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Deutsche Noman-Sililiothek.
behauptet Nancy, und meine Charlot will ihn und nur ihn heirathen.
„"Aoll," meinte Lawrence, „wenn Mister Gordon sich noch fünf bis sechs Jahre geduldet."
„So wird er mein Schwiegersohn," lachte die in Gaze und Maß dahinrauschende Schloßherrin, welcher eine mehr französische, als britische Lebhaftigkeit zu eigen war.
Wehmüthiges Lächeln zuckte über Edward's hübsches Gesicht, während seine Gönnerin nicht müde wurde, in scherzendem Tone von seinen Verdiensten zu plaudern.
„Da Hochwürden von der Linie der Clan Kordons abstammen," nahm der Hofmaler das Wort, „so sind Sie wohl verwandt mit Mistreß Byron in Southwell, der Mutter des jungen, wunderlichen Lords ans Newstead?"
„Sehr weitläufig verwandt," sagte abwehrend Edward; so oft der Name Byron genannt wurde, fühlte er sich wie von einer Natter gestochen.
Auch die Damen fürchteten im Stillen, die Wunde des jungen xmstor Mg wieder Zu bluten ansangen, und waren daher dem Zufall dankbar, der in Gestalt eines gepuderten Kammerdieners plötzlich des Weges daher kam und ehrerbietig der Lady Oxford meldete:
„Ihre Gnaden Lady Mowbray fragen nach Mylady."
„Es ist gut, ich werde sogleich bei ihr sein," sagte die schöne ChLtelaine. Kaum hatte sich aber der Diener entfernt, so rief sie in komischer Verzweiflung: „Nun ist uns der ganze sonnige, wonnige Tag verdorben! Lady Mowbray? Sie sollte heißen ,Lady Mehlthau!' Ach, sie erscheint immer wie die weiße Frau als Vorbotin eines Unheils!"
„Geliebte Mama, warum ließest Du Dich nicht entschuldigen?" sagte Nancy.
„Herzenskind, damit wäre Papa unzufrieden gewesen."
„Entsetzlich, wenn sie zum Diner bliebe!" fuhr Nancy fort, „denn sie verklagt immer den armen Arthur beim Papa, sie tischt ihm bvrrours ans, die mein Bruder begangen haben soll."
„Aengstigen Sie sich nicht, meine Damen," tröstete der „Abbe", „ich werde Mylord nach Kräften besänftigen."
„Ja, Edward, helfen Sie uns! Arthur ist der orthodoxen Dame ein Dorn im Auge, weil er für Lord Woodhouselet's Uebersetzung der ,Räuber' schwärmt."
„Meine Herrschaften," lächelte der joviale Künstler, „fast glaub' ich mit Bestimmtheit, daß die gestrenge Lady den Rückzug ergreifen wird, sobald ich ans der Bildfläche erscheine. Sicherlich ruft sie bei meinen: unerwarteten Anblick: Latanws!' Auf Wunsch
oder vielmehr auf Befehl der gefürchteten Sitten- richterin malte ich nämlich das Porträt einer ihrer Nichten, ein armes, gemaßregeltes Ding, welches kaum Zn athmen wagt! Selbstverständlich hielt ich das Bildchen sehr bescheiden, das Kostüm so einfach als möglich, das Kolorit nichts weniger als brillant. Dennoch versetzte die nur sehr wenig dekolletirle Chemisenrobe Lady Mowbray in höchste sittliche Ent
rüstung! Sie schalt, dieß sei nicht ihre Nichte, sondern eine Lady Kingston^; genug, das Werk meiner Hände wurde barbarisch mit einer Nagelscheere in kleine Stücke geschnitten, mir selbst das ungeheuerlichste Anathema zugeschleudert."
Und während Nancy und Edward vorausgingen, um sich wider Willen in das Schloß hinein zu begeben, sagte der in seiner Künstlerwürde Gekränkte zu Lady Oxford:
„Bekanntlich flüstert man allerlei über die bewegte Vergangenheit dieser Frau, sie donnert gegen den Prinzen von Wales, weil er sich nicht dauernd von ihren verblühten Reizen fesseln ließ."
„Sie ist," sprach Lady Oxford seufzend, „die Verkörperung des landesüblichen ,eant,', der verächtlichsten Heuchelei, des schlimmsten Pharisäerthnms. Und doch übt eben diese Tyrannin auf gewisse Kreise einen Druck aus, der sich nicht erklären läßt."
„O Mylady, ganz England wird regiert von der Scheinheiligkeit."
„Das ist doch traurig," meinte die verständige, harmlos lebenssrische Lady Oxford, „denn es ruft entsetzlich viel Widerspruch hervor, ja, manches Ueber- springen der gesellschaftlichen Ordnung."
„Wir leben leider in einer gekünstelten und verzerrten Periode, wo das Dekorum, das Dogmatische einer bis zur Wurzel verderbten Gesellschaft zum Deckmantel dient."
„Ich bin Optimistin, Sir Thomas, und hoffe auf bessere, gesündere Zustände; die Weltlage ist Eine große Dissonanz, aber kann Napoleon's Zwingherrschast ewig währen?"
„Gesetzten Falls, Mylady, sie bräche schneller, als wir vermuthen, zusammen, so würde ich trotzdem bezweifeln, daß diese alte Welt sich verjünge, wenigstens von England erwarte ich es nicht. Was profitirten wir von der großen Revolution? Ich meine, von den reformirenden Ideen des Jahres 1789? Engherzigkeit und Vorurtheile sind nicht auszurotten; mit einem Worte, ,das alte System' wird uns, unsere Kinder und Kindeskinder überleben, denn es ist zähe."
„Malen Sie nicht allzu sehr Gran in Grau, verehrter Farbenzanberer, dem die lichtesten, glanzvollsten Nüancen zu Gebote stehen."
„Allerdings sollte man in diesem Aranjuez und im Gespräch mit der hochgesinntesten, reizvollsten Frau unser Eiland für ein gesegnetes erklären, ohne au seine finsteren Schattenseiten zurückzudenken!"
Auf der Schloßterrasse, welcher sich die Sprechenden näherten, zeigte sich die kleine, lachlustige Charlot, ihr Kätzchen ans dem Arm. Sie lief ihrer Mutter entgegen und zeigte höchst befriedigt das rosa Halsbändchen, womit sie das kleine, zutrauliche Thier geschmückt hatte. Nancy und Edward traten hinzu. Nancy warf dem Kätzchen einen Ball zu, es entstand ein Haschen und Jagen zwischen den beiden Schwestern und dem jugendlichen Murner, man lachte, man war guter Dinge und hatte den augekündeten, gefürchteten Besuch ganz vergessen.
* Eine wunderschöne, doch übelberüchtigte Aristokratin; welcher König Georg 1t. im 67. Jahre leidenschaftlich huldigte.