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Charles stand betroffen; ans die Abwesenheit der annt Rosamunä war er nicht vorbereitet gewesen; sollte er sich dieses Zufalls freuen oder sollte er es bereuen, voreilig in das Zauberschlößchen eingedrungen zu sein?
„Das Gepäck des Fräuleins kommt morgen oder übermorgen nach," war Alles, was er dem behäbigen James erwiederte; bei sich selber dachte er: „Wie eine Unwahrheit doch stets die andere nach sich zieht!"
Der dienstbare Geist setzte die römische Messinglampe aus den konsolenartigen Vorsprung eines Pfeilers und ging, den Handkoffer und das famose, ballonsörmige Paket aus dem Vestibül aus Charles' Zimmer hinanfzutragen.
May stand wie verzaubert vor einer riesengroßen Schale aus farbiger Fayence, welche sich auf niedrigem Bronzepostament inmitten des Treppenflnrs erhob; diese Schale hatte die. Form einer kapriziös gewundener: Muschel, in ihrer sanften Vertiefung ruhte eine lebensgroße Najade von berückender Schönheit; phantastischerweise war das Ganze mit hellblauer Glasur überhaucht, der weiche, nackte Leib der faulenzenden Meergöttin ebenfalls, blaue Perlen tropften ans ihren blauen Haaren; purpurrothe Aale mit goldenen Flossen bildeten die Henkel.
Dieser in's Märchenhafte übertriebene, aller Wahrscheinlichkeit bare Anblick wirkte in der That magisch auf den Beschauer, selbst aus den Blasirtesten, zumal in der dämmernden Beleuchtung der römischen Lampe. Charles hatte Mühe, seine May von der Stelle zu bewegen.
„Aber Liebchen, wenn Du schon hier zu bewundern beginnst," neckte er, „wie willst Du dann je mit den Zimmern und Sälen fertig werden?"
Ohne die Augen von der glatten, kühlen Nixensei abzuwenden, folgte May instinktmäßig dem Klange seiner Stimme und ließ sich wegsühren.
„Mein Gott, Charles, wo sind wir denn jetzt wieder?"
„Auf dem kleinen Burghof."
Hier erhellten Laternen barocker Form ephen- umrankte Söller, krenelirte Treppenwangen und breite Stufen, die in den Teich hinabführten.
Ein Archäologe, ein Walter Scott würde Mistreß Grant's Kastell vermuthlich zu neu, zu blank, zu nachgeahmt gefunden haben; es fehlte die Würde, die Großartigkeit eines Feodalsitzes, nichtsdestoweniger war es reizend in seiner Art oder richtiger gesagt Abart.
Wieder befand sich die flüchtige Dreiheit, Charles, May und Hänschen, irr einem hohen, gewölbten Raum zu ebener Erde, in der Bildergalerie; auch hier gab es nur moderne Gemälde, diese aber, von hohem künstlerischem Werthe, machten dem Geschmack der Besitzerin alle Ehre, man glaubte sich in einem Tempel weiblicher Schönheit zu befinden: dort gab es Blondinen in breitkrempigen Hüten und den reichen Kostümen aus den Zeiten Anna Boleyn's; Andere in spanischen Atlaßroben des siebenzehrrten Jahrhunderts, Pfauenwedel in den feinen, durchsichtigen Fingern, brünete, vornehm blasse Frauen mit nachtschwarzen Augen, wie Mazarin's Nichte, die abenteuerliche Ortensia, wie die Herzogin von
Portsmouth, perlcnüberrieselte Frauen, die im Leben Alles, Alles besessen hatten, ausgenommen Ruhe und — Ehre, das Heiligste des gesitteten Menschen.
Odalisken, von der Vigee-Lebruu, von Guerin gemalt, schauten mit sonnenmüden Angen und reizend geschwellten Nasenflügeln von ihren Nargilehs und Parsümcassoletten aus; vollbusige Römerinnen mit Korallenschnüren sahen dreist und herausfordernd aus den goldenen Rahmen hervor.
Charles wollte an diesen Farbenpoemen vorüber, aber May bat so süß überredend, so flehend, daß er geduldig zu den einzelnen Bildern emporleuchtete.
Alle Sprache war der geblendeten May vergangen, sie vermochte nur noch zu schauen, schweigend zu bewundern, und dieß that sie mit der kindlichen Andacht, welche echte Schönheit in neidlosen, reinen Herzerr hervorruft.
„Sage mir, Charlie," fragte sie leise, „gibt es solche Damen?"
„Es gibt deren Wohl. Und dennoch!" — Charles lehnte May's Köpfchen fester an seine Schulter, — „wenn sie Alle lebendig würden, diese goldhaarigen Ladies, diese hochmüthigen Marquisen, ja, selbst diese wollustvollen Serailrosen —"
„Halt ein, Charlie," rief May, „ich errathe, was Du sagen willst! Aber ach, einst wird die Binde von Deinen lieben, schönen Augen fallen, und dann wirst Du mitleidig lächeln über das kleine, dürftige Mädchen, das verzagt steht vor diesen königlichen Frauen —"
„Still, Maienblume!" — Er verschloß ihr den Mund mit einem langen Kusse. — „Ich begehre nicht diese Passifloren, diese raffinirten Treibhausblüterr; es gibt für mich keine Versuchung mehr; wer einen Engel fand, ist gefeit gegen Dämonen."
„Charlie, bitteschön, das Licht ein wenig höher! Schau' doch diese grausame Sultanin mit dem wunderlichen Kopsputz; sie stützt den kleinen Fuß auf den Nacken dieses hingesullkenen Mädchens; ist es todt? Und dieser süße Knabe mit gebrochenen Augen! Mir graut es, und doch kann ich die Augen nicht davon abwenden!"
„Das ist Kleopatra, die Schlange des Nil. Aber, May, Du bist ganz blaß geworden, bei Gott! Ich werde eifersüchtig auf diese gemalten Zauberinneri, komm'!"
Sie folgte ihm in den ersten Stock hinaus, eine Flucht von Zimmern lag vor ihnen. Des Vorsaals Decke und Wände waren mit Holzgetäfel kunstreich bekleidet; den Kamin umgaben bunte Kacheln aus Majolika; zu beiden Seiten der Feusrseite (üra-sicke) standen hohe Vasen aus demselben Material, Vasen mit reliefartigen Chimären, welche Flügel an Stelle der Arme hatten und in Schlangenschweifen endeten; ein einziges großes Gemälde von unheimlicher Grabes- sarbe, die Windsbraut darstellend, schmückte die Mitte der Decke. Schon damals kannten englische Maler das gedämpfte und doch so aufregende Kolorit eines Böcklin, Henneberg und Makart.
„Nicht wahr, bouoz-No^," sagte Charles, „dieß verwunschene Schlößchen ist kein übler Aufenthalt? Gleite mir nicht aus auf dem glatten Boden! Besser, ich trage meine Elfe in ihr Stübchen."