Heft 
(1885) 38
Seite
897
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Kinder der Flamme von Günther von Frciberg.

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Die ganze Schöpfung schien dem Jüngling Zu­zulächeln; doch er senkte beschämt den Kopf.

Sehnsucht nach geistiger Thätigkeit, nach einem großen, weihevollen Berufe, nach irgend welcher männlichen That hob ihm stürmisch den Busen. Jnstinktmäßig ahnte er, in der Ferne, unter fremdem, warmem Himmelsstrich, zu finden, was ihm fehlte.

Er sprang vom Pferde, ließ dieses grasen, und setzte sich ans einen Baumstumpf.

Ueber ihm breitete ein riesiger Jasminstranch die narkotisch duftenden Zweige aus; diese im Walde verirrte Gartenzierde mochte aus früherer Zeit her­rühren, wo ganze Partieen des Sherwoodforstes park­artig gehalten wurden.

O, daß eine Dryas in diesem Blütenbaume lebte," wünschte George,und mir Rath ertheilte, wie Egeria dem glücklichen Numa!"

Rath? Hatte nicht der kluge, hoffnungsreiche Mathews in jüngstvergangener Nacht Byron's besseres Ich wachgerufen und George den richtigen Pfad ge­deutet? Lag nicht die ganze Zukunft vor dem jungen Peer?

Umsonst! Ein feindlicher Geist der Finsteruiß vertrat ihm den Weg, riß ihn zurück in's Verderben, sobald er den Anlauf nahm, der Thorheit, dem Müßiggang zu entsagen. George rettete sich immer wieder in die Ironie hinein, in die Orgie, in Alles, was den Poeten systematisch tödten muß. Er neckte und verhöhnte den Tod im schäumenden Becher, er verachtete das Weib, indem er es in Männerkleider und Männersitten hineinzwang, er trat die eigenen Hauspenaten mit Füßen und lebte fern von der Mutter. Es war nicht poetische Fiktion, wenn er klagte:

Der Frühling meines Lebens ist vergiftet!"

Wer sollte ihm in Stunden der Erkenntniß das Gegengift reichen?

Ihm fror das Herz bei dieser Frage und er­schauderte vor der Jsolirtheit, dem hohläugigen Ge­spenst, dem er sich frevelnd geweiht hatte.

Ein Sprung in diese rosig leuchtende Tiefe und ich wäre frei," stöhnte er, seine Hände faßten kon­vulsivisch in's Gras und rissen Halme und Farren mit der Wurzel aus.Käme ich heute Abend nicht heim," lächelte er bitter,so wäre der allgemeine Alarm nicht eben sehr groß: Murrey würde flennen, auch Eddlestone allenfalls, wohl gar Charlie, das heißt, am weißen Halse des Liebchens; Hobby hielte eine wohlgesetzte Rede an meiner Bahre, recht von Herzen heulen würde nur Boatswain. Aber pfui, die Leiche eines Ertrunkenen sieht abscheulich aus! Antiuous besaß keine Eitelkeit, den Tod im schlam­migen Nil zu suchen."

Der schöne, verhätschelte Zeitgenosse des so­genanntenKravateukönigs" Brummel schüttelte sich bei dem Gedanken an Entstellung und Verwesung.

Aber ist das Alt- und Decrepitwerden nicht ebenso entsetzlich?" quälte er sich, ungeachtet der lieb­lichen Natur, welche im Brautschmuck leuchtete und ringsumher Hochfeste feierte.

Vögel tirilirten und die Nachtigall sang.

Und Byron zerbrach sich den Kopf, wie er durch

Deutsche Roman-Bibliothek. XII. 19.

einen rechtzeitigen, poetischen Tod die ganze Welt verblüffen könnte.

Denn lebend vermag ich nichts zu leisten," klagte er in tiefster Muthlosigkeit, die Wange an die kühlen Zweige des Jasminstrauchs drückend.

Tausend abenteuerliche Pläne durchkreuzten sein Hirn. Zuletzt fielen ihm die Augen zu, als er sie schlasbelastet wieder öffnete, schien Alles um ihn her- seltsam verändert: die Wölkchen am Himmel hatten sich in rosige, weichbefiederte Flamingos verwandelt; diese schwebten nieder zum Wasserspiegel, ihre Brust, ihre Flügel in den Wellen badend. ^Der Teich aber weitete sich zum Meere, zum tiefblauen und grün­schillernden. Prächtige Muscheln aller Formen, aller Farben lagen am Ufer, reizende Kinder mit runden Aermchen und dicken Füßchen kamen angelaufen, sammelten die Muscheln in Körbe und spielten mit den Flamingos.

Immer glanzvoller wölbte sich der Himmel, in feuriges Violett schmolz die Roseuglut.

Zuletzt schien das Universum sich aufzulösen in Gold und Lila.

Und die Jasminzweige legten sich kranzartig uni die Schläfen des Träumers, und er war sich bewußt, König von Atlantis zu sein, König des vielgesuchten, nie entdeckten Eilandes, wo der Tod seine Macht verlor, wo es keinen Winter, keine Armuth gibt. Zu seinen Füßen pickten Goldfasanen süße Körner, Antilopen traten aus den Büschen und schmiegteil sich an seine Kniee.

Jetzt erblickte er auch die Dryas, deren lang­bewimperte Augen halb gebrochen ans den weißen Blütensternen ans ihn herabsahen.

Sein Haupt sank rücklings tiefer in die Zweige hinein; es war, als vergingen ihm die Sinne.

Aber die kleinen Liebesgötter ergriffen ihn und trugen ihn durch die Lust dicht an das Meer, frische Brise umspielte ihn, er fühlte sich dem Leben zurück- gegeben.

Da glitt eine antik geformte Barke heran, am Bugspriet lehnte traurig ein geflügelter Jüngling schlanken, schmalen Leibes; hochaufgerichtet, nur den Blick gesenkt, stand am Steuer ein Mädchen in weißer Gewandung. Ach, es war ja die nämliche Dryade mit den umflorten Blumenaugen! Jasminduft quoll ans ihrem weichen, aufgelösten Haar, mitten in der Barke aber lag auf Myrten und Rosen gebettet ein Todter in regungsloser, feierlicher Pracht, das edle Antlitz dem Lichte zugewendet, im Arm ruhte ihm die goldene Lyra, seine Brust, seine Füße be­deckten Ruhmeskränze.

Den Schauenden am Ufer durchrieselte es, er stürzte auf die Kniee, denn in dem todten Dichter erkaunte er sich selber.

Aus der Tiefe des Meeres drang eine sanfte Trauermusik, als würde auf Aeolsharsen von Nixeu- hünden gespielt.

Auf einem Delphine schwamm die Zigeunerin im rothen Mantel hinter der Todtenbarke her und rang die Hände und klagte:Warum hatte er die beiden Sieben nicht in Acht, da ich ihn doch warnte? O, mein König, mein König!"

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