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Deutsche Noman-Bibtiothek.
treulos im Stich gelassen hat — schweigen will ich, geduldig schweigen, — nur weine Dich aus bei mir
— im Namen des Allmächtigen bitt' ich Dich darum!"
Eine gewisse Rührung bemächtigte sich Wider
Willen der Leserin, ihre Hand zitterte, ihr Auge umflorte sich und durch diesen Flor glaubte sie wie in weiter Ferne ein Jünglingsantlitz zu sehen, einen Johanneskopf mit bittenden Augen und weichem braunem Gelock, doch seit Flora Männerkleider trug, schämte sie sich jeder Weichheit, jeder frauenhaften Regung.
„Arkadien!" zischelten ihre rothen Lippen. „Edward paßt nach Arkadien in ein seladongrünes Schäferkleid, — tlluto äo nlleux wurde er Seeleuhirt mit weißer Kratzatte, schwarzem Röcklein und tadellos sitzenden Strümpfen."
Wieder in den Brief hineinblickend rief Miß Kordon: „Aha, er bekennt es selbst!" und sie las weiter:
„Freilich bin ich ein Schwärmer, der schönen, stolzen, königlichen Flora solch' eine idyllische, kleinkleine Residenz anzubieten, die schlanke Feuerlilie aus sonniger Höhe in meine Niederung verpflanzen zu wollen. Traum, thörichter Traum, laß ab von mir!
„Aber trotzdem Du nie kommen wirst, Gebieterin, deren fremdartige Märchenschöne wie Wetterleuchten meinen blassen Horizont erhellt, trotzdem richtete ich Deine Zimmer wohnlich ein — ach, dürftig Alles, eng und klein — nur die guten, lieben, alten Bücher aus Großmütterchens Bibliothek sind alle wohlbehalten im Eckschrauk aufgestellt, —- einige unserer Liebliugskupfer erhielten Stockflecke, nur Dein Love- lace blieb verschont — wie Du ihn vergöttertest, diesen kaltherzigen Don Juan! und wie ich ihn haßte
— aus Eifersucht! — und der Sturm und das unbarmherzige Strafgericht, als die Gouvernante unter Deinem rosabeschleisten Kopfkissen jenes Exemplar der ,Clarissa* fand!! und neben Deinem Himmel- bettchen an Stelle des Gebetbuchs die Uebersetzung von ,Werther's Leidem mit meiner Locke und Arthur's blonder Haarsträhne.
„Natürlicherweise ist auch die Pagode vorhanden und der lila Porzellanhase aus Japan, dem wir Halsbänder von Glasperlen und Vogelbeeren umlegten und der im Garten sein Kraut fressen mußte, wobei er leider die Spitzen seiner Löffel einbüßte.
„Flora, wärest Du hier, es wäre der Himmel aus Erden — für mich! Aber für Dich? Du saßest an Jovis Tafel, wo Nektar und Ambrosia überfließt, und solltest hier unter dem Kirschenbaum auf grünangestrichenem Stuhle hocken? — unsinnig, unsinnig !
„Daß ich Deine Lieblingsblumen kultivire, sie hege und pflege wie Herzenskinder, versteht sich von selbst: da ist erstlich lustiges Löwenmaul, prächtig rothgelbes; dann goldfarbene Kaiserkronen und ein Flor von Schwertlilien, Deine Szepter, oll tllir^- gusso! Passifloren umranken die Sonnenseite meiner Cottage. Auch inwendig ist's behaglich, am meisten im Erkerzimmer, — Deinem Zimmer! — Holzgetäfel und Fayencekamin bringen eine angenehme Wirkung hervor. Aber das liebste Stück ist mir unsere alte, spanische Wand mit der verblichenen,Vampyr*-
Jllustration, — mir wird in ihrem Schatten so wohl, so selig-verstorben zu Muthe — 's ist eigentlich für einen jungen Landpsarrer keine sehr passende Bilderserie: lauter treulose Bräute, die sich todeswillig in die Arme des kreideblassen, blutsaugenden Verführers stürzen -— Sensationstableaux, obligater Mondschein und höllische Reflexe. — Nun, man sieht mir eben freundlich Manches nach, da ich sonst ein unschädlicher Geselle bin. Dort also verleb' ich meine einsamen Winterabende. Brennen Kerzen, knistert's im Feuer, tickt die Wanduhr, schnurrt die Pussy und singt das Wässerlein im Theekessel, so mein' ich fast, daß es Dir sogar gefallen würde, trätest Du bei Schneegestöber plötzlich bei mir ein wie eine vertriebene Fabelprinzessiu."
Der Brief glitt aus Flora's Händen.
„Lovelace — Vampyr!" hauchte sie traumverloren, „ja Romeo und Sir Charles Grandisson, der Tugendspiegel, waren mir von jeher gleichgültig. Edward, mein kleiner Reverend, predige so viel Du willst von den Reizen Deiner ländlichen Einsamkeit, George Byron ist und bleibt mein Schicksal, und apros tout: sich miteinander zanken, sich tödtliche Beleidigungen sagen hat auch seinen Reiz, auch seine Wollust! Edward, drei Tage in Deinem holzgetäselten Käfig — und ich käme um! Was verstehst Du von Leidenschaften, von dämonischen Trieben, wie sie George innewohnen? Bah! — Trotz Deiner Vorliebe für die Vampyrschirmwand und einer gewissen scheinbaren Genialität, welche Du von Deiner Mutter erbtest, trotzdem würdest Du mir jede Butterschnitte hinunterbeten mit Ostentatiou, mir Deine Grundsätze und hochehrwürdigen Ansichten in jeder Tasse Milch zu trinken geben! Wir würden Beide elend werden, gib mich auf, Du rosenwangiger xastor üäo!"
Sollte sie den Brief zu Ende lesen? — nach einigem Zögern entschloß sie sich dazu.
„Doch jetzt regnet es Blüten," schrieb Edward weiter, „der Sommer ist vor der Thüre — und wie gesagt, Du schaust aus olympischer Höhe auf uns Staubgeborene herab, Du sitzest zu Tafel mit Göttern und Titanen — wenigstens sieht Flora, meine Gebieterin, künftige, weltgebietende Größen in ihren Bundesgenossen — aber, Cousine, Hand auf's Herz: wenn es Gespenster wären, Unholde, Feinde des Guten, des ewig Bestehenden, Widersacher jeglicher Harmonie? — Wie, wenn es nicht Apollo, der Gott des Lichtes, nicht Prometheus, der seinen Mitgeschöpfen den göttlichen Funken einblies?! Flora, ich schaudere und fürchte: ein Abtrünniger, ein Belsazar ist's, der Deine Sinne blendete, Deine unersättliche Einbildungskraft, am 6on8lu6 1mxr688ioimlll6, verwirrte!
„Daß ich dessenungeachtet nicht an die Spinnstubengeschichten von Nottinghamshire glaube, -- bedarf dieß erst meiner Bestätigung? Du bist mit Verleugnung Deines Geschlechts unter dem Namen ,Kaled* als Adept in einen Kreis ausgenommen, welcher die ,satanische Schule* in's Leben rief, — nämlich eine Dichtkunst, die nur auf Sarkasmus, Satire, krankhaftesten Weltschmerz basirt ist. — Ferne sei es von mir, als donnernder Puritaner Kuox gegen den Uebermuth junger, müßiger Aristokraten