Heft 
(1885) 37
Seite
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Sherwood von Julius Grosse.

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sich doch noch entschließen, und wer weiß, ob diese Reise an das schwarze Meer nicht der Anfang der Kriegserklärung und des Einmarsches ist?"

Diese Konjektur, so abenteuerlich sie war, wurde mit allgemeinem Enthusiasmus begrüßt. Man erhob die Gläser und trank auf baldigen Einzug in Kon- stantinopcl.

Mir natürlich fielen wieder die Andeutungen Sherwood's ein. Er selbst hatte ja angeblich den Rath gegeben, daß sich der Kaiser persönlich seinen Truppen zeigen solle, um ihre Herzen zu gewinnen und die Verschwörer zu lähmen. Nun kam Alles genau so wie nach seinem Plan; ich hütete mich wohlweislich, mein Besserwissen geltend zu machen, aber ich schickte sofort Zu Sherwood, um ihn für die späteren Nachtstunden in meine Wohnung zu be­scheiden.

Bevor die Gesellschaft auseinanderging, nahm mich der Regimentskommandeur in einem Neben­zimmer beiseite.

Apropos, lieber Kamerad," sagte er,Sie könnten mir einen großen Dienst erweisen. Da sind Briese aus Smolensk wegen des Schlachtdenkmals.

Unser Regiment muß dabei vertreten sein, und ich wollte eigentlich selbst Hinreisen auch wegen der Remonteankäufe. Noch diese Woche ist Pferde­markt dort. Auch möchte ich selbst einen hübschen Zug Ukrainer für meinen Stall, und wo bekommt man sie besser als dort? Wie nun die Dinge liegen, darf ich nicht fort. Jeden Tag kann der Kaiser eintreffen, und ich muß am Platze sein. Wollen Sie nicht die Güte haben, an meiner Statt diese Sache zu übernehmen?"

Warum nicht, Herr General?"

Dann müssen Sie aber sofort reisen, schon morgen. Hier nehmen Sie die Papiere wegen des Komites in Smolensk, Sie finden meine Ansichten schriftlich beigefügt, auch die nöthigen Vollmachten wegen Ankaufs der Pferde. Glückliche Reise, wenn wir uns nicht mehr sehen sollten."

Als ich nach Hause gekommen, ging ich die über­nommenen Papiere noch einmal durch, um mich zu instruiren. Was das Schlachtdenkmal für die Ge­fallenen von 1812 betraf, wollte das Komite zuerst nur Vorschläge. Unser Regiment hatte sich in jenen blutigen Kämpfen besonders ausgezeichnet, und es war ein Akt der Courtoisie seitens des Komites, daß unsere Wünsche dabei gehört werden sollten.

Die Remonteankäufe für das Regiment fanden alljährlich in Smolensk statt. Dießmal hatten sie sich bis zum Winteranfang verzögert.

Also eine Reise nach Smolensk. Sonst wäre sie mir aus mehrfachen Gründen willkommen ge­wesen, jetzt dagegen, da der Besuch des Kaisers be­vorstand, konnte mir nichts Fataleres begegnen. Allein ich hatte einmal mein Wort gegeben und mußte ge­horche«.

Während ich meine Sachen einpackte, erschien Sherwood.

Herr Oberst haben befohlen."

Allerdings, ich wollte Sie Verschiedenes fragen.

Wissen Sie schon um die neueste Botschaft aus Petersburg?" Doch bevor er antwortete, kam mir

ein anderer Gedanke.Lassen wir das jetzt, wir können unterwegs davon reden. Wollen Sie mit nach Smolensk? Ich bin im Begriff, morgen ab­zureisen."

Nach Smolensk o mein Gott!" rief Sher­wood erregt.Wenn das möglich wäre aber was soll ich dort?"

Und Sie fragen noch als wenn Sie nicht Weib und Kind dort hätten? Also begleiten Sie mich. Ich will es nicht befehlen, aber ich stelle es Ihnen frei."

Sherwood fuhr mit der Hand in sein volles Haar und stampfte mit dem Fuße auf.Es ist ganz unmöglich, Herr Oberst! Meine Geschäfte lassen mich nicht fort. Ich darf keinen Tag ver­lieren; möglich auch, daß ich sehr bald wieder nach Petersburg berufen werde."

Dort haben Sie jetzt nichts zu thun," sagte ich. Wissen Sie denn nicht, daß der Kaiser auf Reisen ist?"

Ja wohl angeblich nach Odessa, das ist mir längst bekannt."

Nach Odessa und dann in alle Militärkolonieen, wie Sie selbst angerathen, also auch hieher. Ich gratulire zu dem Erfolge, mein Freund, freue mich, daß Ihr Vorschlag Beifall gesunden."

Mein Vorschlag Herr Oberst ja, wenn's so wäre, aber so stehen die Dinge nicht."

Aber Sie hatten doch zur Reise gerathen? Nun, es ist nur meine Vermnthung"

Recht schön, Herr Oberst; leider habe ich andere Gewißheit o diese verwünschte Reise! Freilich bin ich die Ursache davon, aber was jetzt geschieht, ist Alles gegen meinen Rath und gegen meinen Wil­len. Fällt dem Kaiser gar nicht ein, in die Militär­kolonieen zu kommen oder hieher, auch nicht nach Odessa. Er reist nach Taganrog an das asow'sche Meer und immer weiter, so weit er kann."

Was meinen Sie damit sind Sie denn all­wissend?"

So etwas davon," sagte Sherwood lachend, und es gehört kein Scharfsinn dazu. Ich will Ihnen noch mehr sagen. Seit meinen Enthüllungen hielt man die Sicherheit des Kaisers für bedroht. So ist's, Herr Oberst. Fort aus Petersburg, fort aus Moskau, fort bis in die entlegensten Winkel des Reichs. Zu dieser Reise hat ihn Araktschejef gezwungen in seiner Polizeiweisheit. Dieser Mensch wird ihn noch vollends in's Unglück stürzen!"

Wie so? Das verstehe ich nicht."

So lassen Sie die Thatsachen reden. Erst sprach man von Odessa, jetzt von Taganrog, morgen wird man von Taurien reden oder dem Kaukasus. Der Kaiser hat nirgends mehr Ruhe und Frieden. Uebrigens folgt ihm der ganze Kriegsrath die Generale Diebitsch und Tschernitscheff, Tatitscheff, Kutusow und Paskewitsch. Oder wollen Sie es noch deutlicher? Es heißt, der Kaiser ist gemüthskrank seit jener Erschütterung, seit jenen Enthüllungen, die er hat nicht glauben wollen. Ja, die Namen, die Namen! Er hat die Liste vernichtet, aber die Namen brennen ihm in der Seele fort. Das scheucht ihn rastlos von dannen, von Ort zu Ort. Ich aber werde ihn dennoch kuriren, Herr Oberst!"