Sherivood von Julius Grosse.
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wolkenklar, so daß ich auf den festen Bahnen und in gutem Schlitten rasch vorwärts kam.
So war es denn eine wahre Lustreise wie im Spätherbst und die beträchtliche Entfernung von siebenhundert Wersten — so viel mag es von Novomir- gorod bis Smolensk sein — wurde in zehn Tagen durchmessen.
Vielfach beschäftigte mich unterwegs der Gedanke an Sherwood's Frau. Die schöne Nadjeschda, die unglückliche Tochter meines Freundes Uschakoff, endlich kennen, zu lernen, war schon lange mein Wunsch gewesen. Was ich denn eigentlich beabsichtigte, war mir keineswegs vollkommen klar. Die Wiedervereinigung der beiden Gatten blieb freilich das letzte Ziel, aber auch die Wünsche der jungen Frau mußten dabei gehört werden. Mangel konnte sie wohl nicht leiden, denn Sherwood schwamm im Ueberfluß, aber wie stand es sonst mit ihrer Lebenslage? Sherwood's Scheu vor einem Wiedersehen war mindestens auffallend, und seine Aeußerungen über ihr Leben im Exil waren immer zurückhaltend gewesen.
Ich mußte auch den Fall annehmen, eine leichtsinnige, schöne Frau zu finden, die vielleicht ein ungebundenes, freies Leben führte und von ihrer Unabhängigkeit wie von den Reizen des Stadtlebens seitdem verwöhnt worden war. An Zerstreuungen, auch an Versuchungen konnte es nicht fehlen. Und eine Dame, die bereits als junges Fräulein rückhaltlos der Leidenschaft nachgegeben, war auch später nicht ganz sicher vor sich selbst. Mit einem Wort, es war eine wohl aufzuwerfende Frage, ob Frau Nadjeschda sich selbst tadellos gehalten. Sherwood's früheres Wort, daß seine Frau durchaus nicht geneigt sei, Smolensk zu verlassen, weil es ihr dort gefalle, konnte seine besondere Bedeutung haben, die der junge Abenteurer selbst nicht erwog oder erwägen mochte.
Die Reise über Kiew und Mohilew ging, von einigen ärgerlichen Auftritten mit Spitzbuben von Wirthen unterwegs abgesehen, ohne störenden Zwischenfall von Statten.
Je näher wir endlich Smolensk kamen, desto dichter die Schaaren von Schlitten, Reitern und Wagen, auch von einzelnen Truppen, die aus den Lagercantonnements in ihre Garnisonen zurückzogen. Muschiks und Krämer, Kosaken und Roßhirten mit ganzen Koppeln zogen an uns vorüber.
In der Stadt selbst wie in ihrer Umgebung herrschte eine ungeheure Bewegung, denn die Pserde- märkte von Smolensk sind kaum minder berühmt wie die Messen von Nischnij Nowgorod. Ich kannte Smolensk noch, wie es vor dem Brande gewesen, aber jetzt schien es wie ein Phönix aus der Asche erstanden. Die alten Holzbaracken am Dniepr hin waren durch neue steinerne Bauten ersetzt worden. Auch sonst war viel für Verschönerung geschehen, und nun vollends das bunte Bild des heutigen Marktes. Auf den weiten Wiesen am rechten Flußuser hin, wo man den Schnee weggeränmt hatte, erhob sich eine ganze Steppenstadt von Buden, Baracken, Schuppen und Zelten. Tausende von Pferden stampften den Boden, Peitschenknall und
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Gewieher, Geschrei und Gesang und ein unermeßliches Tosen der Volksmenge erfüllte die Lust.
Auch sonst in der Stadt gab es des Lärmens und bunten Treibens genug. Eine Schaar voll Bürgern und Bauern, darunter auch viele Weiber und Soldaten, zog in großer Prozession zur Kirche, um für den Sieg der Griechen zu beten und laut zu demonstriren. Auch hier überwog die Deutung, daß die Reise des Kaisers in den Süden eine politische Bedeutung habe und daß man jeden Tag die Kriegserklärung erwarten dürfe, wenn Gott das Herz des Zaren nur lenken wolle. Besondere Schlauköpfe sahen in diesem Pferdemarkt nur eine verschleierte Mobilmachung in bester Form, wie in der Aushebung der Revue nur die Vorbereitung zum Abmarsch. So das Volk. Wir von der Armee wußten wohl, daß eine Mobilmachung des Heeres sich nicht über Nacht vollzieht und daß die Jahreszeit für einen Feldzug schlecht gewählt gewesen wäre. Aber wir hatten doch unsere Freude an diesem lärmenden Ausdruck der Volksstimmung.
Gleich am Morgen des nächsten Tages nach meiner Ankunft erledigte sich die Hauptsache auf der Kommandantschaft. Es gab viel Streit und Parteiung wegen des Denkmals auf dem Schlachtfelde. Die Aengstlichen wollten Frankreich nicht beleidigen, dem wir so viel verdankten, wie sie sagten. Den Altrussen dagegen war keine Demüthigung stark genug. Dann kamen noch andere Meinungsverschiedenheiten. Die Mehrzahl der Regimenter, welche vertreten waren und auf Befehl von Oben beigesteuert hatten, wünschten eine Säule mit den Statuen Kutnsow's und Bagration's, die anderen dagegen wollten nur eine eiserne Pyramide, wie das Denkmal später auch ausgeführt ist. Damals fehlte es in Folge der raschen Abreise des Kaisers an einer Mittheilung der allerhöchsten Wünsche, und so wurde die Beschlußfassung einstweilen vertagt, zumal sich für den kostbareren Plan auch in Petersburg kein passender russischer Künstler finden wollte, und einem Ausländer mochte man die Sache nicht übertragen.
Selbstverständlich konnte es nicht fehlen, daß ich unter der Menge von Militärs, die damals in Smolensk zusammengetroffen, manchen alten Bekannten und Kriegskameraden wiedersah. Die Stunden verflossen in heiterer Geselligkeit, und ein kleines Fest folgte dem andern, wie es Brauch und Sitte unter guten Freunden und zumal im lärmenden Jahrmarktstrubel. Auch die Angelegenheit des Pferdekaufs ward mit Glück erledigt. Die Kameraden halfen mir bei der Musterung der Remonten. Nach manchem Feilschen und Handeln gelang es auch, für meinen Obersten einen prachtvollen Zug rabenschwarzer Hengste zu erstehen. Darüber war so ziemlich der ganze Tag vergangen. Schon au diesem Abend fiel mir Manches auf. Bei allem ausgelassenen Ton, der sonst bei solchen kleinen Bacchanalen zu herrschen pflegt, machte sich dießmal eine gewisse Gedrücktheit geltend. Viele der alte:: Kameraden benahmen sich zurückhaltend und verschlossen. Andere saßen flüsternd beisammen und warfen scheue, vorsichtige Blicke um sich. Kam mau in ihre Nähe, so schwiegen sie plötzlich.
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