Heft 
(1885) 43
Seite
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Deutsche Noman-Sibliothek.

Mit der Selbstthätigkeit eines früh auf sich an­gewiesenen Kindes fetzte sie die Arbeit wieder fort; ihr Antlitz färbte sich dabei. Die Hände aber ruhten alsbald wieder im Schooß; es schien ihr etwas durch den kleinen Kopf zu gehen, wie sie dasaß, nur mit dem dürftigen Mieder und noch dürftigerem kurzen:, kaum auf die Kniee gehendem Nöckchen bekleidet, die Füße in abgetretenen Pantöffelchen.

Das Kindesgesicht hatte den Marmorglanz der Rothen und roth waren die Wurzeln ihres Haars, das in Licht und Schatten wie Nußbaumfarbe leuchtete. Die eigentliche Farbe des Haares aber war noch unreif, die goldenen Brauen, die langen Wimpern bezeichnten diese für die Zukunft.

Ein anderes Kindergesicht, das eines Knaben, tauchte unter ihr am Fuße der Kellertreppe auf.

Betty, Du sollst Dich sputen, läßt die Mutter Dir sagen! Um zehn Uhr komme die Herrschaft, um Dich zu sehen. Du weißt doch, Du sollst verkauft werden!"

Dummer Bub'!" Betty setzte den Kamm wieder in's Haar und Zog eine Strähne über die Schulter, um sie zu flechten.

Der Knabe setzte sich ans die unterste Stufe und schnitzte an einem Stecken.

Wenn Alles abgemacht ist, sagt die Mutter, so geht sie mit mir nächste Woche nach Amerika, dem Vater nach. Geld bekommen wir ja für Dich."

Betty antwortete nicht. Sie sann über das, was Jener sprach, und das war ihr nicht neu; nur wie es gesagt wurde, das verletzte sie.

Glaubst Du, mir läge daran, bei euch zu bleiben?" rief sie mit zürnendem Blick hinab.Es sind jedenfalls reiche Leute, und da bekomme ich doch alle Tage Suppe, Braten und Compot wie Die da oben essen!" Sie blickte zu der Küche des Vorder­hauses hinauf.Und ein feines Bett und schöne Kleider bekomme ich doch sicher auch."

Ja, wenn sie Dich nur nehmen! Hättest Du noch ganz Dein rothes Haar wie früher, so thäten sie es gewiß nicht."

Und ihr ginget dann auch nicht nach Amerika. Ich weiß schon, was ich thue, wenn ich groß bin."

So, und was denn?"

Das brauchst Du doch nicht zu wissen! Reich werden will ich, viel Geld haben. Mir träumt schon jede Nacht davon."

So, und wie willst Du denn das machen, Betty?"

Das weiß ich noch nicht. Aber Dich kümmert es gewiß nicht. Wenn ihr nach Amerika geht, sehen wir uns ja doch nie wieder. Deine Mutter läßt sich das elende Brod, das ich von ihr gegessen, jetzt bezahlen, und damit sind wir fertig."

Sie heftete die dicken Zöpfe im Nacken auf und erhob sich.

Meinetwegen sollen sie jetzt kommen, ich bin in fünf Minuten bereit. Ich wollt', sie nähmen mich gleich mit sich, und dann wäret ihr mich los!"

Sie wollte mit schnippischer Miene an dem Knaben vorüber und schlug ihm die Backe, als dieser ihr in kindischer Bosheit beim Vorübersteigen in das Bein kniff. Von ihm verfolgt, rettete sie sich in das Halb­

dunkel des Souterrain. Die Mutter trieb hier Beide von einander und schob das Mädchen in die Kammer.

Auch sie, die sich durch Tagelohn ernährte, seit ihr Mann, ein arbeitsscheuer Schlosser, sie mit dem Knaben und dem gegen eine einmalige Zahlung an­genommenen Mädchen im Stich gelassen, sie hatte ihre Sonntagskleider angelegt.

In der Zeitung hatte sie gelesen, daß ein kinder­loses Ehepaar ein Mädchen an Kindesstatt zu über­nehmen wünsche. Sie hatte ihre Adresse im Zeitungs­bureau abgegeben und darauf einen Brief erhalten, worin stand, man werde heute um Zehn Uhr morgens kommen, das Kind anznsehen. Sie hatte für den vornehmen Besuch die armselige Kellerwohnung sauber gemacht, hals jetzt selbst dem Kind beim Ankleiden und wartete mit klopfendem Herzen, als es Zehn schlug.

Betty hockte auf dem durchgesessenen Strohstnhl im dunklen Merinokleidchen, einen weißen Kragen um den Hals. Auch ihr schlug das kleine Herz er­wartungsbange. Die Pflegemutter war heute so lieb gegen sie, aber sie wußte warum. Ihr war's recht, wenn sie fortkam, und doch bäumte sich der Trotz in ihr. Verkauft werden sollte sie, damit ärgerte sie der Knabe seit gestern schon. Aber reich werden wollte sie; vielleicht fing ihr Traum schon heute an sich zu erfüllen. Das kleine Mädchen von drüben durste nicht mit ihr spielen, weil sie armer Leute Kind sei, so hatte ihr dasselbe gesagt, und das kränkte.

Sie kommen!" erschreckte sie plötzlich die Stimme der Pflegemutter.Nimm Dich zusammen! Mach' ein freundliches Gesicht! Und Du in die Kammer, Du brauchst nicht dabei zu stehen!"

Sie nahm den widerspenstigen Knaben, schob ihn in die Kammer und schloß die Thür hinter ihm.

Ein Doppelschatten legte sich über den Kellerhals. Ein vornehmes Paar stand vor demselben; ein hoch­gewachsener Herr mit noblem Gesicht schaute zaudernd in das Souterrain hinab, während die Dame im Hof umherblickte.

Wir sind hier recht. . . wegen des Kindes?" fragte der Erstere die an die Treppe getretene, höf­lich knixende Frau.Sind Sie die Frau Manie?"

Ich bitte, sich nur herabzubemühen, gnädigster Herr! Sie sind allerdings bei armen Leuten, wie Sie vermnthen konnten."

Jede Berührung mit den Wänden vermeidend, schritt der Herr hinab, die Dame folgte ihm, den Saum des Kleides vor der schmutzigen Diele schützend. Sie wechselten Beide im Hinabsteigen ein paar Worte in französischer Sprache.

Also dieß ist vermuthlich das Kind?" fragte der Herr, ein Vinocle auf die Nase setzend und Betty betrachtend, die Zu der Pflegemutter Erschrecken ein trotziges Mäulchen machte.Nicht übel!" wandte er sich, wieder französisch, zu der Dame zurück. Schon jetzt ein eaebev in dem Gesichtchen, das man hier unten nicht suchen möchte! Verspricht etwas! Ein Trotzköpfchen! Hübsches Haar, funkelnde Satans­augen, lieblicher Mund, Teint ganz nach Rubens, zierlich und doch kräftig im Ansatz. Wie gefällt sie Dir?"

Betty verstand die Kritik nicht, aber sie empfand