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Deutsche Noinan-SibLiothek.
ahnungslose Kind, in Kenntniß davon," sagte spitzen Tones Phöbe Alice, „ich thue unterdessen eineil Blick in's Modejournal; richtig, hier ist die gestrige Nummer mit den hübschen Mustern zu Almosentaschen, übrigens affröse Kleiderschnitte, Alles so indecent wie möglich."
„Nun? Der Franziskanerklub?" fragte Medora gespannt.
„Vernahmst Du, liebe Dora," versetzte der Lord, „nie den Namen Dashwood?"
„Vielleicht."
„Ein gewisser Lord Dashwood feierte Mitte des vorigen Jahrhunderts auf seinem Schlosse orgienartige Feste im Verein mit dem Poeten Savage und dem Satir Wilkes, dieser Karikatur Buckingham's. Man parodirte daselbst die Liturgie unserer Hochkirche. Wer dem Thürhüter ein ansehnliches Trinkgeld gab, durfte das Innere der Gemächer betreten und sich den sogenannten Freidenkern, ironisch,Franziskaner', verbrüdern."
„Wohlan," siel Lady Mowbray ein, das Journal ans der Hand legend, „die Dashwoodmysterien schändlichen Angedenkens sind von Neuem aufgelebt, ja, sie werden überboten durch nächtliche Zusammenkünfte in Newstead-Abbey bei dem Busenfreunde Arthur's, Lord Byron."
„Vergebung, Phöbe," rief lebhaft eifernd Medora, „das ist Verleumdung! Erkundige Dich bei der achtungswerthen Familie Pigot in Southwell, die den jungen Byron auf Händen trägt. Frage Graf und Gräfin Delawarre, sie werden Dir sagen, daß der vaterlose junge Mensch sehr excentrisch ist, allerhand Mucken hat — Ü68 trrrvarZ ä'ariglaw Würden die Franzosen sagen — daß aber jene,Orgien' auf eine unschuldige Maskerade hinauslaufen."
Die Anklägerin nahm eine noch tragischere Pose an und rang die weißen, gepflegten Hände.
„O Medora, rede dem jungen Sünder nicht das Wort! Verlaß Dich auf mich, Deine wohlunterrichtete Freundin. Meine frühere Kammerfrau Anabell Rushton, der eine ungewöhnliche Bildungsfähigkeit innewohnt, ein Geist, der sie über die Sphäre ihrer obskuren Geburt erhebt, Zog auf einen Pachthof bei Newstead; sie sagte und schrieb mir wahrhaft Entsetzliches über die gemischte Gesellschaft, welche den jungen Gutsherrn umgibt. Histrionen, Spadassins gehen bei ihm aus und ein; ja, den schönen Thierbändiger und den Athleten-Champion des Theaters von Sad- lerswells soll man bei ihm antreffen."
„Rathsam ist es keinenfalls," pflichtete Lord Oxford bei, „den Hitzkopf Arthur dort heimisch werden zu lassen."
„Aber der arme, unglückliche Jüngling ist ja bereits verführt und gehört dem Orden, dem verfehmten Orden an. Die Schädel gottesfürchtiger Mönche wurden in Newstead-Park ausgegraben, als Trinkgefäße in Silber gefaßt, mit atheistischen Sprüchen versehen und dienen den jungen Wüstlingen zum frevlen Spielwerk. Außerdem ist das schlechtrestaurirte Schloß des Emporkömmlings, — denn George Byron ging aus ärmlichen, zerrütteten Verhältnissen hervor, gelangte aus einer Seitenlinie und durch Zufälligkeit zur Pairie, — außerdem ist Newstead eine Spiel
hölle; nur Hazard ist daselbst gebräuchlich, Hazard, in England als kriminell verboten!"
„Aber," sagte Medora unwillig, „der Herzog von Dorset, Lord Cläre, Robert Peel, Tattersall und so weiter haben gleichfalls Eltern und Vormünder, und eben diesen ist es nie eingefallen, Newstead-Abbey als ein Sodom hinzustellen."
Lady Mowbray schlug die Augen nieder und fuhr gedämpften Tones fort:
„Außerdem spricht man von einem förmlichen Harem, den das einstige Kloster beherbergt! Oooll Zniou8 ! Newstead, von Heinrich II. gegründet, um deu Mord Thomas a Becket's zu sühnen!!"
„Ich dagegen hörte," sagte Medora, „Lord Byron wäre sehr sentimental, immer in Nebelbilder, in Erinnerungen verliebt."
„Das ist eine Pose. Seine Moral ist im innersten Kerne Fäulniß. Unlängst brachte er bei einem Souper infernalische Toaste aus; darin hieß es wörtlich: die Welt sei ein Spiel des Zufalls, die Könige wären ohne Erbarmen, das Volk bestände aus feilen Sklaven, die Religion könne Niemand trösten, die Philosophie gleiche einem bodenlosen Abgrund, die Liebe einer Täuschung."
„Die Lehrer in Harrow, die Professoren von Cambridge stellten ihm glänzende Zeugnisse aus. Auch die Gedichte, welche er herausgab, versprechen der Zukunft."
„Bah, er hatte bis zum zwanzigsten Jahre bereits mehr Liebchen, als Musen, dieser Pantheist, dieser Gottesleugner, der halb den Werther, halb den Candide spielt, eine Mischung, welche ein Ungeheuer Hervorbringen muß! Mistreß Byron erzählte selber einem Bruder von mir, dem guten Percy, der zur Zeit in Bengalen Tiger erlegt, daß George, als er acht Jahre zählte, in der Kirche zu Aberdeen seine Mutter mit Stecknadeln zu stechen Pflegte, wenn die Predigt ihm zu lang wurde."
Der Wortschwall Lady Mowbray's gerieth plötzlich in's Stocken, sie hatte sich einfach athemlos geredet und begann zu husten.
„Lady Phöbe," sagte Lord Oxford, „ich werde noch heute über Verschiedenes mit Arthur Rücksprache nehmen und danke Ihnen, mir über George Byron volle Wahrheit gesagt zu haben."
„Gerade eben diese Wahrheitsliebe macht mir Feinde," lächelte die Norne mit der Miene eines Opferlamms, „auch Feindinnen!"
Ihre eiskalten, blutlosen Lippen berührten gnädig und herablassend Medora's rosige Wange; die Schloßherrin aber vermied Judasküsse und blieb steif, ohne die hergebrachte Liebkosung zu erwiedern.
„Ja, was ich noch sagen wollte," schloß Lady Mehlthau, im Fall Du, liebe Medora, oder Sie, bester Gönner, von Kindern hören, von verstockten Kindern, welche ebenso unfolgsam und gottlos sind, wie es der böse Bube Gordon Byron war, so empfehle ich einen Geistlichen, er lebt in Derbyshire, der sich solcher Geschöpfe, die nicht beten wollen, annimmt: sie gehen nach einigen Monaten, oft nach einigen Wochen gedemüthigt, zerknirscht aus seinen Händen hervor."
„Das glaub' ich!" sagte Medora mit unver-