liedchen aus „Viel Lärmen um nichts":
„Genug der Lieder, o genug Der Trauermelodieen;
Die Männer kannten nichts als Trug,
So lang die Schwalben zieh'n.
Drum keine Thrän' und laßt sie geh'n,
Seid froh und guter Dinge,
Auf daß statt Seufzer und Getön Juchheissassa erklinge!"
Hobhouse und Fitzgibbon tanzten dazu einen vertrackten Gig.
„Doch wo ist der Abt, unser Abt?"
Man umringte George Byron, der selbstverständlich das Haupt dieser Ordensposse war. Auch ihm wurde eine Mönchskutte übergeworsen.
Indem er hineinschlüpfte, ging wieder ein Lächeln über seine marmorkalten Züge, jenes Lächeln, das den ruhigen, besonnenen Walter Scott geradezu in hasisische Ekstase versetzte, und seine Augen waren wieder „Portale der Sonne, aus Licht für Licht geschaffen", wie Coleridge von ihnen gesagt hat.
Viertes Kapitel.
Notturno.
Erschöpft sank Flora Gordon in ihrem Zimmer ans ein Tabonret.
„Vorüber," murmelte sie vor sich hin, „Alles vorüber!" und hastig riß sie den Sammetrock ab und saß lange Zeit in sich gekehrt.
Das kerzenhelle Zimmer hatte durchaus keinen studentischen oder martialischen Anstrich, so sehr sich „Kaled" bemühte, eine geniale Unordnung herzustelleu: überall verrieth sich das Weib. Blühende Jasminzweige dufteten in farbigen Glasvasen; auf dem Schreibtisch stand — o Ironie! — ein in Silber gefaßter Toilettenspiegel; neben Tintenfaß und Briefmappe befanden sich parsümirte Handschuhkästchen aus
Spaa und allerlei kleine Schalen aus Achat und Carneol. Ueberall lagen gestickte Taschentücher umher, auch die Reitgerte mit emaillirtem Griff sah weiblich aus, deßgleichen die ausgeschlagenen Bücher, zierliche Ausgaben mit Goldschnitt, — nirgends verleugnte sich die Evastochter.
Allen Respekt jedoch vor den beiden Todtenköpfen! Ja, sie grinsten zu beiden Seiten der französischen Stehuhr, aus welcher eine abstrakte Personnage — vermnthlich „die Verzweiflung" — die bronzenen Hände rang. Sie durften ja in keinem Zimmer der Abtei fehlen, indessen ihre nächste Umgebung war um so lieblicher: florentinische Alabastersigürchen, Hebe und Terpsichore nach Canova, slankirten rechts und links die Todtenschädel.
Neben einer blaubeschleisten Guitarre erblickte Miß Gordon einen versiegelten Brief. Mit nervösem Gähnen griff sie darnach. „Schon wieder!" — und seufzend fügte sie hinzu: „Thörichtes Ding, das Frauenherz! es mag lieber mißhandelt, als gelangweilt sein."
Dann betrachtete sie, mitleidig lächelnd, das Siegel, ein von Strahlen umgebenes Lamm. „Hm,
— eine zarte Anspielung auf das verirrte Schaf!"
Sie öffnete das Schreiben und las:
„Theure Cousine Flora!
„Vergib mir, Du armes, verwundetes Nehlein — "
„So, so," unterbrach sich die „Cousine" spöttisch, „das Schaf avancirte zum Reh." Und herb, mit zuckenden Lippen, sagte sie ganz laut vor sich hin: „Es scheint, Galanterie und Empfindsamkeit flüchteten aus dem Adelsschlosse in das Psarrhäuschen. Armer, kleiner, unverdorbener Vetter Edward, xoor^ouuFster!"
Halb schläfrig, halb gedankenvoll starrte sie in's Licht, es war ihr gar wunderlich zu Muthe, sie vergaß des Brieses, trotzdem die Handschrift so klar, so frei und anmuthend war; erst als eine arme Motte versengt und zappelnd auf das Papier siel, erwachte sie und begann abermals zu lesen:
„Vergib mir, Du armes, verwundetes Rehleiu, daß ich es wage, Dich immer und immer mit Briefen zu belästigen! — Ach, Flora, süße Flora, wirst Du überhaupt diese Zeilen lesen? — Siehst Du wohl, in Deinem Glück hätte ich Dich ja nie, nimmermehr gestört, — aber nach Allem, was ich vernahm, ja aus Deinen eigenen, kurzen Andeutungen herauslas, nach alledem haben sich die Rosen Deines Lebensgartens in Cypressen und Thränenweiden verwandelt. Flora, ich höre Dich auflachen, — o. Dein silbern Gelächter! — aber es will mir nicht mehr aus dem Sinn, daß mein kleines, bescheidenes Heim, mein Gärtchen, mein Hab' und Gut — nun, Du verstehst mich, gewisse Dinge lassen sich nicht schwarz auf weiß erörtern — aber Du fühlst's ja — denn, Flora, Dunkellockige, ich liebe Dich noch immer bis zum Wahnsinn! — Nein, nein, dieß wollte ich Dir nicht sagen. Du zürnest sonst, — ich meine nur
— wie soll ich's ausdrücken? — daß ich Dein Bruder, Dein Diener bin. Ruhe aus unter meinem Dache, komm', theile meine Einsamkeit, wenn Du nicht weißt, wohin vor Schmerzen! Dein Leid, selbst Deine Verirrung ist mir heilig. Flora, Flora, ich will nicht fragen, ob Dich jenes heißklopfende, aber unbeständige Herz