Heft 
(1885) 43
Seite
1025
Einzelbild herunterladen

Die tolle Sctty von Hans Wachenhusen.

1025

umgetauft war der Uuterhaltuugsstoff geworden, wenn Beide sich langweilten oder verstimmt waren, Bettina's Bild stand auf allen Tischen und Etageren, jedes Jahr von Neuem Photographirt, in den kost­barsten Rahmen, und er sowohl wie sie konnten stundenlang in ihren Zimmern vor dem Bilde sitzen.

Er namentlich machte es zu einem heimlichen psychologischen Studium; er forschte mit allen Hülfs- mitteln der Physiognomik in dem Kindesantlitz und las wie ein Wahrsager in den sich mehr und mehr formirenden Zügen. Er besuchte das Mädchen all­jährlich zweimal mit seiner Frau in dem Pensionat und unterhielt sich mit Frau von Schüller stunden­lang über ihre Erziehungsmethode. Was diese Dame ihm über ihren Zögling sagte, war immer nur Schönes und Gutes; sie wußte von ganz eigen- thümlichen Charaktereigenschaften desselben zu erzählen, die seinen Erwartungen schmeichelten und ihrer Er­ziehung Ehre machten, und er gewahrte nicht, daß Frau von Schüller Bettina ihm stets nur in Parade, unter Umständen vorsührte, die zu einer Aeußerung ihrer Individualität keine Gelegenheit gaben. Wenn er wieder abreiste, ward Frau von Schüller reich beschenkt, und Oppenstein's Gedanken hatten wieder neuen Stoff, sich mit dem Kinde zu beschäftigen, für das er sparte, von dessen Vorzügen er Jedem er­zählte, der es hören wollte.

Nach Verlaus von drei Jahren ward Bettina feierlichst aus der Pension abgeholt. Leonore selbst wollte ihre Erziehung fortsetzen. Sie und Oppenstein tweteiferten in derselben, aber mit einem nothwendig ungünstigen Resultat, denn die Lehren, die sie dem Kinde gab, nannte er spießbürgerlich und hausbacken; er arbeitete ihnen entgegen und prägte dem Mädchen gerade ganz Anderes ein.

Bettina, deren Gesicht wirklich viel versprach, hatte im Wachsthum noch wenig Fortschritte gemacht; Leonore suchte diese durch Fleisch- und Mehlspeisen, durch Malzextrakt und Eisentropfen zu fördern und schleppte sie in die Milchkur. Oppenstein behauptete, so stopfe man Straßburger Gänse, aber nicht ein Kind, das seiner Familie angehören, ihr Ehre machen solle. Er zog ein halbes Dutzend Lehrer und Lehre­rinnen in's Haus, um das Mädchen durch Unterricht zu erdrücken und Zn verwirren; sie engagirte eine Gouvernante und verabschiedete die Lehrer. Er seiner­seits zahlte der Gouvernante ihre Jahresgage und schickte sie fort, weil sie eine Jgnorantin sei.

Frau von Schüller kam zur rechten Zeit zum Besuch, um sich zu beklagen, daß man das Kind mit allen seinen schönen Anlagen total verderbe, und Oppenstein, der all' die Zeit einen heillosen Aerger durch die verkehrte Erziehung seiner Frau gehabt, hörte bereitwillig ihren Vorschlag an, ihr das Mäd­chen wieder zurückzngeben.

Schon um Leonore für ihre Unfähigkeit Zu strafen, sollte das geschehen. Wenn das die Freude war, die er sich durch Annahme eines fremden Kindes bereitet, so sollte Bettina draußen bleiben so lange, bis seine Frau nichts mehr an ihr zu verderben im Stande war.

Oppenstein's Wille drang durch. Bettina reiste

Deutsche Rmnun-Bibliothek. XII, 22,

mit leichtem Herzen, froh, dieser Zerrerei zu entkommen; Leonore weinte, aber sie fügte sich als Dulderin.

Ist es ein Wunder, wenn wir nach einem richtig erzogenen Mädchen suchen!" rief Oppenstein, als Bettina fort, einsehend, daß er durch diese Maß­regel nur sich selbst gestraft.Kein Weib versteht mehr, ein Kind zu erziehen! Verschrobenheit, Mangel an Erkenntniß der Individualität, äußerliche Salon­dressur, Gouvernantenweisheit, die selber nichts ge­lernt, damit will man ein Weib heranbilden, das seiner Aufgabe bewußt! Und was ist jetzt aus meinen schönen Plänen und Hoffnungen geworden! Ich bin verdammt, wieder allein zu sein, wenn ich es nicht täglich mit ansehen will, daß man mir dieses Mädchen vermodelt!"

Oppenstein, wenn er das Zimmer Bettina's be­trat, das jetzt verödet, hätte weinen mögen. Alles erinnerte hier an das Mädchen, das er so lieb ge­wonnen. Was hatte er Alles für Bettina hier zu­sammengetragen! Bücher, Musikalien, Handarbeiten, hunderterlei kleine Sächelchen, die dem Kinde Freude machen mußten, aber alle mit Rücksicht aus die sitt­samste Erziehung gewählt.

Seine Wohnung erschien ihm eine Wüstenei, er wollte eine andere. Er verreiste mit Leonore und fand auch unterwegs keine Ruhe. Er Zankte mit ihr; sie nahm die ungerechtesten Vorwürfe schweigend hin, und das ärgerte ihn wiederum. Er wollte das Mädchen wieder haben und doch wieder nicht.

Jahre vergingen wie vordem. Frau von Schüller schrieb von Bettina's glänzenden Fortschritten und musterhafter Führung; sie erhielt Geschenke über Geschenke und warnte deßhalb immer wieder, das Mädchen zu früh ihrer bewährten Leitung zu ent­ziehen.

Als Oppenstein endlich doch die Zeit gekommen schien und er sich bereitete, sein Kind Zu holen, machte ihm das Schicksal wieder einen Strich durch seine Rechnung. Er erkrankte schwer und hütete lange das Bett; dann drang der Arzt daraus, er müsse für längere Zeit ein warmes Klima anfsuchen und sich der äußersten Ruhe hingeben. Und so blieb die Bettina wiederum der Frau von Schüller über­lassen. Es war, als sollte sie nicht in das Oppen- stein'sche Haus.

Anderthalb Jahre zwang ihn sein Zustand in Malaga, später in Madeira zu bleiben; dann endlich gestatteten ihm die Aerzte, getrieben von Sehnsucht, mit Leonore heimzukehren, um wenigstens sein Kind zu holen und mit diesem noch den Winter in Nizza zu verweilen, ehe er sich ganz dem nordischen Klima wieder vertrauen durste.

Ein Moment hoher Weihe war es für ihn, als er sein Kind in die Arme schloß, ein kräftig ge­wachsenes und doch von hoher Anmuth geschmücktes Mädchen, das in seinem äußeren Erscheinen all' seinen hochgespannten Erwartungen entsprach und ihn mit Vaterstolz erfüllte. Er drückte sogar zum ersten Mal seit lange seine Gattin an sich, als schulde er ihr Dank für dieses Kind, und ermüdete das Mädchen durch sein Anschauen.

Es ist Blut in dieser Natur!" sagte er sich,

189