Heft 
(1885) 39
Seite
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Deutsche Noman-Sibliothek.

Warum jene Anordnung der Revue noch im letzten Augenblick znrückgenommen wurde, blieb da­mals und noch lange unaufgeklärt. Erst später ist es bekannt geworden, daß der Kaiser im Lauf der Nacht eine geheimnißvolle Warnung empfangen. So­fort wurde bestimmt, daß die Eidesleistung in jeder einzelnen Kaserne stattzufinden habe. Zugleich zog man das Finnländische Regiment und die Garde- Sapenrkompagnieen in den Winterpalast. Und diese Vorsichtsmaßregel allein rettete in der Folge den Kaiser und seine Familie.

Zwar jene Maßregel der Vereidigung in den Kasernen brachte den Aufstand zu Hellen Flammen; eine ganze Reihe von Regimentern, die Kaisergarde, die Leibgrenadiere des Moskauischen, Jsmailoff'schen Regiments, wie die Marinesoldaten verweigerten den Eid und erhoben die Waffen gegen ihre Befehls­haber, deren einige schon in den Kasernen ihre Treue mit dem Leben bezahlen mußten.

Dann, wie auf Verabredung, zogen die Auf­ständischen fast gleichzeitig zum Jsaaksplatz, wo sie um die Statue Peter's des Großen ein Carrs bildeten. Ein erster Angriff der Garde zu Pferde wurde mit Flintenschüssen Zurückgewiesen, und bald wuchs die Menge der Empörer bis zu zweitausend Mann, bereit, sich auf Leben und Tod zu ver- theidigen und jeden Vermittlungsvorschlag zurückzu­weisen.

Vergeblich versuchte der greise Miloradowitsch, der Abgott der Armee, der in unzähligen Schlachten mit Ruhm gekämpft hatte und nie verwundet worden war, jetzt persönlich den Sturm zu beschwören. Man hörte seine Anrede nicht zu Ende, sondern schoß ihn vom Pferde. Der Metropolit Seraphim erschien im vollen Ornat, umgeben von seinen Geistlichen, das geweihte Kreuz in den Händen, und versprach im Namen des Kaisers unbedingte Verzeihung, mit Aus­nahme der Urheber der Empörung. Man ließ ihn bitten und flehen und wies ihn mit Hohn zurück.

Die Macht der Aufständischen wäre stark genug gewesen, den Kaiser, der seine wenigen Getreuen auf dem Admiralitätsboulevard versammelte, zu über­wältigen, zumal das Volk selbst eine drohende Hal­tung annahm und außerdem noch weitere tausend Mann auf der Jsaaksbrücke in Reserve standen.

Noch viermal attakirte die Garde zu Pferde unter Fürst Orloff mit Ungestüm das Carrs der Auf­ständischen, und viermal wurden sie von den Bajo­netten und Flintenkugeln zurückgeworfen. Glücklicher­weise und unbegreiflicherweise hatte die Masse der Rebellen im entscheidenden Moment keine Führer mehr. Die es bis dahin gewesen waren, hatten am Tage der Entscheidung den Muth der Entschlossen­heit verloren.

Nachdem sie am Vorabend feierlich sich Treue geschworen, nachdem sie tausendmal verkündet hatten, die Welt solle sehen, daß auch Rußland seinen Mira­beau und Washington haben werde, waren sie am Morgen plötzlich unsichtbar geworden und verkrochen sich in Schlupfwinkeln, aus denen sie später hervor­gezogen wurden. Fürst Trubetzkoi, den man seines Namens halber an die Spitze gestellt, flüchtete sich zum österreichischen Gesandten, Gras Lebzeltern, der

ihn jedoch auslieferte. Rylsjef, der bewunderte Führer und Schürer des Nordbundes, erschien in Civilkleidung und büßte so jedwede Autorität beim Militär ein. Butatow, der zwanzig Schritte vom Kaiser hielt, zog seine Pistole, um das Attentat Zu vollbringen, aber eine unsichtbare Macht lähmte seinen Arm oder seine Willenskraft.

Schon neigte sich der Wintertag des Nordens dem Abend zu und noch war der Kamps unent­schieden.

Sire!" rief Graf Toll dem Kaiser zu,be­fehlen Sie, den Platz mit Kanonen zu säubern, oder entsagen Sie Ihrem Thron." Bleich, ermattet, aber unerschrocken und voll Geistesgegenwart gab der Kaiser endlich seine Zustimmung, daß Gewalt mit Gewalt vertrieben werde.

Der erste Schuß, den die Artillerie gegen die Rebellen abfenerte, war ein blinder.

Ein schallendesHurrah, Konstantin!" scholl als Antwort. Jetzt wurden Kartätschen geladen. Oberst Nestorosski richtete das Geschütz auf das Carrs. Der Kanonier bekreuzigte sich, dann kommandirte der Kaiser selbst und Kapitän Bakunin nahm die Lunte aus der Hand des zitternden Soldaten. Einen Augenblick später donnerte der Kartätschenschuß in das dichte Carrs. Sofort stoben die Rebellen aus­einander. Die Artillerie folgte ihnen und in dem engen Desils der Galeerenstraße fielen noch Hunderte. Auf der Newa wollte Bestuscheff die flüchtenden Soldaten sammeln, da donnerten von der Jsaaks­brücke Kanonenkugeln, die das Eis des Flusses zer­trümmerten, so daß Schaaren von Flüchtlingen ver­sanken.

Binnen einer Stunde seit Beginn des entscheiden­den Kampfes war der gefährliche Aufstand nieder­geschlagen, und Nikolaus konnte seinem Hof und seiner bebenden Gemahlin die Nachricht bringen, daß er nun unbestrittener Kaiser sei.

Noch in derselben Nacht, während die Wacht­feuer auf den Plätzen loderten, wurde den Truppen der sämmtlichen Regimenter der verlangte Huldigungs­eid abgenommen.

Am andern Morgen begannen die Verfolgungen, lieber zweihundert Offiziere aller Grade und aller Waffengattungen wurden verhaftet, um vor ein be­sonderes Gericht gestellt zu werden junge Leute aus den ältesten, vornehmsten und reichsten Familien, Schwärmer, Idealisten, Doktrinäre, Verführte und Verführer, die nun dem schimpflichsten Loose ent­gegensahen, dem Tode am Galgen oder der ewigen Verbannung.

In Summa: der Verlauf der ganzen Revolution in Petersburg war im großen Maßstabe genau der­selbe, wie wir ihn in Belaja Tscherkow erlebt hatten. Doch das Einzelne jenes denkwürdigen, furchtbaren Tages steht in den Annalen der Geschichte ausge­zeichnet, so daß ich mich mit einer allgemeinen Skizze der Thatsachen begnügen konnte.

Der Eindruck, den diese letzten Nachrichten auf uns Alle machte, war ein niederschmetternder, auch trotz des vollkommenen Sieges. Wenn gleich seit lange durch Sherwood auf Alles vorbereitet, diese Tiefe des Abgrunds, diese verwegene Entschlossen-