Heft 
(1885) 39
Seite
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Deutsche Roman-Bibliothek.

Bester Herr Oberst, quälen Sie mich nicht," sagte sie mit müder Stimme.Wenn Sie wüßten, wie es in mir aussieht. Jeder Eindruck seit gestern qualvoll und beglückend, und vollends hier jeder Winkel voll von tausend Erinnerungen bis in die Kinderzeit hinauf. Ich hätte nicht gedacht, daß die Heimat solche Macht hat. Erst fürchtete ich sie wie eine trostlose Wüste, wo mich Niemand kennt, wie ein verschlossenes Paradies, an das ich kein Recht mehr habe, und nun kann ich mich nicht wieder losreißen. Es hält mich wie mit hundert Armen. Begreifen Sie das nicht?"

Nur zu wohl, aber wie soll es nun werden in Zukunft? Ihre Schwester rechnet aus Sie."

O, meine Schwester kann sie in mein Herz sehen? Ihre Absicht mag ja gut sein, aber was soll ich in fremden Landen? Nein, nein, am liebsten möchte ich hier bleiben, und wär's als Magd auf dem Hof, als Hirtin oder als Gänsemädchen, von Niemand gekannt. Die gute Sascha mag darum wissen, auch der alte Kuzmin und Frau Ustinja, die werden mich gewiß nicht verrathen."

In solchen excentrischen Ideen schien sie sich zu gefallen und wußte jedem Bedenken zu begegnen, zuerst in Betreff ihres Vaters.

O, der sollte nichts von mir gewahr werden," sagte sie.Wie glücklich wäre ich, wenn ich ihn jeden Tag nur von Weitem sehen könnte wie heute. Ach, er ist recht alt geworden seit den drei Jahren und gewiß aus Kummer um mich; ich hätte mir die Augen aus dem Kopf weinen können, als ich ihn wieder sah. Aber so wird es gehen, so wird es gehen."

Vergebens erschöpfte ich mich in Einwendungen. Können Sie nur denken, theuerste Frau, daß dieß unentdeckt bliebe auf die Dauer? Und gesetzt auch, es gelänge, aber Ihre Pflichten gegen Ihren Gatten"

Auch daran habe ich gedacht," erwiederte sie, ich halte an ihm fest und hoffe aus ihn. Bis jetzt war ja Alles nur Hoffnung und Vertrauen, was mich das Schlimmste tragen ließ. Und erreicht er sein Ziel früher oder später, nun, so mag er mich von hier abholen in allen Ehren und vor Aller Augen. Nur so kann Alles wieder gut werden auch des Vaters halber."

Soll ich das Alles Ihrer Schwester sagen?"

Wie Sie wollen, aber quälen Sie mich nicht mehr. Wenn sie Alles überlegt, wird sie selbst es so am besten finden."

Damit war ich entlassen und mußte meinen Rück­zug antreten.

Tatiana, der ich sofort Alles mittheilte, war über diesen Wankelmuth, diese Charakterlosigkeit, wie sie es nannte, fast aufgebracht. Sie hatte es sich so schön gedacht, der armen, vom Schicksal Ver­folgten eine neue, sonnige Zukunft zu schaffen und die trübe Vergangenheit in Vergessenheit zu bringen.

Sie schickte mich noch einige Male hinauf mit anderen Vorschlägen, die ebensowenig Gehör fanden.

Ueber diesen fruchtlosen Verhandlungen mochte mehr als eine Stunde vergangen sein. Die Gäste wie das Brautpaar hatten sich bereits erhoben und standen in Gruppen, um Abschied von den Neuver­

mählten zu nehmen. Besonders Wadkowski drängte unablässig zur Abreise, während der alte Uschakoff, der des Guten mehr als hinreichend gethan, in einem Meer von Rührung schwamm und dem geliebten Schwiegersohn noch tausend Dinge zu sagen hatte.

Es war ein lautes, bewegtes, farbenreiches Bild nicht minder drinnen in den Sälen, wie draußen im Vorhaus aus der Freitreppe und im Gutshos, wo ein lärmendes Treiben herrschte. Während sich die Pferde vor den Schlitten bäumten, die Kutscher fluchten und sangen, brachte der alte Kuzmin mit anderen Muschiks auf der Freitreppe ein Abschieds­ständchen, dessen schmetternde Klänge zuletzt alle Worte der Abschiednehmenden übertönteu.

Tatiana Jwanowna, von ihrem Gatten gedrängt, mußte sich schließlich durch eine dichte Hecke von Nachbarn, Verwandten und Hausfreunden hindurch- winden. Bei Einzelnen blieb sie dennoch stehen und verlängerte den Abschied, wohl auch Nadjeschda's halber, deren letzter Entschluß immer noch erwartet wurde.

Ich war soeben mit dem letzten Vorschläge Tatiana's noch einmal hinaufgestiegen. Nadja sollte darnach, da sie nunmehr nicht mitreisen könne, einstweilen bei Batjuschka Smirnoff verborgen wohnen bleiben und später Nachkommen, wenn erst die Grenze glücklich erreicht sei.

Auch darauf wollte Nadjeschda nicht eingehen; sie hatte sich bereits in das Zimmer der alten Sascha geflüchtet, das sie nun und nimmermehr verlassen wollte.

Da, während wir noch an der verschlossenen Thür verhandelten, trat draußen plötzlich eine all­gemeine Stille ein. Man hörte Pferdegetrappel auf den Steinfliesen vor dem Hause und barsche Kom­mandoworte. Gleich darauf erhob sich ein uner­klärlicher Lärm erst ein Wortwechsel, dann ein heftiger Aufschrei, Drohungen, Flüche und allgemeiner Tumult, schließlich ließ sich ein gemessener Befehl von einer uns unbekannten Stentorstimme vernehmen.

Etwas Außerordentliches mußte geschehen sein. Ich eilte sofort hinunter.

Welches unerwartete Schauspiel.

Uschakoff's prächtiger Schlitten, in welchem Wad­kowski bereits Platz genommen, während Tatiana noch davor stand, war von Kosaken umgeben. Ein Feldjäger, der sie kommandirte, war aus seinen! Schlitten gestiegen und befand sich in heftigem Disput mit Wadkowski, der sich auf seinen Paß berief und denselben vorwies.

Auf den ersten Blick war Alles klar: eine Ver­haftung in bester Form.

Noch in dem letzten Moment vor der Abreise hatte man Wadkowski erwischt als eines der ge­heimen Häupter und Mitglieder des unsichtbaren Bundes. Der Haftbefehl war vom Minister Arak- tschejef ausgestellt und von Grusino datirt.

Der Feldjäger hatte die ausnahmsweise Höflich­keit, den Anwesenden, wenn auch in kurzer militäri­scher Form, alle begehrten Aufschlüsse über die Gründe der Verhaftung zu geben, ebenso über den Bestand der Verschwörung, die sich angeblich über alle Städte Rußlands erstrecken solle. Als einer der Gefährlich­sten sei Wadkowski bezeichnet worden. Ueber seine