Heft 
(1885) 38
Seite
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Deutsche Roman-Bibliothek.

als die Welt liebt Ihr das Meer -- und wie das Meer flutet und ebbet, so wogt es um Euch auf und ab: Ruhm, Kampf, Sieg, Niederlage, Glück, Verlust, Ersatz. Dieß ist Euer Lebenslaus."

Und wird mir nirgends Ruhe werdend"

Ruhe kann Euer Wesen nicht vertragen."

Erschöpft trat das Weib vom Pferde Zurück. Byron neigte sich, ihr ein Goldstück in die Hand zu drücken.

Behaltet's," wehrte sie ihm,gebt mir dafür dieß Tuch," sie deutete auf einen weißen, ostindischen Foulard, der auf dem Bug des Sattels lag und nach Ambra duftete. Dabei lächelte sie wieder, und die Augen wurden weich und schmachtend.

Georg band das Goldstück in einen Zipfel des Taschentuchs und warf es der Wandersibylle zu. Diese schwärmte wie verzückt und traumverloren:

Ein König, ein König über Herzen und Geister! Ein König! Sagt' ich es nicht?"

Und sie schritt leichten Ganges ihrem Karren zu, den ein halbwüchsiger Bursch und ein Wolfshund bewachten.

Byron ritt langsam an ihr vorüber, Beider Blicke begegneten sich nochmals.Schade," murmelte sie halblaut vor sich hin,schade um die übrigen blanken Jünglinge: alles Blumen ohne Früchte, Blumen, die der Samum verweht und die Strömung mit fortreißt."

Hinter maigrünen Büschen verschwand das selt­same Weib und ihr kleines Gefährt.

Unwillkürlich wandte sich George Byron im Sattel um und blickte auf die Gruppe seiner Freunde Eddle- stone, Falkland, Eduard Noel Long, Mathews und Wingfield.

Mit ausgelassener Freude schwenkten diese ihre Hüte und riefen ihm nach:

Heil, Heil dem König über Herzen und Ge- müther! Rail, alt ball!"

Blumen ohne Früchte?" sann der Lord im Weiterreiten.Bah, wer wird auf das Geschwätz einer Betrügerin etwas geben? Indessen ihre orange­farbenen, abgrundtiefen Augen vergess' ich nicht so bald. Sie waren einen Lonisd'or und mein Taschen­tuch Werth."

Alles, was dem Orient verwandt, übte unabweis­baren, dämonischen Zauber auf den Sonderling von Newstead aus. Vom siebenten bis zum nennten Jahre las er nichts als die Märchen der Schehe- rezade; Lady Montague's Briese, Hawking's Ueber- setzung von Mignet's Geschichte der Türkei. Später wurde Backford'sVathek" sein Lieblingsbuch; er berauschte sich an dessen glühender Schilderung morgen­ländischer Zustände und schwärmte für Eblis, den türkischen Luzifer. Mit trunkenen Blicken spähte er nach dem Osten; ja, ein Fetzen levantinischer Seide, eine gute Damascenerwaffe, ein Tröpfchen Rosenöl steigerten sein ganzes Empfinden. Haremsgitter zu zerbrechen, eine Serailkönigin mit Antilopenaugen zu entführen galt seiner jugendlichen Einbildungskraft für das Höchste. Eine an Wahnsinn grenzende Toll­kühnheit und schrankenlose Neugier zog ihn nach dem Landeder Cypressen und Myrten" in die duft­schwüle, wollüstige Atmosphäre der Semilgeheimnisse,

der Haschischträume. Für eine Stunde fabelhaften Genusses sein Leben einzusetzen, darnach dürstete, lechzte, fieberte er wie Einer, dessen Gaumen, an Ingwer und Cayennepfeffer gewöhnt, nun auf noch stärkere Reizmittel lüstern ist.

In diese Träume und Visionen mischten sich zu­weilen, wie zarte Schneeflöckchen in glühende Lava, Erinnerungen an die süße Mary Chaworth. Noch hatte er keinen: Weibe zuliebe das Medaillon am schwarzen Bande abgelegt, noch besenfzte er es tief, nicht Mary's Gatte geworden zu sein.

Jrrthum und Illusion! Wie hätte ein monotones Leben an ihrer Seite demSänger der Verzweiflung" genügt? Seine Manfrednatnr war durch den stillen Liebreiz einer Miß Chaworth nicht zu fesseln. Der Vorwurf, den er Flora Gordon machte: ohne Szenen, ohne Aufregung nicht leben zu können, fiel auf ihn selber zurück. Entzweite er sich doch oftmals ab­sichtlich mit seinen Kameraden, nur um sich versöhnen zu können. Allzu sehr glich er in diesem Punkte einem leicht erregbaren Weibe; ebenso in seinem Eigensinn, plötzlichen Auffahren, Weinen und Aerger.

An einer Waldqnelle blieb sein Rappe stehen und trank in langen Zügen vom klaren Wasser. Einzelne vibrirende Waldhornklänge trug der Abendwind vom Tanzplatze in den Wald hinein.

Musik stimmte von jeher den Paradoxen, den Ungläubigen weich und versöhnlich, befreite ihn von allem Groll.

Es schien ihm plötzlich unwürdig und kleinlich, aufMaiblümchen" eifersüchtig gewesen zu sein, er gönnte seinem Charlie von Herzen diese llirtation (Tändelei), ja, unter dem unmittelbaren Einfluß der schmelzenden, zärtlich überredenden Töne wäre er gern der Beschützer dieses jungen, unmündigen Glückes gewesen.

Aber mein Königreich," lächelte er wehmüthig in sich hinein,wo, ach wo soll ich es suchen? In: Ruhm? Im Ehrgeiz? Außerhalb eines liebenden Herzens?"

Er verfiel in tiefes Nachdenken.

Hätte mich die Vorsehung Wider meinen Willen Zu etwas Höherem, als zum Epikuräer bestimmt?" grübelte er.Hm, dann hätte sie mir Fähigkeiten gegeben, und ich entdecke an mir nichts, als daß ich Sklave meines Herzens, meiner Sinne! O, wohl muß es lockend sein, durch die glänzende Gabe der Rede jede Partei zu gewinnen, wie ein Demosthenes, ein Cicero, ein Canning es vermag! Oder die Welt zu erobern durch unsterblichen Gesang, wie Dante zum Beispiel, die Hölle menschlicher Leidenschaften in tiefeinschneidenden Jammertönen zu schildern! Aber dazu bedürfte es der Energie, der Entsagung, der völligen Einkehr in das eigene Ich, und ach, dazu ist es zu spät!"

Der Rappe war fchrittweis in eine Kiefernallee eingebogen, George überließ sich dem klugen Thiere, es trug den jungen Gebieter an einen der großen, regungslosen Teiche, welche der Gegend von Notting- hamshire einen so eigenartigen Reiz verleihen. Im Wiederschein der Abendröthe erglänzte das Wasser rosenfarben und die Schwäne nahe dem Ufer eben­falls.