Die tolle Setty von Hans Wachenhusen.
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Die Lotte
Roman
von
Hans Wachenhusen.
(Fortsetzung.)
^eine Gattin, die Unstörbare, Unwandelbare, empfing ihn mit aufrichtiger Teilnahme für seinen leidenden Zustand. Sie hatten einander selten geschrieben — was hätten sie sich zu sagen gehabt.
In ruhigem Gleichmaß war ihr die Zeit ans ihrem rheinischen Besitzthum verstrichen. Womit sie sich beschäftigt, fragte er nicht; er wußte es: mit dem ewigen Nichts, einen: stillen Versnnkensein in der Oede der Gedankenlosigkeit, das doch so gut ihre Zeit ausfüllte. Sie las nicht, sie hatte für nichts Interesse, selbst das Piano, das früher der unentbehrliche Begleiter ihres Gesanges gewesen, war ihr gleichgültig geworden. Es gab kein Notenblatt mehr in ihrer Nähe.
Es war Frühling, als Oppenstein Zu ihr kam. Die frische Rheinluft sollte ihn kräftigen, aber „jetzt sind wir wie zwei Austern in dem tiefen See unserer Langeweile!" seufzte Oppenstein, wenn er mit ihr an der Balustrade am Stromufer saß und die mächtigen Dampfer vorübersteuern sah.
Jndeß gerade die Ruhe, die kräftigende Wirkung der Rheinbäder waren es, die ihn wieder auf die Beine brachten. Der Pfarrer der benachbarten Kirche ward sein einziger Umgang und der befestigte in ihm alsbald eine Idee, mit der er seit seiner Rückkehr umging.
Er wollte ein Mädchen adoptiren, denn das Majorat ging nach seinem Tode aus eine dritte Linie über, da sein unglücklicher Bruder, dem inzwischen ein Legat zngefallen, nach mehrjährigem, vergeblichem Aufrufen für verschollen erklärt worden. Einem Mädchen konnte er, der nicht den zehnten Theil seiner Einkünfte verzehrte, ein glänzendes Privatvermögen hinterlassen. Die Erziehung eines Mädchens konnte ihm auch reiche und dankbare Beschäftigung geben. Selbstverständlich mußte es alle die natürlichen Anlagen besitzen, um nach seinen Anforderungen ausbildungssähig zu sein. Es war eine neue, große, seiner würdige Aufgabe, selbst ein Weib zu erziehen, wie es ihm stets vorgeschwebt. Nur die Erziehung war ja nach seiner Ansicht Schuld an der Verbildung des Weibes, des Menschen überhaupt.
Wer hatte in ihn selbst jenen Zug gelegt, der ihn von der übrigen Männerwelt so isolirte, ihn mit all' seinen geistigen und materiellen Mitteln an deren Neigungen keinen Geschmack finden ließ? Die Kloster- erziehnng, der Frauendienst, der in demselben mit der Himmelskönigin und den weiblichen Heiligen getrieben wurde! Wie viel mußte er in der Klosterdisziplin hören und lesen über sie und zwar in einer
überschwenglichen, an den Ritterdienst grenzenden Weise! Wie oft und lange hatte er im Kloster vor der Maria Magdalena Correggio's gelegen und sich in den Anblick dieser reuigen Sünderin versenkt, aus der Jesus sieben Dämonen vertrieben; wie entzückt hatte er vor den Abbildungen in den religiösen Büchern gesessen und an das reine, himmlische Weib gedacht, zu dem ihm der Ariadnefaden verloren gegangen!
Diese Idee, nachdem sie mit dem Pfarrer des rheinischen Dorfes fast täglich besprochen worden, vernahm seine Gattin anfangs mit ihrer gewohnten Apathie; dann aber ergriff sie dieselbe plötzlich mit Eifer. Oppenstein sah mit Genugthunng, daß er ein Motiv gefunden, das diese träge, ausgestorbene Natur Zu galvanisiren vermochte.
Leonore von Oppenstein war in der That wie aus einem Halbleben erwacht. Sie sprach täglich von diesem Vorhaben; sie theilte nicht einmal ihres Gatten Besorgniß, es werde schwierig sein, den rechte:: Menschenstoff zu finden; sie begehrte nur ihren vollen, ungeschmälerten Antheil an der Wahl des Kindes, die Entscheidung in derselben sogar, denn nur ein Weib könne sein Geschlecht ganz und recht verstehen.
Oppenstein gab ihr hierin innerlich Recht; er selbst hatte das an sich erfahren, und so befand er sich denn wiederum aus der Suche. Seine Gattin wollte nichts hören von den Kindern der Landbewohner, die der Pfarrer vorschlug; es sei ein zu grober Stoff, meinte sie, und die allenfalls geeigneten gaben die Eltern nicht her.
Sie zog ihn also mit sich in die großen Städte; sie besuchte mit ihm die Waisenhäuser, aber wenn ihm selbst dieses oder jenes Kind gefiel, so fand sie daran auszusetzen, bis Beide beschlossen, einen andern Weg zum Ziele einzuschlagen. Und dieß führt uns erst in unsere eigentliche Geschichte hinein.
Drittes Kapitel.
Auf der obersten Stufe des Kellerhalses saß eines Morgens im Sonnenschein eine kleine braun- rothe Dirne, kaum acht Jahre alt. Das Gesicht des Kindes war versteckt unter den: kurz gewellten, dichten Haar von der Farbe der frisch aus ihrer Schale geplatzten Kastanie. Ein runder Kindesarm hob sich unter demselben, die Hand fuhr mit dem Kamm durch die in der Sonne glänzenden Strähnen; sie theilte dieselben über beide Schläfen und zwei muth- willige Augen, ein keckes Naschen schauten in den Hof hinein, horchend, und geschreckt wie das Reh im Forst, als höre sie eine Stimme.