Heft 
(1885) 37
Seite
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Deutsche Roman-Bibliothek.

Einmal allerdings, als ich unversehens in eines dieser bunten Zelte trat, wo man Trinkgelage hielt, wurde ich unvermuthet Zeuge einer erregten Debatte. Im Klingen der Gläser und im Geräusch verschiedener Instrumente, welche einen ohrenzerreißenden Lärm vollsührten, hatte man meinen Eintritt überhört.

Laßt nur die Revue absagen. Die Gelegenheit kommt wieder und besser als dießmal. Dann heißt es Tod allen Romanows!"

In diesem Augenblick wurde ich. bemerkt; Einer stieß den Andern an.Der kommt vom Süden, ist nicht von den Unseren." Zu meinem Staunen er­kannte ich unter meinen alten Kameraden auch Andere, denen ich lieber nie wieder begegnet wäre, seit ich von ihren Umtrieben wußte. Außer Licharew und So- chatzki auch Jafimowitsch und den jüngeren Davidoff. Unsere Begrüßung war kühl und gemessen; man stellte mir den Gutsbesitzer Poggio und den Inten­danten Juschnefski vor, dann trat Schweigen ein. Nun wußte ich, daß ich mich gleichsam im Haupt­quartier der Verschwörung befand, denn gerade diese Namen waren mir unter den Häuptern der geheimen Gesellschaft genannt worden.

Meine anfängliche Bestürzung wandelte sich erst in Freude, als ich erfuhr, daß man ein Abschieds­bankett feiere. Mehrere der Anwesenden, hieß es, hätten Urlaub in's Ausland genommen und würden demnächst abreisen. Nun kannte ich den Grund dieses Entschlusses recht wohl und es fiel mir ein Stein vom Herzen, daß diese gefährlichen Menschen den Boden von Rußland räumten.

Aber diese Freude dauerte uicht lange, denn noch im Laufe desselben Abends erschienen neue Gestalten. Der Oberst Paul Pestel, der wilde Murawieff Apostol und der Lieutenant Bulgari, diese neuen Mirabeans, Cromwells und Napoleons, wie sie sich am liebsten nennen hörten. Ich kannte den Einen und Andern aus früheren Jahren und gab mir Mühe, den alten kordialen Ton anzuschlagen.

Sie aber stutzten schon bei meinem Anblick in diesem fremden Kreise und wechselten rasch fragende und flüsternde Worte mit den anderen Anwesenden.

Pestel's Erregung war indessen so groß, daß er sich auch jetzt nicht mäßigen konnte, und deutlich hörte ich seine halblauten Worte, die er Zu Licharew und Sochatzki herübersprach.'Feiglinge seid ihr, die sich von einem Schreckschuß lähmen lassen. Wer ist dieser Jamestown? ein Nichts, ein Gespenst der Phantasie. Wenn der Kaiser wirklich Alles weiß, kennt er auch unsere Macht. Er soll sich nur rühren, aber er wagt es nicht!"

Und wieder nachher:Warum wollt ihr noch reisen? Ihr müßt bleiben! Die Kunde ist sicher. Etwas wird geschehen, etwas Ungeheures. Ich sage euch, der Stein kommt in's Rollen, und euch wird lebenslang die Schmach decken, daß ihr fern ge­blieben"

Und Bulgari sagte zu Juschnefski:Murawieff gibt hundert Flaschen Sekt, wenn's wahr ist, daß er selbst hieher kommt. Und er wird und muß kommen. Dann werden wir mit ihm fertig auch ohne Nordbund!"

Vorsicht!" flüsterte jetzt plötzlich ein Anderer,

der hereintrat.Die Luft ist unrein. Ich weiß aus bester Quelle, daß General Roth gestern nach Tagan- rog abgereist ist. Und Maiboroda hat sich erschossen in Tultschin. Auch einer von den Wissenden. Die Sache will mir nicht gefallen. Ich fürchte, es gibt noch mehr Jamestowns!"

Diese Kunde wirkte wie ein Schreckschuß. Pestel gerieth darauf in leidenschaftliche Erregung, so daß er ganz meine Anwesenheit vergaß.

Jetzt ist Alles einerlei. Und wenn Alles ver­loren, so schlagen wir allein los. Die Minen sind geladen, und ich warte nur auf einen Ruf. Dann mögen sie springen. Kommt beiseite, ich sage euch mehr. Ihr Feiglinge aber müßt bleiben. Zum Teufel mit eurer Reise!"

Dann traten jene Häupter schleunig in eine Hintere Abtheilung des Zeltes, wo sie unbeobachtet waren. Andere folgten ihnen, erschreckt, aufgeregt und finster entschlossen, als wenn man sich am Vor­abend eines Schlachttages befände. Zu welchem jetzt entscheidender Kriegsrath gehalten werden sollte.

Es schien klar, die Verschwörung war auf dem Punkt auszubrechen, und sicher war es nur jene räthselhafte, in Zweck und Ziel unbestimmte Reise des Kaisers, welche die Verschworenen momentan verwirrte und unschlüssig machte oder andererseits zu unüberlegten, verzweifelten Entschlüssen spornte.

Und all' diese Menschen gingen frei und un­behelligt herum, obwohl ihre Pläne schon öffentliches Geheimniß waren. Warum nahm man die Gefähr­lichen nicht sofort fest? O, es war, als wenn auch die Gutgesinnten durch ihre Unthätigkeit schadenfroh an einem dunklen Werk mitarbeiteten und willenlos geschehen ließen, was Keiner zu hindern wagte. Ich hatte in dieser Beziehung noch in derselben Stunde mehrere stürmische und wichtige Unterredungen mit den ältesten und loyalsten Offizieren der Garnison, aber überall begegnete ich theils einem optimistischen Unglauben, theils einer gewissen Lässigkeit und Ängst­lichkeit, und alle meine Warnungen waren umsonst.

Die braven Herren, unter denen auch mancher ergraute Wüstling, gaben sich ganz den Bacchanalien des Tages hin; gegen Abend zogen sie gruppenweise in die Stadt, um anderen Versammlungen beizu- wohuen oder sonstigen städtischen Vergnügungen nach­zugehen.

Am Abend desselben Tages waren eigentlich meine Geschäfte erledigt. Die angekauften Remonten für das Regiment, sowie der Zug Ukrainer für den Obersten sollten am nächsten Morgen unmittelbar nach Novomirgorod abgehen. Mir selbst hatte ich für diesen dritten Tag den Besuch bei Sherwood's Frau aufgespart. Die neue Adresse, welche mir Sherwood mitgegeben, lautete auf einen gewissen Jakouschin, aber sein Haus am Dniepr am Abend noch Zu suchen, war es zu spät geworden. Auch am andern Tage gab es hundert Schwierigkeiten, jenen dunklen Ehrenmann aufzufinden, da er öfters die Wohnung gewechselt, und ich mußte die Hülfe der Pristaws in Anspruch nehmen. Bei dieser Gelegen­heit zog ich nähere Erkundigungen ein und erfuhr, daß dieser Jakouschin ein früherer Feldwebel und dann Steuerbeamter sei, der Unterschleifs halber seine