Die tolle Betty von Hans Wachcnhusen.
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die Musterung. Um das rothe Müudchen legte sich jetzt ein spöttischer Zug. Sie schaute nicht auf und wollte verletzt zurückweichen, als der fremde Herr ihr unter das Kinn griff, um ihr Gesicht auszurichten.
„Blick' den gnädigen Herrn an, Betty!" Das Kind gehorchte Zögernd und widerwillig.
Die Dame schien inzwischen aufmerksam das Kind zu mustern, warf einen Blick auf die Frau, dann wieder einen andern auf das Kind. Der Gatte ließ ihr Zeit Zu kritischer Musterung.
„Gefällt Dir das Kind, so mach's kurz!" sagte er. „Ich werde dann das Weitere thun. Du weißt, ich habe Dir Alles überlassen müssen."
Die Dame nickte znstimmend.
„Thue es!" sagte sie mit halber Stimme, als fühle sie die Verantwortlichkeit, die sie übernommen.
„Also, meine Liebe," wandte er sich von dem Kinde ab zu der Frau; „Betty heißt das Mädchen? Der Name thut nichts. Weiter keine Kinder?"
„Doch, ich habe noch einen Knaben und ein Mädchen."
„ Eigen?"
„Betty ist nur mein Adoptivkind."
„So, so! Und wer sind die Eltern?" Der Herr schaute die Gattin fragend an. Sie schien kein Hinderniß in diesem Umstand zu finden.
„Ich weiß es nicht, gnädiger Herr! Mein Mann übernahm Betty an Kindcsstatt, als sie ein Jahr alt war, gegen eine Zahlung ein- für allemal. Die Eltern haben kein Recht mehr und sie sind wohl weit fort, wenn sie noch am Leben. Das Kind ist ans unfern Namen eingeschrieben."
„So, so! Also bestimmt kein Recht, damit man nicht etwa Unannehmlichkeiten davon habe? Aber so sprich Du doch!" wandte er sich an die Gattin.
„Ich überlasse ja alles Uebrige Dir!" Sie ließ sich ans den morschen Strohstuhl nieder, wenn auch mit Widerstreben.
„Ich liebe nicht viel Worte zu machen. Das Weitere müßte allerdings Alles geordnet werden," fuhr der Fremde fort. „Ich Zahle darnach eine Summe von tausend Thalern an Sie, liebe Frau; damit werden Sie zufrieden sein? Würdest Du gern mit uns gehen?" fragte er, die Hand des Kindes nehmend.
„Ja!" Die Stimme des Mädchens klang so hell und entschlossen, als sei cs stolz auf den Preis.
„Charakter liegt darin!" lachte der Herr. „Und Sie entsagen natürlich allen Ansprüchen, werden uns für die Zukunft nicht belästigen?"
„O bewahre, gnädigster Herr! Ich gehe ja mit dem Knaben nach Amerika, zu meinem Mann, der schon dahin vorausgegangen ist. Das ältere Mädchen bleibt hier."
„Mir scheint, die Leute machen mit dem Mädchen ein gutes Geschäft, sie lassen sich schon zum zweiten Mal dafür bezahlen." Er sprach wieder französisch. „Meinst Du nicht, daß wir uns die Sache noch überlegen, das Kind etwa erst auf Probe nehmen sollen? Wer kann denn wissen, was in fremdem Blute steckt!"
„Nein! Wir nehmen cs! Ordne nur Alles!"
„Gut also! Mach' mir nur in Zukunft keine Vorwürfe!"
Die arme Frau athmete erleichtert auf. Sie wollte die Hand der Dame nehmen und sie küssen. Diese wehrte ihr ab und erhob sich mit einem ungeduldigen Blick auf den Gatten.
„Also, meine Liebe, dann wären wir soweit einig!" Er wandte sich zu der Frau Zurück. „Wer wir sind, das brauchen Sie ja nicht zu wissen, da es nicht Ihr eigenes Kind ist. Wir halten uns auch nur vorübergehend hier auf. Es ist auch besser so für die Zukunft. Heute noch wird meine Frau dafür sorgen, daß die Kleine hübsche Kleider erhält. Morgen um diese Zeit komme ich, Ihnen das Geld zu bringen, und Sie unterschreiben mir zugleich im Namen Ihres abwesenden Mannes eine Erklärung, daß Sie Zn Gunsten des Inhabers derselben ans alle von Ihnen früher übernommenen Rechte über das Kind für immer verzichten."
„Gern, gnädigster Herr!" Der armen Frau schien das Herz an der Kehle zu sitzen. „Betty, sag' der gnädigen Herrschaft Deinen Dank dafür, daß sie Dich an Kindesstatt annehmen will, und küsse der gnädigen Frau die Hand."
Mit derselben Entschlossenheit trat das Kind vor und reichte erst dem Herrn das Händchen, dann der Dame. Diese schaute es jetzt lange und mit Freundlichkeit an, erhob sich, nickte flüchtig der armen Frau zu und wandte sich Zur Treppe.
„Die Sache hat sich schneller arrangirt als ich erwartete," sagte Oppenstein draußen, als Beide die Straße hinaufschritten, aufmerksam gefolgt von den Augen der Schlossersfrau, die, von Neugier getrieben, ihnen auf die Straße nachgeschlichen und beobachtete, wie an der Ecke ein Diener den Beiden die Wagenthür öffnete. „Es ist ein eigen Ding mit fremden Kindern, es kann unberechenbare Lasten und Schwierigkeiten geben. Fremdes Blut!"
„Aber Du wünschtest doch selbst..."
„Ich wünschte? . . . Freilich, ich sagte Dir oft genug, ich würde dem Himmel dankbar gewesen sein, hätte er mir die Freuden eines Vaters beschieden. Ich sagte Dir auch, daß mir ein Mädchen am liebsten sein würde, das ich mir so ganz nach dem Ideal edler Weiblichkeit erziehen könnte, wie es mir stets vorfchwebte, und das ich . . ." — er ließ den Ton sinken und schwieg, zum Wagen hinausblickend — „das ich in Dir einst vergeblich Zn finden gehofft!" wollte er verstimmt hinznsetzen. „Dil weißt, ich bin Idealist, ich kenne das Weib nicht in dem gemeinen, realistischen Sinne, in welchem es leider nur zn allgemein und zum eigenen Verderben feinen Beruf aufsaßt. Ich sehe in dem Weibe die urewige Ernährerin und Erzieherin des Menschengeschlechtes, denn was unsere moderne Zeit an sozialen Bedingungen dieser Art herausgebildet, hat mit der ursprünglichen göttlichen Bestimmung nichts gemein."
Die Gattin seufzte leise unter dem Schleier.
„Das sind einmal so Deine fixen Ideen," sagte sie zerstreut.
Oppenstein verschluckte den Vorwurf mit saurer Miene. Er hörte ihn nicht zum ersten Mal.
„Ich will Dir sogar beweisen, daß meine Ideen mit unseren gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen ganz in Einklang zu bringen sind. Ich