Ainder der Flamme von Günther von Frcitierg.
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affektirten Schmerz, seinen sentimentalen Phrasen, er ist ein Geck, ein Herzloser, ohne Gewissen, ohne —"
„Edward," wehrte sie seiner zornigen Wallung, „Sie haben Grund, Byron zu hassen, aber — predigen Sie nicht die Religion der Vergebung?"
Er bedeckte die Augen mit der Hand wie beschämt.
„Hätte er mein Leben allein zerstört," sprach er seufzend, „so wollte ich nicht mit ihm in's Gericht gehen!"
„Aber folgte ihm Flora nicht freiwillig?" hauchte sie.
„Desto schlimmer für ihn, mit kaltem Blute solche Schwäche, solche Verirrung zu seinem Vortheil auszunützen! Thörichte Flora! Auch sie wähnte, die erlogenen Thränen, welche dem Andenken der Mary Chaworth flössen, trocknen zu können!"
„Erlogene Thränen?! Fragen Sie meinen Bruder Arthur, was George Byron jahrelang um jene fühllose Mary gelitten hat! Nur Arthur's und anderer Freunde Zureden hielt den Verzweifelnden vom Selbstmorde zurück."
„O, Illusion," lachte Edward Gordon spöttisch, „Helen war es, das schöne, unglückliche Weib, welches ihn mit dem Leben versöhnte! Aus seinen Armen sank sie in's Grab; das war ihm pikant und gleichzeitig bequem, er hatte neuen Vorwand zum Weiterstöhnen."
„Helen? Wer ist Helen?" fragte Nancy gepreßt. „Edward, wo sind Sie, was starren Sie so in's Leere?"
„Verzeihung!" rief Edward mit Reue, „vergessen Sie, was meinen Lippen unbedacht entschlüpfte, gewisse Geheimnisse dürfen nicht entweiht werden; laßt ruhen die Todten! Es ist Gras darüber gewachsen — Friedhofgras."
Im selben Augenblick lachte eine Helle Kinderstimme von der Brücke herab:
„Da sind sie, mitten im Fluß auf nassen Steinen, hahaha! wie der Froschkönig und seine Königin! Mister Gordon, Sie müssen mir weiter erzählen vom wilden Jäger von Glengariff, der ein Elf ist und smaragdgrün gekleidet. — Nancy, Mama fragt nach Dir — und Mister Gordon, brachten Sie die kleine graue pu§8^ mit, die so schön schnurrt? Denn Sie ver- sprachen's, als wir neulich zum Besuch bei Ihnen waren, und die Katzenmadame mit ihren vier kleinen Pultes auf Ihrem Schreibtisch saß, und —"
„Still, Du Quälgeist," ließ eine Dame junonischen Wuchses sich vernehmen, „still, Charlot! Wie kannst Du nur unfern gütigen Freund so quälen?"
„Servus, Mylady," grüßte Edward Gordon. »Charlot, ckarllNF, Deine pu88^-63t begleitete mich, in ein seidenes Tüchlein gewickelt; frag' nur Betsy."
Die kleine, wildlockige Charlot sprang mit einem Schrei des Entzückens von dannen.
„Sie sind immer ein Freudenspender, Edward," sagte freundlich Lady Oxford, dem ihr Entgegeu- eilenden die Hand reichend.
Nancy begrüßte unterdessen ein Mann in gewählter Kleidung, dessen interessante Züge auffallend an die Bilder der venetianischen Schule erinnerten.
„Sir Thomas," sagte die Schloßherrin zu ihm, „ich stelle Ihnen den Reverend Edward Gordon vor, ein Johanneskopf, nicht wahr?" lächelte sie schelmisch; „manche Dame könnte ihm seine braunen Locken beneiden." Und zum stumm sich verneigenden Edward sagte sie: „Sir Thomas Lawrence, auch genannt Vaudyk reäivkvu5. Kind," wendete sie sich an Nancy, „morgen werden unsere Porträts begonnen, Sir- Thomas war so gütig, uns heute bereits eine Skizze in Sepia zu bringen."
„Hoffentlich wird es ein gutes Gemälde werden; selten kommt dem Künstler so siegreiche Schönheit entgegen wie hier," lächelte der berühmteste Maler der drei Königreiche, der die ungeheuren Geldsummen, die seine Kunst ihm einbrachte, regelmäßig im Billardspiel verlor. „Die Toiletten könnten nicht glücklicher gewählt sein: Mylady in einem idealen Morgenkleide aus gelber Gaze, wozu der wundervolle Teint, das nachtschwarze Haar trefflich harmoniren. Der Gürtel, die Agraffen aus tiefdunklen brasilianischen Amethysten dürfen nicht fehlen. Lady Nancy in Weiß, etwa eine Granatenblüte im Haar oder in der Hand; die füße kleine Lady Charlot möcht' ich nur in ihre Goldlocken und in Blumenguirlanden kleiden! Eine Baumpartie aus Oxfordpark als Hintergrund, hellsonnige Beleuchtung."
„Wir fügen uns blindlings den Anordnungen des liebenswürdigsten Farbenzauberers," versetzte Lady Oxford, welche in der Vollblüte des dreißigsten Sommers prangte, für gewisse Frauen der Zenith ihrer Schönheit.
Lawrence's Galanterieen und scherzende Antworten flogen im leichten Konversationston hin und her.
Da Sir Thomas die Gärten zum ersten Male sah, führten die Damen ihn zu den schönsten Punkten. Edward schloß sich ihnen gerne an; so starr anglikanisch er war, so willig nahm er in Oxfordhall den Platz eines Abbes ein und widersprach keineswegs, wenn er so betitelt wurde.
Nancy hatte keinen Hut auf, und die liebevolle, stets fürsorgende Stiefmutter, welche von Lord Oxford's Kindern erster Ehe vergöttert wurde, schützte das „Töchterchen" mit einem Sonnenschirm aus gelbem Atlaß, wobei sie dem jungen Mädchen verstohlen zuflüsterte:
„Liebchen, eigentlich bin ich in Sorge wegen Arthur, Papa hat den armen Jungen sehr kalt empfangen, wenn es nur nicht wieder eine Szene gibt zwischen Beiden!"
Ohne Nancy's Antwort abzuwarten, rief sie laut und heiteren Tones:
„Edward, nehmen Sie dieses Pensee, es ist gravitätisch genug für das dunkle Kleid, Euer Ehrwürden ! Ja, ja, Sir Thomas, dieser kleine Alabaster- Johannes ist eine Respektsperson, Pfarrer aus eigener Wahl, Pfarrer zu —stead bei St. Albans und erst sechsundzwanzig Jahre alt! — Die lockendsten Carriören standen ihm, dem Hochlandskinde, offen, doch er wollte ein Kanzelredner, ein Seelsorger werden wie Lorenz Sterne, von dem er die Empfindsamkeit und gelegentlich den Schalk hat. Er ist unser Aller Vertrauter; Lord Oxford fragt ihn um Rath, ich kann vollends nicht fertig werden ohne ihn; dasselbe