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Sherwood von
Murawieff, entrann dabei seinen Verfolgern und trug die Fackel des offenen Aufruhrs zum Südbund.
In Tschermgow erhob sich die Garnison und befreite ihren Führer Sergius Murawieff Apostol nebst allen feinen Gefährten aus dem Gefängniß. Unerhörte Grenelszenen folgten. Ein hochoerrätherischer Pope weihte die Fahnen der Aufständischen für den Großfürsten Konstantin, dessen Verzicht als Lüge erklärt wurde. Nur wenige getreue Kompagnieen entkamen, und der siegreiche Aufstand machte das ganze Land zum offenen Kriegslager.
Noch den russischen Neujahrstag hatte Murawieff mit seinen achtzehn Kompagnieen mit wüsten Orgien in Tschermgow gefeiert. Seitdem war er nach Belaja Tscherkow aufgebrochen, wo Graf Braniki in seinem Schloß unermeßliche Schätze verwahrte. Diese mochten den Rebellen zunächst willkommen fein, und Murawieff hoffte durch Befriedigung der Raublust seine Schaaren zu vermehren.
Nach solcher Auskunft war es der Zweck unseres Marsches, zunächst das bedrohte Schloß des Grafen Braniki zu schützen, und mir schien es wie eine seltsame Ironie des Schicksals, daß dieselbe Ebene von Belaja Tscherkow, wo die Herbstrevue hatte stattfinden sollen und wo man den Kaiser gefangen zu nehmen hoffte, jetzt zum Schauplatz der Entscheidung wurde; freilich einer andern, als die siegestrunkenen Horden der Rebellen wähnten.
Wir hatten unsere Stellung aus den Anhöhen etwa zwei Stunden lang inne, als die Patrouillen zurückgesprengt kamen. Nicht lange darauf wurden die heranrückenden Schaaren der Insurgenten sichtbar, sechs Kompagnieen, etwa zwölfhundert Mann in geregelter Marschordnung.
Wir ließen sie bis auf Flintenschußweite herankommen, dann ritt ich mit einem Trompeter vor. Sofort hielten sie bei dem unerwarteten Anblick der besetzten Anhöhe und formirten ein Carrs.
Im Auftrag des General Tscherbatoff stellte ich die Aufforderung an die Rebellen, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben.
Ein wildes „Hurrah, Konstantin!" scholl mir entgegen, gleich darauf eine regellose Gewehrsalve, die eine Anzahl der Unseren tödtete oder verwundete. Zugleich schwang Murawieff Apostol seinen Säbel mit dem Rufe: „Tod oder Freiheit!" und ließ seine Truppen Sturmkolonnen formtreu. Offenbar schmeichelte er sich immer noch mit der Hoffnung, daß unsere Truppen nicht schießen und zu ihm übergehen würden.
Jetzt schwenkte unsere Infanterie ab, um die aufgefahrenen Batterieen zu demaskiren, aber auch dieser Anblick machte keine Wirkung. Ohne einen Schuß, mit schlagenden Tambours rückte die Masse heran.
Alsbald erscholl das Kommando des Generals, und eine Kartätschensalve krachte ans die Anstürmenden. Die Wirkung war unbeschreiblich. Erschreckt hielt die Masse an und gerieth in Verwirrung. Murawieff war verwundet zu Boden gestürzt, aber er erhob sich sofort und erneuerte seine Befehle. Mit einer Reiterpistole schoß er auf Tscherbatoff, verwundete aber nur seinen Adjutanten.
Julius Grosse.
Nun war an keine Gnade mehr zu denken. Sofort griffen unsere Husaren und Dragoner an und durchbrachen das Carro.
Murawieff, auf's Neue von Säbelhieben verwundet, wehrte sich wie ein Löwe und rief den Seinen zu, sich zu sammeln. Diese aber warfen die Waffen weg und flehten um Gnade. Einige ergriffen ihn, der im Blut schwamm, und lieferten ihn den Husaren aus. Sein Bruder Hippolyt war im Kampfe gefallen; gefangen wurden über zwanzig Offiziere, die meisten mehr oder minder verwundet, unter den Letzteren auch Juschnefski, Bulgari und Poggio, der die Grenze nicht mehr erreicht hatte, außerdem über tausend Mann Mannschaften.
Die ganze Affaire hatte keine halbe Stunde gedauert. Noch vor Abend befand sich Murawieff mit allen seinen Mitschuldigen in Ketten, um zunächst nach Schloß Belaja Tscherkow transportirt zu werden, wo uns Graf Braniki mit offenen Armen empfing.
Dort im Schlosse sah ich Murawieff wieder, den einst gefeierten Liebling der Damen, den wilden, genialen Feuergeist, der wohl ein besseres Loos verdient hätte, als zum Rebellenführer herabzusinken. Sein höchstes Glück wäre es gewesen, wenn er hier seinen Wunden erlegen wäre, statt als Opfer eines Hochverrathsprozeffes ausgespart zu werden. Ebenso sah ich dort auch Bulgari wieder und den Wüstling Poggio, der einen Schuß in die Brust erhalten hatte und noch im Laufe der kommenden Nacht starb. Welcher Kontrast mit unserer letzten Entrevue in Smolensk, wo ich ein theures Haupt seinen verwegenen Händen entrissen hatte. Ein Blick des tödt- lichsten Hasses traf mich aus seinen Augen. Er wußte recht gut, was ich ihm angethan, und ich leugne nicht, in diesem Augenblick sah ich es wie eine Hand der Nemesis über diesen Catilinariern. Selbst Sherwood's Verrath erschien mir jetzt im Licht einer Wohlthat für Rußland, denn unter der Herrschaft solcher Libertiner würde es nur vollends dem Abgrund entgegengeführt worden sein.
*
An jenem Abend und an den folgenden Tagen, die wir im Schloß Belaja Tscherkow verlebten, wurden uns die Ereignisse in Petersburg im vollen Umfang bekannt.
General Tscherbatoff theilte uns selbst Alles aus Briefen und Zeitungen mit.
„Hier lesen Sie, meine Herren. Die furchtbaren Ereignisse, die sich dort vollzogen, haben wir gleichsam im Kleinen hier nachholen müssen, obgleich der Südbund weitaus der gefährlichere war, aber wir haben es vollbracht mit derselben Schnelligkeit und mit demselben Erfolge wie unser Kaiser, den Gott erhalte. Ich hoffe, er wird mit uns zufrieden sein."
Ja, das ungeheure, unerhörte Verbrechen war zur Wahrheit geworden. Am Morgen des 26. Dezember sollte eine große Truppenrevue auf dem Jsaaksplatze und dann gleichzeitig die allgemeine Vereidigung und Huldigung stattfinden. Dort, inmitten seiner Garden, sollte der Kaiser überwältigt, gefangen oder getödtet werden. So war der Plan der Verschworenen,