Kinder der Flamme van Günther van Freiberg.
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aufzutreten. Sie mögen selbst Zusehen, wie sie mit ihrem Gewissen fertig werden. — Nur eine einzige Frage vergönne mir, liebste Flora:
„Hattest Du den Muth, ein einziges Mal in Newstead-Abbey Deine Seele vom Irdischen ab- nnd Gott zuzuwenden? — ,Wie, Cousin Edward/ antwortest Du mir, ,ich? — Sonntags die Kirche besuchen? — in Männerkleidern? — war mir das erlaubt ?'
„"Utztl — in Deinem Kämmerlein durftest Du ja niederknieen. Da waren ja keine höhnenden olympischen Augen. Sei wahr und aufrichtig, Flora! Entsinnst Du Dich unserer süßen, kindlichen Morgen- und Abendandachten bei Großmütterchen? Wie das gemeinschaftliche oder stille Gebet uns tröstete, wenn unsere kleinen Herzen um Dieses oder Jenes ge- ängstigt klopften? O, meine traute, böse, liebe, abtrünnige, gescholtene, geliebte Herrin, nicht wahr, im tiefsten Herzen, dort, wo die echten Perlen liegen, bliebst Du unserem Gotte der Versöhnung, der Gnade treu? Denn so konnte nicht alles Bessere frühzeitig in Dir welken und absterben."
Flora zerdrückte den Brief in der Hand, schleuderte ihn von sich und sprang auf, beklemmend lag es auf ihrer Brust.
„Beten?" sprach sie gedehnt vor sich hin, „beten? ob ich es noch nicht verlernte?"
Und sie fiel unwillkürlich aus die Kniee und faltete gewohnheitsmäßig die Hände.
Aber ihr Blick traf den gegenüberhängenden Trumeau, das eigene Spiegelbild schien sie Zn verhöhnen. Wie sie aussah in ihrem excentrischen Knabenanzug, dem Atlaßwestchen, den weißseidenen Strümpfen! Und so, in Hemdärmeln, beten!? Nein, es ging nicht, es war unmöglich, — jedes Gebet wäre zur Blasphemie geworden.
Aber woher sollte denn ihrem unbefriedigten, ruhelosen Herzen Erleichterung kommen? — Durch Thränen vielleicht; o, süße Thränen! Doch auch sie waren versiegt in langgewohnter, künstlicher Atmosphäre.
Von den Göttern wird behauptet, daß sie nicht weinen konnten und deßwegen die Sterblichen oft schmerzlich beneideten. Flora, schön und hochmüthig wie Juno, empfand gleiche Qual, gleiche Sehnsucht nach den Thränen ihrer Kindheit, sie hätte gerne Feuer geweint, umsonst!
Müde zum Sterben fühlte sie sich. Aber je elender, um so trotziger, lautete ihre Parole, zurück konnte sie nicht mehr, also vorwärts! Flora hatte der Excentrizität Weiblichkeit und Sitte geopfert, sie hatte der Gesellschaft den Fehdehandschuh hingeworfen, — bereuen wollte sie nicht, lieber jede Enttäuschung ertragen, nur nicht die Demüthigung, eine Büßerin zu werden und der Hochkirche damit einen Gefallen thun.
Sie riß Edward's Brief kurz und klein und ließ die Papierfetzen theils zum Fenster hinausflattern, theils drehte sie sich Papilloten daraus. „Vivo l'ainoui-st vlvs la dagatells!" sangen leichtfertig ihre vollen granatrothen Lippen, um das Pochen, das mahnende Pochen in ihrer Brust zu übertönen, und
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aus einem Flacon goß sie Eßbouquet, das neueste, vom Prinzen von Wales acceptirte Parsümwunder, auf ihre Manschetten aus poiuts ä'Fiiglrwerre, bespritzte damit ihr Jabot, ihre Locken und athmete lechzend den feinen, rasfinirten Duft.
Draußen schluchzten die Nachtigallen, und der Thau glänzte wie Thränen auf dem Grase. Hatte Flora's guter Engel im Vorüberschweben geweint?
Nachdem die Becherschwinger spät auseinandergegangen waren, schwärmte Charles Mathews durch den Park in.den Forst hinaus, um das Dach des Pächterhauses von Weitem bei Mondschein zu sehen und heimlich zu grüßen.
Tief in der Nacht oder vielmehr gegen Morgen kehrte er zurück.
Charles' leichter Schritt hatte bald George's Schwelle erreicht. Behutsam öffnete er die mit grünem Tuch bekleidete Thüre und betrat Lord Byron's Schlafzimmer, genannt „des Tigers Rückhalt", welches dicht neben dem halbverfallenen, unbewohnbaren Theile der Abtei lag.
Das auffallend niedrige, sehr breite Bett, dessen Baldachin von vier vergoldeten, gekrönten Säulen getragen wurde, umwallten grünseidene Vorhänge. In Hemdärmeln lag der junge Gutsherr darauf hingesunken, scheinbar von Schlaf überwältigt. Neben ihm brannten gelbe Wachskerzen in einer dreiarmigen, silbernen Girandole. Die Stndirlampe ans dem Schreibtisch war dem Erlöschen nahe. An den Wänden befanden sich Aquarelle der Universitätsstadt Cambridge und der Nationalschule Harrow; Boats- wain's Porträt, von einem damaligen Landseer in Oel gemalt, und ein halbvollendetes Pastellbild, den Box- und Fechtmeister Jackson darstellend.
Charles schloß das Fenster, da es morgendlich kühl hereinwehte, und breitete eine leichte Seidendecke über den Schläfer, daraus wollte er sich entfernen, das eigene Lager endlich ausznsuchen, doch zog es ihn magnetisch nach des Freundes Schreibtisch. Die daraus befindlichen Bücher kannte er so gut wie auswendig: Pope's Homerübersetzung, dessen Satiren, — denen Byron einen Kultus widmete; — Tausend und eine Nacht; die „Diavolessa" Casti's — woraus der spätere Sänger des „Don Juan" den Schiff- brnch zum Theil entnommen haben soll; — Com- modor Byron's „Reise um die Welt"; Scott's „Fräulein vom See", Voltaire's Romane und so weiter. Ein Heft der neuesten Lieder des Poeten 6n vogus, Wordsworth, lag noch unter Kreuzband zwischen Landkarten und Papieren. Charles' Falkenblick spähte nach Manuskripten — siehe da! auf einem abgerissenen Zettel standen mit Bleistift einige Verse geschrieben; Charles verschlang sie athemlos:
„Frieden! — Was Frieden? Ruhe der Verzweiflung,
Das Schweigen eines unbetret'nen Waldes,
Nur unterbrochen, wenn der wilde Sturm
Dahinfährt durch das ächzende Gezweig —
So ist der Zustand meines müden Geistes,
Bald dumpf, bald krampfhaft —"
„O, dieser Mollakkord," sagte sich Mathews, „gehört nicht in den Dnrton der begonnenen .englischen
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