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Deutsche Noman-Bibliothek.
Nancy lebhaft, „so hätte man Sie vermuthlich als einen Zweiten Chatterton begrüßt; gegen den Aristokraten machten die Kritiker Opposition wie anfangs immer; aber dieß darf einen Lord Byron nicht entmuthigen. Vernehmen Sie: in der Bibliothek Zn Oxsordhall hängt eine alte Kopie nach Anibale Caracci: ein schöner, lächelnder Jüngling nimmt seinen Flng durch das Aetherblau, auf beiden Armen trägt er grüne Nnhmeskränze, sie den Auserkorenen Znzuwerfen ans seiner Höhe, und ich sage mir immer vor diesem inspirirten Gemälde: ,Das ist George GordonByron's Genius!'"
Tiefsinnend lauschte er ihrer sanften und feurigen Redeweise, in seiner Dryas eine Egeria erkennend.
„Aber um mit Lust Zn singen," fuhr sie gesteigert fort, „um der Welt alle Seelenmysterien zu erschließen, allen Zauber, alle Trunkenheit der Phantasie, dazu müssen Sie die Flügel ausspannen und nicht an der Scholle haften bleiben! Reisen müssen Sie, Mylord, reisen, neue Horizonte kennen lernen, denn Poeten sind bekanntlich Zugvögel, sie lieben den Raum, den Aether, das Meer, die Unendlichkeit! Selbstvertrauen fehlt Ihnen, nur dieses, denn Sie besitzen all' die glänzenden Fähigkeiten, um stolz sagen zu dürfen: ,Jch bin groß — ich vermag etwas!'"
„Und wenn Sie sich täuschten, Muse mit dem Engelsherzend"
„Das ist nicht möglich!" rief sie flammend. „Arthur entwendete Ihnen manch' dichterisches Fragment; lassen Sie mich's bekennen, daß ich seit geraumer Zeit Ihre Seele belausche! Jüngst las mein Bruder in kleinem Kreise Verse von Ihnen und sagte scherzend, sie wären von ihm. ,Dann, bester Arthur,' entgegnete Lord Woodhouselee, der zugegen war, ,dann wären Sie ein größerer Sänger als sämmtliche Lyriker und Epiker unserer Seeschule,' und Lord Holland setzte hinzu: ,Dieß ist der Augenausschlag eines erwachenden Genius!'"
Byron's Augen blitzten; weite, weltweite Perspektiven öffneten sich plötzlich vor ihm. „Hinaus in den Kamps!" ries es in ihm, als Wiederhall ihrer Worte, dennoch war er nicht ganz frei von einem gewissen Mißtrauen. Wie, wennJanthenur schmeichelte? Doch nein, sie war keine leichtfertige Phantastin, sie war ernst und ehrlich wie eine Seherin, wie eine Heroine; sie stand ihm höher als eine Staubgeborene!
„Warum treten Sie leuchtende Edelsteine in die Erde?" unterbrach sie sein Nachdenken; „warum gönnen Sie Ihren Mitmenschen nicht die Freude daran? Sie lieben nicht die Welt!"
„Die Welt liebt mich nicht," antwortete er heftiger, als er bis jetzt gesprochen hatte.
„Geben Sie ihr ein unsterbliches Gedicht, intimer, kühner, seelisch-vertiester, als Spencer und Sidney sangen, und die Welt wird Sie vergöttern!"
George legte die Hand über die Augen; war es denn denkbar, daß dieß nicht Alles Traum war wie unter den Jasminbüschen am Teiche? Durfte er daran glauben, daß die Tochter seines strengen Widersachers an seiner Seite saß, ihm den Rettungsanker wies, ihn zu erheben aus geistiger Gesunken- heit? Ja, ihr Athemhauch streifte seine Wange,
der Wohlgeruch von tausend Blumen drang auf ihn ein, mit entzückter Andacht weilte sein Blick aus der „Dryas", deren Geist ebenso süß, zart und adelig gebildet war wie ihr Aenßeres. Unbegrenzte Seligkeit dnrchströmte ihn, neues, überraschendes Empfinden, wie cs die Seligen des Elysiums ans den Wiesen von Asphodil himmlisch erquickt.
„O Gott, Lady Nancy, wer möchte nicht jeden Versuch wagen, nicht den kühnsten Anlauf nehmen, sobald eine Begnadete, wie Sie, hernntersteigt aus idealen Sphären! Ja, während ich Ihre Stimme vernehme, fühle ich Kraft in mir, mit Sternen auszuleuchten, und vielleicht — doch nein, ich wage nicht, Ihnen eine Bitte vorzutragen."
„Sie sei gewährt," sagte sie mit unendlicher Sanftmuth.
„Mein erstes Lied von Bedeutung Ihnen zu singen, Mylady, daraus ginge all' mein Ehrgeiz hinaus! Wenn ich es unter Ihrer Aegide in die Welt hinanssenden dürfte, dann würde vielleicht der Schrei meines Herzens zu anderen wunden, verkannten, verschmachtenden Herzen dringen; fürchten Sie nicht, daß ich Sie ostentatiöserweise kompromittire und eine Widmung an Lady Nancy Harleigh ans das erste Blatt setze, — gestatten Sie nur, daß mein Erstlingswerk den Namen ,Janthe' an der Stirne trägt!"
„Janthe?" Erwartungsvoll schaute sie ihn: in die Augen.
In kurzen, herzensechten Worten erzählte George seiner jungen Gönnerin von der Camee mit der Aufschrift jenes griechischen Mädchennamens, und daß Nancy's Profil dein lieben, feinen Köpfchen Zug für Zug gliche.
Sie hörte ihm stillselig zu und ihr träumerisches Lächeln schien zu sagen: „Wir waren uns ja niemals fremd!"
Es war wie ein Ausruhen ihrer Seele an der seinen, in der Tiefe dieser beiden Naturen gab es eine wunderbare Uebereinstimmung, ihre Herzen hatten sozusagen dieselbe Klangfarbe, ihre Geister, aus einem Nratom entsprossen, zogen sich mächtig, unwiderstehlich an.
Er verschwieg ihr nicht sein Traumgesicht, die Sehnsucht, welche er seitdem nicht zu stillen vermochte. Nancy bekannte ihm ihrerseits in voller Unbefangenheit und Vertraulichkeit, ans den Blütenzweigen ans ihn niedergeschaut zu haben; vor dem Erwachenden jedoch und seinen heransprengenden Gefährten sei sie scheu znrückgewichen.
Ihrer würdig werden! Von diesen: Impulse getrieben, regten sich alle schlummernden Keime in der Brust des Jünglings. Nicht, daß er beabsichtigt hätte, die steinreiche Erbin heimzuführen, es kam ihn: nicht in den Sinn, um Nancy wie um eine Erdentochter zu werben, ebensowenig konnte zwischen ihnen von einer vergänglichen Liebschaft die Rede sein; Byron hatte in der muthigen, liebreizenden Nachbarin die Führerin und Schwester, die ihm bis jetzt gefehlt, erkannt, zu seinen ursprünglichen Idealen führte sie ihn zurück.
Wern es unwahrscheinlich dünkt, daß Lord Byron bei seinem entzündlichen Temperament plötzlich zum Schwärmer und Platoniker werden konnte, dem sei
