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Deutsche Noman-Bibliothek.
Skrope Davies erlag einem Gähnkrampf und drückte die Wange auf seine verschränkten Arme.
Wingsield stemmte die Ellenbogen auf den Tisch und das Kinn in die Handflächen.
„Hobby," lallte er, „Du bist eine geborene Papiermotte."
„So hüte Deine rothe Uniform vor Schaden," gab Hobhouse zurück, „Motten durchlöchern mit Vorliebe Scharlachtnch."
„Gib die Pfote, Hobby, und verstehe doch Spaß! Apropos, hast Du Dich nicht einmal duellirt mit George, bevor ihr Beide Freunde wurdet?"
„Natürlich," antwortete für Hobhouse Lord Byron, aus seiner Apathie erwachend.
„Und wegen — eines Femininums, wenn man fragen darf?"
„Gott behüte, wegen alberner Meinungsverschiedenheiten!"
„Auf Pistolen?"
„Leider auf erzprosaische Säbel — vermittelst einer Kugel hätte mir das Jüngelchen Hobby sicher die Torturen der letzten drei Jahre erspart, und ich vermoderte auf das Angenehmste im Begräbniß zu Hucknell."
„Gemach, George —"
„Ei, laßt ihn," fiel John Hobhouse ein, „auf dieses Dasein schimpfen, so viel es ihm gefällt, er liebt es nichtsdestoweniger! Nicht, By meines Herzens? — Du geißelst England und bist doch stolz darauf, Brite und Peer der drei Königreiche zu sein! Du bist liberal und doch ein Stockaristokrat vom Scheitel zur Sohle! Du hassest den Papst und bist für die Emanzipation der irischen Katholiken, — nicht?"
„Danke für das schmeichelhafte Porträt, dem nur die Unterschrift: ,Ein erzkonfuser Narr', fehlt," versetzte Byron, der sich nur allzu sehr getroffen fühlte. Müde fernerer Diskussionen schloß er die Augen.
Hobhouse folgte seinem Beispiel; deßgleichen Long, der ein zweites Mal einnickte. Wingsield wußte seine Füße nicht nnterzubringen, zuletzt streckte er sie auf die Tafel hinauf und schnarchte in dieser anglo- amerikanischen Lage.
Da lagen sie Alle, bezwungen von Stumpfheit und Dumpfheit, Byron allein fühlte keine körperliche Müdigkeit, desto größer war seine geistige Abspannung.
Mit einem Blick unsäglicher Geringschätzung streifte er seine Gefährten, die nun in einem Zustand gänzlicher Hülflosigkeit, ja Verthiertheit, ähnlich den Freiern der Circe, um ihn her saßen, lagerten, sich wälzten.
Ein Ekel überkam den heranreifenden Poeten. Dieser Anblick — in der grellen Morgensonne um so widerlicher — führte ihm die eigene, gewohnheitsmäßige Gesunkenheit nicht nur vor Augen, sondern tief zu Gemüthe; jede Spur von Noblesse schien die Bewußtlosen verlassen zu haben, sogar der „klassische" Hobhouse, der in jeder geistigen Sphäre Einheimische, sah wahrhaft brutal und abschreckend aus.
Elend, verlassen, herzkrank fühlte sich der geisterbleiche, von Allem übersättigte, verhätschelte Erbe der Newstead-Abtei, ohne Charles Mathews schien ihm
der hellaufgehende Tag bleigrau; ein Gram, wie ein Jüngling ihn sonst nur um eine entrissene Geliebte empfindet, durchschallt seine Brust gleich einem scharfen Speere. „Charlie," seufzte er, „mit wem kann ich die Rosentage des Lebens wieder beginnen?"
Gegenwart und Zukunft lagen gleich reizlos vor George Byron. „Noch obenein verließ er mich an einem Freitag," stöhnte er vor sich hin (der Aberglaube, daß dieser Tag Unglück bringe, war ihm von seiner schottischen Mutter in's Blut übergegangen).
„Schade, jammerschade um Charlie! Er war ein Verstandesriese, ein echtes Kind der Flamme; nun ist's vorbei damit, er sank hinab zur Alltäglichkeit. ,Cassio, ich liebe Dich, allein mein Offizier bist Du nicht mehr' — würde er nur glücklich, der Thor! Sein fügsames Gänschen wird ihn bald entsetzlich langweilen; hätte es Werther neben seiner hausbackenen Lotte ans die Dauer ausgehalten? Nimmermehr!"
Ein Sonnenstrahl küßte die lilienweiße Stirne des gehellnnißvollen Mädchenbildes, welches George gegenüber hing; gleichsam plastisch trat ihm die süße, lichte Erscheinung aus der dunklen Umrahmung entgegen.
Der Gereizte schleuderte einen Blick des Hasses zu ihr hinüber. „Täusche alle Welt mit deinem weichen Sammetblick," höhnte er, „nur mich nicht! Und wenn du ein Engel warst für Den, welchen du liebtest, — irgend einen Wüstling meines verfluchten Stammes oder gar den enthaupteten König selber, — so warst du sicher für einen Andern, Bessern ein Teufel, und zwar einfach aus dem Grunde, weil dieser Andere keine griechische Nase besaß, sondern eine, die der Paß oder Steckbrief als ,gewöhnlich' bezeichnet. Ja, freilich laust ihr einem Götzenbilde bis auf das Schaffst nach, sterbt mit ihm zusammen, falls die sinnliche Berauschung gerade noch vorhält und scheinbaren Heroismus veranlaßt, aber ist dieser erhabene Moment einmal verpaßt, so tröstet ihr euch nach wenigen Wochen. Als ob die Thränen eines Weibes Bedeutung hätten! Aspasia beglückte nach dem Tode des Perikles einen schönen Fleischer mit ihrer Gunst; die Wittib von Ephesus tröstete sich mit dem Landsknecht; Marie Touchet, die Empfind- lerin, lechzte nach Legitimität und vermählte sich gleich nach dem Heimgang ihres feurigen Valois einem obskuren Edelmanne! ülteatora!"
George hatte sich in die größte Bitterkeit hineingeredet und nicht vernommen, daß leichte Schritte durch den Saal gegangen waren.
„Ich danke im Namen des schönen Geschlechts," sagte Flora mit deutlich vernehmbarer Stimme.
Byron wendete den finstern Blick der unver- mutheten Erscheinung zu. Flora stand in Frauenkleidung neben ihm, ein weißseidenes Morgenkleid von edlem, antikem Schnitte gab ihr halb das Aussehen einer Pythia, halb den Reiz einer Bajadere. Die schwarzen, rebellischen Lockenschlangen waren im Nacken zum kunstlosen Knoten geschürzt, wodurch daL seine, energische Profil noch mehr zur Geltung kam, ebenso der klassische Halsansatz und der stolze, könig liche Nacken. Ueber ihre hohe weiße Gestalt zuckten die bunten Reflexe der gemalten Scheiben und hefteten vielfarbige, ephemere Edelsteine an Flora's Busen,