Heft 
(1885) 38
Seite
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Deutsche Noman-Sibliothek.

Mit Ausnahme einer kurzen Rast in eineni elenden Flecken, wo wir am nächsten Mittag frischen Vor­spann nahmen, war bisher die Fahrt ununterbrochen vorwärts gegangen; aber der folgende Tag war nicht so günstig.

Schon mit dem ersten Grauen des Morgens begann ein dichtes Schneegestöber, so daß wir nach einigen Stunden den Weg verloren. Glücklicherweise erreichten wir noch eine tief eingeschneite Waldschenke, wo wir uns eine Stunde Aufenthalt vergönnten, um ausznrnhen und Zugleich einen andern, des Weges kundigen Führer zu nehmen.

Auch hier hielten Kosaken vor der Thür, und zwar ein ganzes Piket, dessen Führer eifrig auf den Wirth hineinsprach und ihn über irgend etwas in- qüirirte. Auch erging an mich eine gemessene Frage nach dem Woher und Wohin der Reise, und mehr schien die große Eile, welche die Kosaken hatten, als mein militärischer Rang mich weiteren lästigen Fragen zu entheben. Dieß fiel mir ans und nicht minder die verstörte Miene des Wirths.

Als wir allein waren, stellte ich eine Anfrage an den Letzteren, er aber starrte mich mißtrauisch an, verließ kopfschüttelnd das Zimmer und kam nicht wieder zum Vorschein.

Sollte über Nacht plötzlich etwas Unerwartetes geschehen sein? Dieser Gedanke tauchte auf, aber ich verwarf ihn wieder, zumal mich Frau Nadjeschda beschäftigte. Ich bemerkte, daß sie sich in wachsender Unruhe befand und allerlei Fragen an den neu an­genommenen Knecht stellte.

Sie brauchen keine Sorge zu haben, werthe Frau," sagte ich.Die gefährlichsten Strecken haben wir hinter uns, und ich denke, noch heute, ja in einigen Stunden schon können wir am Ziele sein."

Schon heute?" erwiederte sie erstaunt.Ist denn Novomirgorod so nahe?"

Das nicht, aber Stanitza Tarussa. Ich bringe Sie zu den Ihrigen."

Aber Herr Oberst!" ries sie fast enttäuscht, haben Sie mir nicht Ihr Wort gegeben, mich zu meinem Mann zu bringen?"

Mein Wort? davon wüßte ich nichts. So­viel ich mich erinnern kann, haben Sie die Wahl mir sreigestellt. Aber wenn Sie es wünschen, nehme ich Sie auch nach Novomirgorod mit, später, in einigen Tagen. Zuerst wollen wir doch bei Ihrem lieben Vater vorsprechen."

Aber das ist doch wider alle Abrede," erwiederte sie verwirrt und in sichtlicher Aufregung. In welchem Licht muß ich vor ihm erscheinen und vor meiner Schwester - allein zurückznkehren wie eine Verlorene, Verstoßene. Was soll man von mir denken. Nein, nein, so geht es nicht!"

Aber so fassen Sie die Lage nicht verwickelter aus, als sie ist. Ueberlassen Sie auch mir ein ver­mittelndes Wort."

Und wenn auch," sagte sie,Sie kennen meinen Vater nicht und seine Vorurtheile. Alle Versuche, ihn milder zu stimmen, sind fruchtlos gewesen, und drei Jahre sind doch eine lange Zeit. Und nun soll ich unverhofft vor ihn hintreten, noch heute; nein, Herr Oberst, ich wüßte nicht, wie ich seinen Zorn !

ertragen sollte. Und dann alle die Anderen nein, es wäre unerträglich!"

Und so redete sie sich in ein Uebermaß von Be­fürchtungen und Selbstvorwürfen hinein, daß lange Zeit all' mein Zureden fruchtlos blieb. Endlich fiel mir ein Ausweg ein, der wenigstens zunächst das gefürchtete Wiedersehen hinausschob.

Gibt es einen Geistlichen in Tarussa?" fragte ich,und wie standen Sie mit ihm?"

Mit dem alten, braven Smirnoff, meinen Sie?" erwiederte sie.O, er hat mich auf den Händen ge­tragen von Jugend auf, bis Sherwood ankam. Dann freilich wurde Alles anders. Er mochte den Fremden nicht leiden, ich weiß nicht warum, und so hatten auch wir kein Vertrauen zu ihm trotz all' seiner Güte. Und wie soll ich nun vor ihm bestehen?"

Smirnoff? Ich kannte einmal einen Popen dieses Namens in Nicolajew vor zwanzig Jahren, einen meiner Lieblingslehrer in der Kriegsschule; es war ein leutseliger, unterwürfiger und schüchterner Herr. Sollte er seitdem auf das Land verschlagen sein? Vortrefflich, das konnte mir Vieles erleichtern.

Ich theilte Frau Nadjeschda meine Vermuthnug mit und schlug ihr vor, zunächst bei ihm vorzu- sahren. Von dort konnte sich alles Weitere ent­wickeln.

Dieser Vorschlag schien die erregte Frau endlich zu beruhigen, und so setzten wir am Mittag unsere Reise fort. Das Wetter hatte sich aufgeklärt und unsere frischen Pferde griffen muthig aus. Noch vor Sonnenuntergang tauchte der Giebel und das Thürmchen des Herrenhauses von Stanitza Tarussa aus den bereisten Wäldern.

Nadjeschda's Augen füllten sich mit Thränen, als sie die Heimat erkannte, und die vorige, kaum bezwungene Aufregung kehrte zurück.

Glücklicherweise war Wassili Smirnoff, der wür­dige Pope von Tarussa, heute zu Hanse. Er stand am Fenster, und zu meiner Freude erkannte ich in dem alten Herrn meinen einstigen Lehrer in Nico­lajew. Dieselbe hohe Gestalt mit dem breiten Ge­sicht und der apostolischen Stirn und den klugen, wohlwollenden Augen. Nur das lange Haar war schneeweiß geworden und seine Haltung gebeugt.

Eine alte Schaffnerin öffnete die Thür, als wir vorgefahren waren. Kaum hatte ich meine Bitte aus­gesprochen, Batjuschka * Smirnoff selbst zu sprechen, so erschien seine würdige Gestalt schon auf der Schwelle. Doch da er eine Dame an meiner Seite sah und ihre Erschöpfung bemerkte, ries er in das Haus nach seiner Frau und nach Dienstboten. Mit Ehrfurcht und Staunen wurde alsbald Frau Nadjeschda aus dem Schlitten gehoben. Niemand von allen An­wesenden schien sie wiederzuerkeunen, offenbar hielt man sie für meine Frau.

Aber Matuschka** Ustinja," sagte Frau Nadja, als wir im warmen Vorraum waren,habe ich mich denn so verändert, daß ich Ihnen fremd geworden bin? Nicht wahr," setzte sie traurig hinzu,mich haben Sie nicht erwartet nach so langer Zeit. Geben

* Väterchen.

** Mütterchen.