Heft 
(1885) 37
Seite
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Brutsche Rom

nahm sie aus der Küche eine Blechlampe, mit der sie voranschritt.

Ja, das schwere Unglück! Denken Sie nur, die liebe, süße Frau hat ihre Kleine verloren, erst vorgestern, die kleine, süße Annuschka, ein herziger Engel! Was würde ihr Vater gesagt haben, und wie oft hat sie gefragt und Küßchen hingeworfen mit den kleinen Händchen! Aber der böse Mensch kümmert sich ja nicht um sie, nicht gestern wie heut. Was waren das für schwere Zeiten! Erst Masern und Friesel, dann das Zahnen und nachher die Hitze im Kopf und am ganzen Leib. Monsieur Parchemin meinte erst, es wären Würmer, doch die kann man vertreiben, aber gegen das heilige Feuer ist kein Kraut gewachsen. Wohl sechs Tage hat der Engel nichts nehmen wollen, selbst nicht von Väterchen Jakouschin, keinen Quas und keine Kntya, und war doch so süß aber nein, nicht sehen von Weitem und so ist es gestorben, das Engelchen; aber gut aufgehoben ist es im Himmel besser als hier in der schlechten Welt. Seitdem hat sich Frau Nadja eingeschlossen und weint schade um die schönen Augen doch so ist sie immer; der böse Mann weiß gar nicht, was für eine Heilige sie ist warum schreibt er nicht seit Monaten nicht? Ach, daß Sie gerade heut kommen müssen!"

Machen Sie keine Worte mehr, Frau," rief ich ungeduldig;führen Sie mich zu der Dame."

Recht gern, Gospodin, recht gern. Aber ver­suchen es nur Euer Hochwohlgeboren selbst, ob man Sie einläßt. Frau Nadja ist jetzt manchmal und wie soll ich sagen?" und sie deutete auf die Stirn da drinnen geht es drunter und drüber, sie spricht tolles Zeug und hat sonderbare Einbildungen von Pracht und Herrlichkeit. Sie dürfen ja nicht Alles glauben, was sie sagt. Wir sind ehrliche Leute." Und damit schritt sie aus dem Korridor in einen andern dunklen Vorraum, während ihr Mundwerk immer weiter arbeitete.

Sie müssen schon entschuldigen, Gospodin. Früher wohnten wir schöner, noch vor einem halben Jahr an der Jsaakskirche, aber es wird nun bald besser werden. Wir kommen doch wieder auf, wir kommen wieder auf. Nikolai Jakouschin hat noch mächtige Fürsprache. Warten Sie, ich mache die Thür auf, daß Sie sehen."

Mir graute vor der Höhle voll Gerümpel und Trö­del, der jetzt erst sichtbar ward, als Frau Werotschka die Thür öffnete und mich einzutreten einlud.

Haben Sie noch mehr Miethsleute hier?"

Ja, früher wohl, Gospodin. Aber die waren wie Schatten auf der Sonnenuhr. Sind Alle fort, als es trüb wurde und wir herunterkamen. Nur Frau Nadja hat mit uns ausgehalten, die gute, fromme Seele hat mit uns getheilt Leid und Freud, Schnee und Klee, Krumen und Blumen, und noch jetzt sitzt sie den ganzen Tag bei der Arbeit, die Engelseele."

Bei der Arbeit wie meinen Sie das?"

Nun, was ist's denn? lauter ehrbare Arbeit, Gospodin, lauter Wunderwerke. Sie stickt für Klöster und Kirchen, jetzt eine Altardecke für den heiligen Sergius die Augen können Einem über­

an-Bibliothek.

gehen, wenn man das sieht. Können es glauben, Euer Hochwohlgeboren, sie bringt sich redlich durch und hätte es doch gar nicht nöthig, sich so zu Plagen, aber wir tragen Alles zusammen: Plack und Schnack, Salz und Schmalz, Brod und Noth. Seien Sie ja gut mit ihr o, Sie werden die Hände auf- heben vor der Frommen."

Frau Nadja also in Noth! Schon diese Ent­deckung setzte mich in Bestürzung, aber es sollte noch besser kommen.

Wir befanden uns jetzt in einem langen, weit­läufigen Zimmer. Ueberhaupt war die Wohnung groß, aber nur dürftig eingerichtet. Auf wurm­stichigen, uralten Schränken waren ausgebälgte Vögel zu sehen und Vasen mit Schilfblumen, auf einer sogenannten Servante das Modell eines Kriegsschiffs, daneben allerlei Geflecht aus buntem Stroh und weit­bauchige altrussische Humpen.

Nach dem Fenster zu stand eine gedeckte Tafel, besetzt mit allerlei kalten Speisen: Schinken, Fleisch, Silberlachs, Kaviar und Grütze, daneben Flaschen, Gläser und Leuchter von allen denkbaren Formen, wie sie nur in aller Eile zusammengeliehen werden; rings herum dreibeinige Stühle und Bänke, auch ein Zusammengesessenes altes Kanape, das Ganze die reine Karikatur einer Festtafel.

Was ist das?" fragte ich,feiern Sie ein Fest?"

Fest, o Gospodin, wie können Sie das so nennen! Es ist ja nur der Annuschka zu Ehren. Das lassen wir uns nicht nehmen. Wissen Sie, die Nachbarn und Hansleute warten darauf. So etwas darf man ihnen nicht entziehen. Sie kommen bald Alle; und wenn nur erst die kleine Leiche fort ist, dann wird's wieder lustig hier. Sie werden doch auch da bleiben, Gospodin, und uns die Ehre schenken. O, wir haben vornehme Leute, Tschinowniks und Grafen, auch der Jsprawnik und der Gorodnitschi mit dem Popen. Lauter brave Leute.

Endlich, nachdem wir noch ein kleines Vorzimmer durchschritten, standen wir vor einer niedrigen Thür, die außerdem von einer alten Portiere von ver­schossenem Kattun verhüllt war.

Frau Werotschka pochte an.

Frau Nadjeschda, Frau Sherwood, mein Engel, machen Sie auf!"

Keine Antwort.

Sehen Sie, so macht sie es immer, so macht sie es immer!" Und gleichzeitig wurden ihre Worte heftiger.

Aber, mein Täubchen, was ist das für eine Art. Auf der Stelle öffnen Sie, Sie haben nun genug gejammert. Oeffnen Sie, oder Sie machen mich böse. Sie kennen mich, Frau Nadja. Sie wollen entschuldigen, Gospodin," sagte sie dann zu mir,man muß mit dem Hühnchen bisweilen so reden."

Lassen Sie mir das Wort," sagte ich und schob das Weib beiseite.

Frau Nadjeschda Sherwood, bitte, wollen Sie mir Gehör schenken. Ich bringe Ihnen Nachricht von Ihrem Gatten aus Novomirgorod."

Sofort hörten wir deutlich sich Schritte nähern.

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