Kinder der Flamme von Günther von Freiberg.
997.
Kiniler Fer Flamme.
Roman
von
Güntker von Freiberg.
(Fortsetzung.)
Dreizehntes Kapitel.
Kürzeste Macht.
blauschwarzen Horizoitte funkelten Milliarden zwinkernder Goldpunkte; es schien, als kicherten und grüßten die Sterne, als wären sie die Verbündeten der beiden jungen Menschenkinder, welche am Parkthor Küsse tauschten in Freuden und Herzensnöthen.
Unter den Bäumen herrschte ein so undurchdringliches Dunkel, daß May und Charles nicht im Stande waren, sich von Angesicht zu Angesicht zu sehen; desto heißer brannten seine Lippen ans ihrem süßen, frischen Munde. Es schien ihm, als habe sein kleines Mädchen einen Hut auf und als trage es über beiden Armen Bündel und Taschen.
Während im Pächterhause die Lichter erloschen waren und Schlaf die Einwohner umfing, hatte May ein verhängnißvolles Wagestück allsgeführt: sie war mit Lebensgefahr aus ihrer Mansarde am Psirsich- spalier des Häuschens hinabgeglitten; zuerst hatte sie möglichst geräuschlos ihr flüchtig zusammen- gerafftes, leichtes Gepäck in die weichen Johannisbeersträucher und Erdbeerbeete geworfen; dann, nach einem innigen Gebete, die vier losen Zipfel eines letzten Bündelchens zwischen die Zähne fassend, war sie aus dem Fenster gestiegen, längs des Fruchtbaumes abwärts klimmend; ihre sylphidenhaste Leichtigkeit überwand die Schwierigkeit solcher Fllucht.
Wie aber, wenn Charles ihren Zettel nicht erhalten hatte?! Direkt an ihn zu schreiben schien ihr gefährlich, sie hatte daher ihre Zeilen in einen Brief an Fleischer eingelegt und dieß wichtige Dokument der Botenfrau, mit welcher sie sich nur von Weitem durch Zeichen verständigen konnte, vom Fenster aus zugeworsen. Das einzige Goldstück, welches May besaß, war mit hinab vor die Füße der rüstigen Alten geflogen.
Nun umfing sie Heimatgefühl in seiner trostreichen Nähe; wohl lasteten die Gewissensbisse schwer auf ihr und ihr Athemholen klang immer noch wie tiefes Seufzen.
„So verzeihst Du mir, Charlie, die schlechte That, Onkel Rushton heimlich verlassen zu haben? Auch Tante Bell kränke ich ungern, sie traute mir so unbedingt. Nun hintergehe ich Alle, denen ich Gehorsam schulde. — Wirst Du mich nicht verachten, Charles?"
Er beruhigte sie mit zärtlichen, guten Worten.
„Und nun, mein verflogenes, geängstigtes Vögel
chen, laß mich für Dich denken und handeln. Wirst Du zu Allem hübsch,,Jcll sagen?"
„Wie meinst Du?" wisperte sie.
„Statt nach London zu gehen bei Nacht und Nebel und dort schutzlos von Deiner Hände Arbeit zu leben, mein zartes, thörichtes Kind, sollst Du auf das Landgut einer Dame, zu meiner Tante! Sie weiß bereits von Dir und wird Dich sehr lieb haben."
„Guter, geliebter Charles! Darf ich Kammerjungfer bei Deiner Lady Tante werden?"
„Du wirst Deine eigene Kammerjungser haben. Du wirst die Schwester der freundlichen Mistreß Grant. So oft es geht, besuche ich mein Maiblümchen, und bleibst Du mir nicht treu und wirst in ein bis zwei Jahren mein Herzensfranchen mit einem schneeweißen Häubchen und einem seidenen Tändelschürzchen, so erwürge ich Dich mit Deinen langen, seidenweichen Lockenhaaren! Ich muß ein tüchtiger borrMer (Advokat) werden und manche verlorene Stunde durch Fleiß und Energie ein- bringen."
„Ja, Charlie, ja, wie Du willst," sagte sie ganz schwindelig und betäubt; so unerwartetes, grenzenloses Glück schien ihr nicht geheuer. „Aber Oheim Rushton?" zitterte beklommen ihre Frage nach.
„Mylord selbst wird mit ihm sprechen."
„Mylord?"
„Verlaß Dich darauf. Nun aber keine Zeit verloren! George wird uns seine Reisekutsche nicht versagen; wir müssen von der Bildfläche verschwinden, während Deine formidable Tante schnarcht und der gute Oheim von Hirschkäfern träumt. Hast Du ihnen ein schriftliches Lebewohl zurückgelassen?"
„Ja wohl, Charlie; aber es sind so viele Thränen darauf gefallen; sie werden's nicht lesen können." Und May begann bitterlich zu weinen und zu schluchzen. Charles ließ sie gewähren, nur leise legte er seine Hand auf ihr Köpfchen, von dem der Spanhut zurückgesunken war.
Als sie stiller und ruhiger ward, sagte er:
„Unterdessen komm' hinauf in mein Zimmer."
„Dein Zimmer? Jn's Schloß hinauf?" Jungfräuliche Bangigkeit überschlich sie und ganz unwillkürlich wich sie einige Schritte zurück.
„Fürchte nichts, Liebchen; sie sitzen Alle bei Tafel, die Diener sind vollauf beschäftigt, kein Auge sieht uns."
„Aber wenn Bob uns begegnete? Vor Beschämung wäre ich auf der Stelle todt."
„Nur Muth!" Charles führte sie das Teich-