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Deutsche Nornan-Sibliothek.
„Sied" — Ich sah den Menschen vom Kopf zu Füßen an.
„Ja, ich, Herr Oberst, und kein Anderer, trotz Araktschejef und trotz seiner Legionen von Spionen. Es ist ein schwerer Kamps, aber ich werde ihn gewinnen, und ich bin lustig beim Werk! Wissen Sie denn, meine Warnungen haben wie Donnerschläge gewirkt. Viele haben, seit sie wissen, daß der Kaiser- Alles weiß, den Kopf verloren. Es hat Szenen gegeben mit Pestel, Murawieff und Juschnesski. Die allein halten aus — auch Andere mit ihnen. Einen Preis haben sie gesetzt auf den Kopf des gewissen Jamestown, aber der ist ihnen ungreifbar. — Sie ahnen nicht, woher der Streich kommt, und beschleunigen vielleicht ihr Werk, aber gesorgt ist für Alles, und dieser Intendant entgeht mir auf keinen Fall. Aber wie gesagt, die meisten Anderen sind irre geworden. Lwowitsch hat Urlaub verlangt, ebenso Licharew, Sochatzki, Poggio, Jafimowitsch, Wad- kowski und vierzig Andere. Alle reisen demnächst in's Ausland."
„Aber Bester, solche Abreise gleicht ja einer Flucht."
„Und was liegt daran?" erwiederte Sherwood. „Ist der Urlaub einmal genommen, wer fragt darnach, wie er verwendet wird?"
„Und wenn er dennoch verweigert würde? Nein, mein Freund. Diese Maßregel kann Alle in's Verderben stürzen. Bedenken Sie doch, daß solche massenhaften Urlaubsgesuche dem Minister auffallen müssen.. Besitzt er auch keine Namensliste, so muß er die Verschwörer gerade an den Gesuchen erkennen."
Sherwood erschrak. „Daran habe ich wirklich nicht gedacht. Aber der Graf soll es wagen. — So lange der Kaiser lebt, darf er meine Maßregeln nicht kreuzen. Uebrigens ist jetzt seine Hand gebunden durch die Tragödie in seinem Hause. Die hält ihn fest wie einen Tiger in seinem Käfig."
„Von welcher Tragödie reden Sie?"
„Von der nämlichen, die ihm damals aus Grusino berichtet wurde. Ganz Petersburg ist seitdem voll davon. In Kürze: Der Allmächtige hielt sich aus seinem Landsitz eine Sultana, ein schönes Weib, wie man sagt, aber eine abscheuliche Kreatur, die zum Zeitvertreib ihre Leibeigenen knuten ließ, selbst die armen Kammermädchen. Eine davon hatte einen Bruder. So ein armer Teufel fühlt auch seine Galle, und das Maß ward voll. Um die Schwester zu rächen, hat er die Sultana ermordet. Schöne russische Zustände das! Wie der Gras die Kunde damals ausgenommen, wissen Sie schon. Er soll sich drei Tage lang eingeschlossen haben. Dann ist er nach Grusino hinaus, und das Ende kennt man noch nicht."
Diese Dinge waren mir zwar neu, aber nach Allem, was man über die häuslichen Verhältnisse des Grafen hörte, kaum überraschend. Ich brach davon ab und stand auf.
„Es wird Zeit, daß wir enden. Mögen Sie es mit Ihrem Gewissen ausmachen, die Schuldigen erst Zu verrathen und dann dem Gesetz zu entziehen."
„Was wollen Sie?" unterbrach er mich, „so blind großmüthig sind wir nicht. Mögen die Rädels
führer sich in ihrer Schlinge fangen. Gewarnt sind nur, die mir näher getreten, vor Allen Wadkowski. Ich wußte es im Voraus: er hat Vernunft angenommen, und ich denke, er reist nicht allein. O, er ist glücklich jetzt. Oberst, — es ist so schön, Anderen zu helfen, selbst wenn man sich selber am wenigsten helfen kann."
„So hat er also gewußt, daß Sie ihn warnten?"
„Bewahre; meine Warnung war namenlos, aber meine Verbündete war Tatiana. Ich sagte Ihnen ja, daß ich alle Mißverständnisse weggeräumt. Nach den letzten Nachrichten sind Beide jetzt versöhnt, und es gibt Hochzeit beim alten Uschakoff, dann fort in's Ausland!"
„Am besten, Sie faßten einen gleichen Entschluß. So könnte auch Ihr Geschick zur Wendung kommen. Wie ist es, Sherwood — gehen Sie mit nach Smolensk?"
„Unmöglich, Herr Oberst, Sie kennen meine Lage und meine Ansichten."
„Und haben Sie sonst dort nichts zu bestellen?"
„Tausend Grüße an meine Frau und mein Kind. Sie machen mich glücklich, wenn Sie sie aufsucheu wollen. Ich würde Ihnen einen Brief mitgebeu, wenn ich nicht erst vor drei Tagen geschrieben hätte. Aber für mein Kind müssen Sie etwas mitnehmeu, wenn noch Zeit ist — einen Korb voll Früchte, Spielzeug, ein Kleidchen — mein Gott, wenn man Alles nur sogleich haben könnte! Sagen Sie meiner Frau, sie möchte öfter schreiben; ihr langes Schweigen beunruhigt mich."
„Wissen Sie denn auch bestimmt, ob sie noch dort ist?"
„Wo sollte sie sonst sein? Warten Sie, ich hole nachher ihre genaue Adresse, sie hat ihre Wohnung verändert seit Ostern, aber sie hat gute Leute gefunden, ist auch sonst nicht verlassen. Denken Sie, der französische Friseur aus Tarussa, Monsieur Par- chemin, ist jetzt auch in Smolensk. Er hat es beim alten Uschakoff nicht länger aushalten können. Und er hängt an meiner Frau wie ein treuer Pudel; so hat sie doch einen Menschen, mit dem sie plaudern kann von daheim. Sagen Sie ihr: meine Schiffe steuern mit vollen Segeln, mein Land ist in Sicht, aber ehe ich sie nicht mit vier Pferden abholeu kann in allem Glanz, will ich sie nicht Wiedersehen. Sagen Sie ihr, sie soll sich gute Tage machen; an Mitteln fehlt's ja nicht, ich habe genug geschickt. - Wenn sie sonst fragt, sagen Sie, ich sei obenauf, sei lustig und ansgelassen, ich baute am Gebäude unseres Glücks, und alle Teufel ständen in meinem Solde. Sagen Sie ihr, was Sie wollen!"
Der Mensch war wie berauscht, und doch müßte ich die Wahrheit verschweigen, wenn ich nicht sagte, er war liebenswürdig chevaleresk, imponirend in seinem Stolz, seinem Selbstvertrauen, seiner Siegeszuversicht, ganz allein mit der Verschwörung fertig zu werden.
Ich drückte ihm beim Abschiede die Hand, und. mit Tagesanbruch des nächsten Morgens reiste ich ab, fest entschlossen, irr der einen oder andern Weise etwas für ihn zu thun. Obwohl wir schon Ende November hatten und Rußland tief eingeschneit war, war die Luft ungewöhnlich mild und der Himmel