Heft 
(1885) 42
Seite
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Kinder der Flamme von Günther von Frerberg.

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Er setzte das Licht aus der Hand und hob mit der Geschicklichkeit eines Athleten das nußbraune Liebchen auf seine linke Schulter. May wußte kaum, wie ihr geschah, die Lampe wieder mit der Rechten fassend, trug der Blonde das neugierig dreinschauende Kind durch schöne Gemächer mit dunklen Ledertapeten, alten Stehuhren und kostbarem Geräth.

Nicht so schnell, daß ich Alles der Reihe nach besehe," beschwor ihn May.

Morgen, Evastöchterlein, morgen, bei Tages­licht."

Du häßlicher Charlie, Du bist ein Tyrann! Tante Bell meint immer: alle Männer wären Egoisten und Tyrannen; sollte sie Recht habend Ach, geliebter, guter Charles, laß mich nur einmal dieser Pagode auf die Finger tippen; ich sterbe vor Verlangen!" Und bittend streckte sie die Händchen nach den: chinesischen Monstrum ans. Der Tyrann ließ sich erweichen; wie ein geliebtes Kind hielt er May aus den Armen und stand vor der Pagode still.Tipp, tapp!" sagte May, und die Porzellansigur mit dem vorgestrcckten Bauche nickte kahlen Hauptes und Zeigte die blutrothe Zunge ihres blödsinnig verzerrten Maules.

Pfui, sie ist häßlich!" rief die Tochter der Natur.

Aha," triumphirte Charles im Weitergehen, aber das ungezogene Kind mußte seinen Willen haben; ich hatte einen Oheim, der stets behauptete: alle Adamsrippchen wären eigensinnig; sollte der alte Mann Recht habend"

Nicht böse sein," schmeichelte May, des Liebsten Locken küssend.

Und hier ist endlich das Zimmer für die Damen, die bei Tante Rosamunde absteigen." Charles setzte seine leichte Bürde auf einen Sopha nieder.

O Gott, hier könnte eine Fürstin wohnen, Charlie! Das prächtige, breite Bett, die grünseidene Steppdecke! Nein, darin wage ich nicht zu schlafen, und der Toilettentisch! goock graeions! all' die Flacons und Riechkissen und Büchschen! Was thut man denn damitd Nein, ist der Spiegel blink und blank!"

Sie flatterte wie eine Libelle in dem dicht möblirten Raume hin und her.

In der That hätte sich die verwöhnteste Frau kein behaglicheres Schlafzimmer denken können: die Farben so still und weich und kleidsam, moosgrüne Sessel und Ruhebetten aus Utrechter Sammet, dunkler, entsprechender Teppich. Gobbelins aus der be­rühmten Pariser Fabrik bildeten die Tapeten; keine Figuren waren darauf abgebildet, sondern reiche, zartnüancirte Laubgewinde, durch welche man auf heimlich dämmernde, gleichsam zerfließende Land­schaften blickte. Dem Bett gegenüber befand sich die einzige Thüre zwischen grünen Plüschportieren; ober­halb dieser Thüre hing eine vorzügliche Kopie der Raphael'schen Madonna della Sedia, dem trauten, abgeschlossenen Raum die eigentliche Weihe gebend. Nebenan befand sich ein Toilettenkabinet, was May in gesteigerte Ekstase versetzte; dort hingen Weiße Frisirmüntel mit Schleifen an Ständern. Ach, es nahm der Herrlichkeiten kein Ende! Und von der Terrasse klangen Aeolsharfentöne herüber, melodisch seufzend, geisterhaft verwehend.

Deutsche Noman-Bibliothek- XII. 21.

May entging der großen Gefahr dieses nächt­lichen Abenteuers durch die mächtige Zerstreuung, welche die vielen leblosen Gegenstände boten. Charles fühlte sich fast ein wenig gekränkt. May hatte nur Augen für die Nippes, die Möbel, die Haarmäntel. Charles schien vergessen, ebenso das Häschen, das fest eingeschlafen war. Diese Unbefangenheit seiner Braut rief eine gewisse Empfindlichkeit in ihm wach. Beinahe kühl sagte er dem geliebten, heißbegehrten Wesen gute Nacht.

Aber May hörte gar nicht; sie bewunderte die rosenfarbenen Kerzen, von denen Charles zwei an­gezündet hatte; sie zog die kleinen Schubfächer reich eingelegter Rokokoschränke auf und steckte ihr Näschen hinein.

Er war in gelinder Verzweiflung über seine kindische kleine Freundin und hätte gerne gezankt, ihr Mangel an Liebe und Hingebung vorgeworfen.

Siehe, schon zeigte sich ein lichter Streifen am östlichen Horizonte!

Die Frühlingsnacht war vorüber.

Charles erstickte einen glühenden Seufzer und trat an das offene Fenster, die kühle Luft begierig einathmend. Das Morgenroth sänftigte seine Un­geduld und brachte ihm die Besonnenheit zurück. Liebreich wie ein Bruder wendete er sich zur ge­schäftigen May und sagte:

Nun ruhe endlich, mein Maiglöckchen; Du bist gewiß sehr müde!"

Ihr fielen bereits die Augen zu; er nahm sie sanft in seine Arme und legte sie auf das Bett; lächelnd, schon träumend sank die schmale Mädchen­gestalt auf die grünseidene Decke.

Während eines Moments kniete Charles, der Atheist und Skeptiker, neben dem Lager nieder, beide Hände auf dem Herzen, dann flüchtete er aus dem stillen Zimmer, als ob der Boden unter ihm Zu glühen begänne. Eine große, wunderstarke Macht ist die Jungfräulichkeit; es ist leichter, Kirchenraub zu begehen, als jene Macht Zu entweihen!

Charles' Zimmer lag nicht entfernt, nur einige Stufen tiefer; die ersten Sonnenstrahlen erhellten es, indem er eintrat. Sein Blick fiel auf den Wand­teppich, welcher, ebenfalls aus französischen Meister­händen hervorgegangen, den Raub des Hylas dar­stellte: tückische Nymphen schlingen die vollen weißen Arme um den schönen Liebling des Herakles und ziehen ihn zur Tiefe hinab.

Jener Hylas zeigte eine so ausfallende Aehnlichkeit mit dem blondlockigen Charles Mathews, daß Rosa­munde Grant deßwegen ihremNeffen" dieses Zim­mer zum Aufenthalt bestimmt hatte.

Allein so heimisch sich May's Geliebter sonst darin befunden hatte, so wenig gelang es ihm, nach den letzten ereignißreichen Stunden Ruhe Zu finden.

Fortan sollte ja der Ernst des Lebens für ihn beginnen; er hatte die Verantwortung auf sich ge­laden, eine junge, geliebte Existenz an die seinige zu binden.

DieAlltagssorgen" wie Lord Byron sie nannte, traten schon leise an ihn heran; es schmerzte ihn, seiner May kein glänzendes Heim

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