Heft 
(1885) 42
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Deutsche Roman-Bibliothek.

bieten Zu können.Im besten Falle," sann er vor sich hin,werden wir uns in Zwei bis drei Jahren heirathen, kleine Zimmer in einer bescheidenen Gegend des schwarzen, rußigen, nebeligen Londons erwarten uns. Gleichviel! Maiblümchen verbreitet Licht und Lenzlust überall! In stürmischen Winternächten werd' ich sie dicht an meinem treuen Herzen halten und im Sommer besuchen wir Tante Rosamunde; sie wird uns für die Honigwochen ihr Schlößchen zur Disposition stellen. Es sollen keine Syrups- wochen werden, wie George immer sagt!"

Und znm ersten Male dachte der undankbare Freund wieder an Newstead-Abbey; so ausschließlich seine Gedanken von May eingenommen waren, so sagte er sich doch:Ich habe von George ein großes, unvergeßliches Geschenk empfangen: Anregung! Wie wenige Sterbliche gewähren cs uns! Heil allen Denen, die uns geistig fördern, Heil ihnen und Segen!"

Und er trat auf die blumenbesetzte, breite Terrasse, die zu ebener Erde mit seinem Zimmer lag; liebe­voll wendete sich sein Blick der Richtung nach New- stead Zu. Einst war Byron mit seinem glühenden Herzen, seiner Verachtung alles Mittelmäßigen und seinem echt britischen Humor Alles für Charles gewesen. Das Maiblümchen hatte den Freund aus seinem Herzen verdrängt; noch hätte Charles sein Leben eingesetzt für George, ihm seinen letzten Bluts­tropfen gegeben, sein letzter Seufzer aber hätteMay" gelautet.

Unter hohen Blattpflanzen war er auf eine Bank hingesunken, zuletzt löste sich sein Sinnen und Grübeln in Schlummer auf, die Natur behauptete ihre Rechte. Sonnenstrahlen umwoben Charles' eben­mäßige Glieder mit einer durchsichtigen, goldigen Decke.

Träume kamen in Nixengestalt und zogen den Schläfer eine kühle Wasserbahn entlang und neckten sich mit ihm in den wiegenden Fluten. Charles erwehrte sich der Zudringlichkeit der tückischen Feien, obgleich sie verlockend hübsch waren wie jene Nymphen auf dem Gobbelinbilde, er sah May am Ufer stehen und die Hände ringen, eine Todesangst ergriff ihn; jetzt hatte sich auch die schlangenglatte Najade aus der Muschelschale hinzugesellt, bald schillerten ihre Glieder lichtgrün, bald bläulich, Funken knisterten aus ihren blauen Haaren auf; die purpurrothen Aale glitten über Charles' warme Brust und zischelten: Wir wollen Dir Kiemenküsse geben." Er empfand einen tödtlichen Schmerz an den Schläfen, als presse ihm ein glühender Reifen die Stirne zusammen, die Glieder waren ihm gelähmt, aber die Nixen lachten desto lauter, peitschten ihn mit Algen und hielten seineil Kopf unter Wasser, bis ihm der Odem ver­ging, und er sank tiefer, immer tiefer bis er mit einem gewaltsamen Ruck erwachte.

Lag er auf dem Grunde eines schlammigen Flusses? Licht, Wärme, balsamischer Blumenduft, fester Boden unter den Füßen! O Glück! Gegrüßt, du wohlgepflegtes Gartenland mit deinen kiesglitzern­den Pfaden, von Glycinen umblaut! Gegrüßt, du freundliches, zum Leben, zum Genießen einladendes Derbyshire.

Ah, so ist also einem Ertrinkenden zu Muthe?" dachte Charles nicht ohne Schaudern, seine etwas steif gewordenen Glieder in der warmen Frühluft dehnend; schnell aber vergaß er des Alpdrucks, tauchte die Hände in ein kleines Bassin und schöpfte sich einen Morgentrunk. Seine Gedanken flogen zu seinem Herzliebchen, welches nicht weit von ihm schlief nach überstandenen Strapazen.

Ein leises Geräusch verursachte, daß er sich um­wendete: hinter der grünen Blätterwand schimmerte etwas Weißes; Charles hatte Mühe, einen Freuden­schrei zu unterdrücken. May, deren Zimmer gleich­falls auf den schwebenden Garten hinausführte, stand auf den Zehen ihrer allerliebsten bloßen Füßchen unter überhängenden Kressenblüten und rankenden, himmelblauen Winden; eine dieser zarten Convol- vulusblüten hatte sie erhascht und schlürfte aus ihrem Kelche den Morgenthau.

Ein holdselig Bild! Eine Studie für Hamon, den Frühgestorbenen, dessen Idyllen unerreicht blieben!

Charles wollte rücksichtslos die grüne Scheide­wand, die ihn von der Liebsten trennte wie einen modernen Pyramus von seiner Thisbe, durchbrechen und großen Schaden anstellen unter den japanesischen Lilien der Tante Rosamunde. Horch', Peitschen­knall und Räderrollen! Eine Kutsche, mit Schecken bespannt, fährt auf die Brücke zu. Das ist die heim­kehrende Mistreß Grant!

Charles eilt hinab, ihr entgegen, öffnet den Schlag und hebt die lachende, froh überraschte Dame aus dem Wagen.

Keine Mutter hätte sich der eigenen Kinder liebe­voller annehmen können, als Tante Rosamunde es mit dem bedrängten Pärchen that; May nahm das Herz der neuen Gönnerin im Sturme; das liebliche Kind wurde mit Liebkosungen, Schmncksachen und Musselinkleidern überschüttet, May erhielt einen Stick­rahmen und ein Spinett, worüber sie vor Freude weinte. Aber noch am selben Tage verwandelten sich diese wohlthuenden Zähren in herzbrechendes Schluchzen: Charles stellte seinem Bräutchen die Nothwendigkeit seiner Abreise nach London vor und zwar wollte er am Abend desselben Tages fort. May's verzweifeltes Jammern flößte der gutherzigen Mistreß Grant Besorgniß ein und sie bewog ihren Charles, die Trennung um vierundzwanzig Stunden auszuschieben. Unterdessen wurde das fügsame Kind vertranter mit seiner Pflegemutter Nummer zwei, aber dieß erleichterte May nicht den Abschied vom Verlobten; gleich nach Charles' Entfernung erkrankte May an einem Fieberanfall, von dem sie sich kaum erholte, als Charles' erster Brief eintraf.

Gutes Liebchen," sagte kopfschüttelnd Mistreß Grant,Dich formte die Natur aus zu weichem Stoffe! Du trägst allzuviel Leidensfähigkeit in Dir! Gott möge Dir große Schmerzen ersparen!"

Vierzehntes Kapitel.

Tagesanbruch.

Dieselbe Frühsonne, welche die Zinnen des See­schlößchens vergoldete, fand die Ritter zum Todten- schädel noch im Speisesaale von Newstead beisammen;