Sherivood von Julius Grosse.
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herwoo
Roman
von
JuLiirs Grosse.
(Fortsetzung.)
würde Zu weit führen, die festliche Haupt- und Staatsaktion des folgenden Tages im Einzelnen zu schildern.
Ich übergehe die zahlreiche Versammlung in den weiten Sälen des Herrenhauses, die Ankunft neuer di- stinguirter Gäste, die zum lauten Hallo der begeisterten Dorfjugend in langen Schlittenzügen heranfuhren, weiter die Ceremonie der Segnung der Braut mit dem Heiligenbild, das nach altrussischer Sitte ihr geschenkt wird, endlich den feierlichen Zug in die Schloßkapelle, die trotz des Winters mit hohen Tannen und reichem Blumenschmuck, den man aus den Treibhäusern von Moskau verschrieben hatte, ausgeziert war.
Was soll ich nun sagen von dem ergreifenden Gesang des Popen und des ihm assistirenden Psal- misten, was von der feierlichen Handlung der Trauung selbst — wie Bräutigam und Braut Zwei- und dreimal um den Heiligentisch schritten, der in der Mitte der Kirche stand — wie während dieses Ganges die Kronen über die Häupter der Neuvermählten gehalten wurden und der feierliche Chorgesang tönte.
Erwähnt sei, daß als Brautmutter Tatiana's die alte Haushälterin Sascha fungirte, während der greise Jsprawnik dem Lieutenant Wadkowski die Ehre der Stellvertretung seines Vaters erwies. Zwar hatte der alte Uschakoff mich zuerst zu dieser Rolle ausersehen, war aber der entscheidenden Ablehnung von Seiten Wadkowski's begegnet.
Die prächtige Kapelle im altrussischen Styl war gedrängt voll; nur die obere Galerie blieb leer; indeß konnte ich deutlich bemerken, daß sich eine gebeugte Gestalt in Pelz und Schleier hinter einem der Pfeiler oben verbarg. Mir war kein Zweifel, daß es niemand Anderes als Frau Nadjeschda, die sich unbemerkt in das väterliche Haus gewagt, uni als Zuschauerin an der kirchlichen Einsegnung der Schwester theilznnehmen.
Am selben Morgen hatte ich sie noch nicht begrüßen können, aber ans einigen Fragen der Frau Ustinja konnte ich schließen, daß jene Absicht bestand und daß die Frau des Geistlichen ihre Mitwirkung dazu bot.
Trotz mancher Schwierigkeit hatte sie es wirklich durchgesetzt. Welche Erinnerungen für sie, die einst bei nächtlicher Weile an demselben Altar gekniet, um dann mit einem Abenteurer in die Weite hinauszuziehen. Einige Male, während der Psalmist sang, glaubte ich ein leises Schluchzen an jener Stelle hinter dem Pfeiler Zu vernehmen.
Nichts störte sonst die Ceremonie bis ans den kleinen Zwischenfall, daß beim Ringwechsel einer der Ringe zu Boden fiel und erst nach längerem Suchen wieder gefunden werden konnte.
Nach der Trauung folgte Mittags im großen Festsaal des Schlosses ein luxuriöses Mahl mit aller Pracht und allem Ueberfluß, den reiche Grundbesitzer bei solchen Gelegenheiten zu entfalten lieben. Ans den Tafeln prangten uralte Schaustücke von getriebenem Metall, silberne Armleuchter, goldene Pokale und prächtige Vasen mit kostbaren Blumensträußen, daneben Schüsseln mit ganzen Nehrücken und Hammelkeulen, Schinken und Ferkel in Gelees. Obwohl Alles in Fülle und Ueberfluß vorhanden, war es doch kein eigentliches, auf Stunden ausgedehntes Hochzeitsmahl, sondern nur ein Dejeuner zum Abschied. Besonders Wadkowski schien Eile zu haben und fragte wiederholt nach den Schlitten, die zur Abfahrt bereit längst im Hofe standen.
Mir selbst war während des Mahles eine ganz besondere Aufgabe zugefallen. Schon als sich der Zug aus der Kapelle in den Festsaal bewegte, flüsterte mir die junge Neuvermählte zu:
„Wie ist es mit Nadja? Sie muß im Schlosse sein mit Frau Ustinja. Die Unbesonnene wagt das Unglaubliche! Hier kann sie auf keinen Fall bleiben. Bitte, bringen Sie mir Nachricht, was sie beschlossen hat, ich will es so einrichten, daß Sie neben mir sitzen."
Dem Befehl aus so schönem Munde mußte gehorcht werden. Ich suchte im Gedränge alsbald unbemerkt die Thür zu gewinnen und mit einiger Hülfe fand ich mich in den finsteren Gängen draußen auch zur oberen Galerie hinaus. Das laute Festtreiben füllte alle Räume des Schlosses, und Einer von der hin- und herlausenden Dienerschaft wies mich gegen ein Nawodku (Trinkgeld) bald auf den rechten Weg.
Frau Nadja saß wirklich noch oben in dem braunen Kirchenstuhl, gebeugt und regungslos, als wäre sie eingeschlafen.
Als ich dann unerwartet neben ihr stand, schrak sie empor, und als sie mich erkannte, streckte sie mir beide Hände entgegen.
„Nur keine Vorwürfe jetzt, Herr Oberst, ich konnte nicht anders."
„Wer will Ihnen Vorwürfe machen, theuerste Frau," erwiederte ich, „aber Sie müssen einen Entschluß fassen, auch Tatiana wünscht es. Entweder Sie reisen nachher mit ihr, und dann müssen Sie jetzt schon voraus, damit sie beim Popen einsteigen können, oder Sie entschließen sich anders, und dann nehme ich Sie morgen nach Novomirgorod mit."