Heft 
(1885) 39
Seite
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Deutsche Noman-Bibliothek.

Zuerst, als er vom Tode seines Kindes vernahm, war er allerdings ties erschüttert, starrte minuten­lang düster vor sich hin und schlug die Hände vor sein Gesicht. Als ich ihm aber von den Gaunereien Jakouschin's, von Poggio's Absichten, von unserer Abreise und von der Versöhnung seiner Frau mit ihrem Vater erzählte, da veränderte sich sein Wesen.

Wild stampfte er mit dem Fuße aus und schlug auf den Tisch.Was haben Sie da gethan, Oberst? Dafür danke ich Ihnen nicht! Den Poggio wird der Teufel holen, schneller als er ahnt; ebenso wie diesen Jnschnefski und alle Anderen. Und diese Spitz­buben von Wirthsleuten sollen ihren Raub doppelt erstatten. Aber das Melodram in Tarnssa hätten Sie sich sparen können. Was soll nun werden? Meine Frau ist mir auf immer verloren, es müßte sein, ich holte sie mit Glanz und Ehren! Meinet­wegen!" rief er mit plötzlichem Uebermuth,ich hoffe, auch das werde ich noch fertig bringen."

Dann fragte er noch nach tausend Dingen und Nebenumständen. Natürlich erzählte ich ihm auch von Wadkowski's Vermählung und seiner plötzlichen Verhaftung.

Aber das nahm Sherwood ganz leicht und lachte dazu.Lauter Lufthiebe, Excellenz Araktschejef lauter Lufthiebe, mein Herr Minister! Was kann er ihm anthun? Hoffentlich hat Wadkowski meinen Rath befolgt und alle Papiere verbrannt, und was dann? Man wird ihn den neuen Huldigungseid leisten lassen und weiter schicken. Hat er aber seine Papiere noch im Besitz und findet man sie, dann steht es übel. Aber Wadkowski ist ein feiner Kops, und ich habe keine Sorge um ihn. Meine Befürch­tungen sind andere."

Und welche?"

Daß die jetzigen Verhaftungen böses Blut machen und zum sofortigen Ausstand führen, besonders jetzt in der Zwischenzeit. So lange die Armeen keinem neuen Zaren Treue geschworen, kann auch kein Eid gebrochen werden. Damit wird man Tausende von Soldaten verführen."

Diese Befürchtung Sherwood's hätte, wenn sie richtig war, längst eintreffen müssen. Jetzt war es zu spät. Schon am folgenden Tage wurde in Novo- mirgorod das Versäumte nachgeholt.

Unter Glockengeläute und Kanonendonner wurde von der gesammten Garnison dem Großfürsten Kon­stantin Paulowitsch, dem ältesten Bruder Alexanders, der feierliche Hnldigungseid geschworen. Die Cere- monie hatte trotz der kleinen Verhältnisse unserer weitentlegenen Kolonie etwas Jmponirendes. Alle Befürchtungen seitens der Truppen bezüglich eines etwaigen Widerstandes erwiesen sich glücklicherweise als irrig und ebenso in vielen anderen Waffenplätzen des russischen Reichs. Damit schien jene Gefahr beseitigt.

Dennoch behielt Sherwood in der Folge Recht, wenn auch in anderem Sinne, denn jeneZwischen­zeit" sollte sich noch einmal wiederholen.

Schon nach einer Woche nämlich wurde uns ein neuer Huldigungseid angesonnen, und zwar für Niko­laus Paulowitsch, den jüngeren Bruder Alexanders.

Die historischen Ursachen dieser verwirrenden und

alarmirenden Maßregel sind bekannt genug, als daß ich sie hier mehr als nebenbei zu erwähnen brauchte.

Konstantin Panlowitsch hatte sich vor fünf Jahren von seiner Gemahlin, einer württembergischen Prin­zessin, scheiden lassen, um sich mit seiner Geliebten, der schönen Gräfin Grudzinska, zu vermählen; aber diese Scheidung hatte er thener erkaufen müssen; Kaiser Alexander verlangte als Bedingung seiner Zustimmung nicht weniger als den feierlichen Ver­zicht auf den Thron und die Krone Rußlands für alle Zeiten.

Konstantin hatte diese Verzichtsurkunde ausgestellt und zwar freiwillig ausgestellt.

Das bedeutungsvolle Dokument war allerdings sowohl im heiligen Synod als im Senat mitsammt dem Testamente Alexanders deponirt worden, aber die Thatsache, die Existenz des vollzogenen Verzichts selbst, war ein Geheimniß geblieben, sowohl dem Volk und der Armee wie den Negierungskreisen, ja selbst den meisten Mitgliedern der kaiserlichen Familie.

Erst bei der feierlichen Eröffnung des Testaments Alexander's im Senat kam jenes Dokument Zu Gunsten des Großfürsten Nikolaus zum Vorschein und zur Vorlesung.

Nikolaus jedoch glaubte in hochherzigster Ge­sinnung jenen schriftlichen Verzicht als nicht zu Recht bestehend ignoriren zu müssen und leistete öffentlich den allgemeinen Huldigungseid seinem Bruder Kon­stantin, indem er es diesem überließ, nunmehr ledig­lich nach dem formellen Recht zu handeln, falls jener Verzicht etwa ein moralisch abgedrungener gewesen.

Konstantin, der sofort von Warschau nach Peters­burg gereist war, nahm die Erklärung seines Bruders nicht an, und die Welt erlebte damals das unver­gleichliche Schauspiel eines Wettkampfs brüderlicher Entsagung und Selbstverleugnung bis zu dem Grade, daß sich der ältere Bruder wirklich vor dem jüngeren beugte und mit Aufrechterhaltung seines früheren Verzichts ihn öffentlich als seinen Herrn und Kaiser anerkannte.

Erst mit diesem Akte ward der erste, bereits voll­zogene Huldigungseid als rechtlich ungültig zurück­genommen und ein neuer angeordnet. Darüber waren allerdings volle drei Wochen vergangen und somit eine Zwischenzeit geschaffen worden, die alle jene Gefahren einschloß und erneuerte, welche von Sher­wood angedeutet und in der Folge wirklich zu blutigen Katastrophen führten.

Schon bei Bekanntwerden des Ansinnens eines neuen Eides machte sich eine bedeutende Gährung unter den Truppen bemerklich und zwar in allen Armeen des weiten Reichs.

Das Verlangen, einen einmal beschworenen Eid zu Gunsten eines Andern aufzuheben, weckte den Ver­dacht, daß es im Kaiserhause nicht mit rechten Dingen Zugehe, daß die rechtmäßige Thronfolge zum Spiel der Willkür, vielleicht der Gewalt geworden. Kurz, alle Chancen waren gegeben, die Gemüther zu ver­wirren, den Parteigeist zu entfesseln und den Um- stnrzplänen des Geheimbnndes die Wege zu ebnen, um den Zweiten Eid öffentlich zu verweigern.

Auch bei uns in Novomirgorod machten sich diese Strömungen fühlbar, aber es blieb bei großen Worten