Heft 
(1885) 42
Seite
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Deutsche Nsman-Bibliothek.

Ich weiß, er holt mich nach, er holt mich nach und ich folge ihm gern. Was soll ich auch sonst einsam und verlassen auf Erden?" Dann schwieg sie, und weder Klage noch Vorwurf kam von ihren Lippen.

Als am dritten Tage darauf wirklich ein Feld­jäger erschien, um sie zu verhaften, war Tatiana nirgends auszufinden. Daß sie nicht abgereist sein konnte, wußten wir Alle, es fehlte nichts von ihren Kleidern und Effekten.

Mit bangen Ahnungen suchten wir einen halben Tag lang die Verschwundene, aber vergebens. Erst am andern Morgen wurde ihre Leiche im Schilf des Schloßteichs gefunden, in der Nähe jener Bank, wo sie einst Sherwood in der Sommernacht erwartet hatte.

Ich übergehe die neuen Szenen des Jammers. Tatiana wurde in aller Stille neben Sherwood bei­gesetzt und der wackere Smirnoff verrichtete ein stilles Gebet.

Das Trauerspiel der Familie war damit zum Abschluß gelangt, und ich möchte nicht mißverstanden werden, wenn ich sage, es war, als wenn mit dem Dahinscheiden Tatiana's eigentlich nichts verändert worden. Der alte Papa Uschakoff merkte nicht ein­mal, daß sie fehlte, so wenig, wie er erstaunt ge­wesen, als sie plötzlich wieder erschienen war. Als er doch einmal nach ihr fragte, sagte man ihm, sie sei abgereist; er meinte nach Sibirien und kam nie­mals mehr daraus zurück.

Einige Wochen nachher, als der rauhe Spät­herbst den frühzeitigen Winter verkündete, kehrte ich nach Novomirgorod zurück. Damals zuerst fühlte ich mich in dem trostlosen Leben der entlegenen Garnisonsstadt unbehaglich, ja ich wurde sogar mit meinem Lebensberuf zum ersten Male unzufrieden. Tarussa war mir in jenen verhängnißvollen Tagen eine zweite Heimat geworden, und alle meine Ge­danken kehrten täglich zu dem Orte zurück, wo wir so Schweres erlebt.

Es ist auch nicht das letzte Mal gewesen, daß ich dort war.

Frau Nadjeschda blieb Herrin der Güter, Pflegerin der Gräber und Pflegerin ihres greisen Vaters, der noch manchen Sommer erlebte. In den letzten Zeiten kamen die sogenanntenlichten Augenblicke" häufiger als vorher, und in solcher Stunde war es, als ich zwei Jahre später um die Hand Nadjeschda's anhielt.

Wie es so gekommen, das zu erzählen würde mehr als ein Buch erfordern, und der geneigte Leser würde vielleicht doch nicht darin finden, was er er­wartet. Blumen, die auf Gräbern erblühen, pflückt man wohl des Andenkens halber, aber nicht, um Tafeln zu schmücken.

Und am Grabe Sherwood's war cs, wo mir eines Sommertags Frau Nadja das Wort gab, welches mein Lebensglück entschied. Lange Jahre seitdem ist sie mir durch allen Wechsel der Geschicke eine treue Gefährtin geblieben, von der das Wort des alten Griechen gilt, daß von den besten Frauen am wenigsten gesprochen wird.

Sherwood's Grab unter den Trauerweiden von Tarussa ziert ein ausrechtstehender Stein mit seinem Namen und dem Tag seines Todes, aber ohne weitere Inschrift.

So wird er heut noch ragen, den Nachbarn wie den Nachkommen ein räthselhaftes Denkmal. Fast Niemand hat Sherwood's wahren Charakter gekannt. Der Menge gilt sein Name heute noch als gebrand­markt und belastet mit dem Abscheu uud Fluch aller Edeldenkenden. Sie würden milder urtheilen, wenn sie ihn ganz gekannt hätten. In anderen Verhält­nissen würde er vielleicht ein bedeutender, hochan- gescheuer Mann geworden sein. Hier verwickelte ihn die Kollission seiner Leidenschaft, seines Ehrgeizes und seiner Pflichten. Die Folgen seiner Kühnheit wurden zum tragischen Verhängnis;, dem er, wenn auch damals vielleicht, doch nimmermehr später ent­ronnen wäre.

Friede seiner Asche, Ehre seinem Andenken und menschliches Mitleid seiner Schuld. Er hat sie ge­büßt wie ein Held!

Aus öert neuen deutschen Ly^rk.

G dürft' ich hinaus!

von

John tz. Mack«).'.

(Ungedruckt,)

G dürft' ich hinaus, hinaus in die Welt!

G dürft' ich, den flüchtigen Winden gesellt,

Die Weiten der Erde durchschweifen I

Ich sehe das Glück, wie es lockend mir winkt,

Dort draußen, nicht hier, wo das Schicksal mich zwingt Die Früchte des Strebens mir reisen.

O dürft' ich hinaus!

M dürft' ich hinaus! Wie Alles mich drängt Wenn weit in die Ferne mein Auge sich senkt, So füllt sich's mit heimlichen Thronen.

Ich war an die Scholle mein Leben gebannt, Die herrliche Welt habe nie ich gekannt,

Und doch verzehrt mich das Sehnen.

G dürft' ich hinaus I

V dürft' ich, du Vogel, hinaus mit dir zieh',:! G dürft' ich dem kleinlichen Neide entflieh'n, Warum muß denn hier ich verderben?!

Ls schwinden die Jahre, die Jugend verblüht, Doch nimmer im kserzen die Sehnsucht verglüht Und weiß doch, ich muß einst hier sterben Und darf nicht hinaus!