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Deutsche Noman-Sililiothek.
immer wieder auf sie blickend, als sie zum ersten Male, ihm ganz zurückgegeben, bei der Mutter saß. Diese makellos hohe, schmiegsame und doch in ihren Konturen so ausgesprochene Gestalt, diese vornehme Haltung, dieses üppige, goldbraune Haar, die edle Stirn, dieses Aufschlagen der geheimnißvoll dunklen, demantfunkelnden Augen, der schelmisch moquante Zug um ihre Mundwinkel, das, genau betrachtet, leicht gestutzte Naschen, die vollen, rothen Lippen, Zwei kleine, aus der linken Schläfe und Wange sich abzeichnende Leberfleckchen und endlich das nicht unschön, aber kräftig modellirte, von Willenskraft zeugende Kinn — Alles gab ihm einzeln Zu denken, zu ur- theilen. Schließlich kam er aber immer wieder zu der Ueberzeugung: es steckt etwas Ungewöhnliches in diesem Mädchen, ein seltener Stoff in olympischer, göttlicher Form, denn diese ähnelt der Juno; an mir wird es sein, diese junge Seele Zur Vollkommenheit zu führen.
Frau von Schöller's Erziehungssystem schien sich auch in der That bewährt zu haben. Bettina Zeigte ihren Pflegeeltern das bescheidenste, sittsamste Wesen; sie lächelte so verbindlich, nahm alle Liebe mit so kindlichem Dank au und ihr Organ namentlich, etwas tief und volltönig, gab ihren Worten einen gewissen Zauber; aber die Absicht, zu gefallen, eine aufmerksame Selbstüberwachung leitete ihr Thun und Reden, und auch darin sah Oppenstein die Hand der Frau von Schüller.
Bettina nahm es freudig hin, als er ihr am ersten Abend schon sagte, sie solle die Welt sehen, er führe sie nach Italien; man werde erst zum Frühjahr zurückkehren. Als er, wie schon früher bei seinen Besuchen im Pensionat, beim Thee, den sie freilich noch etwas linkisch servirte, wieder die Frage that, ob sie sich denn gar nicht ihrer ersten Lebensjahre entsinnen könne, warf ihm Leonore einen verweisenden Blick zu. Sie hatte das schon früher indelikat gefunden; Bettina hatte ja schon einmal geantwortet, daß ihr jede Erinnerung fehle. Warum das Mädchen an seine Geburt erinnern!
Oppenstein schwieg; er hätte viel gegeben für auch nur den geringsten Anhalt. Er tröstete sich mit der Hoffnung, irgend ein Zufall werde das interessante Geheimniß lösen, denn daß Bettina mit all' diesen äußeren Vorzügen, die nur die Geburt geben konnte, von gewöhnlicher Herkunft, erschien ihm undenkbar. „Es ist Rasse in ihr," sagte er sich, „und das ist die Hauptsache, denn ein Holzapfel wird bekanntlich selbst im Paradiese keine Ananas."
Bettina that auch auf der Reise Alles, was sie Denen zuliebe thun konnte, die sie fortab als ihre Eltern betrachten sollte, aber sie lernte sehr schnell auch die Schwächen derselben erkennen, namentlich die der Pflegemutter, die das Mädchen nicht anders, als mit Thränen in den Augen anblicken konnte. Sie horchte mit scheinbarer Andacht auf die ihr großenteils unverständlichen Lehrsätze des Barons, auf seine Gedanken über den Beruf des Weibes, und hatte Beide, noch ehe die Alpen hinter ihnen lagen, so für sich gewonnen, daß sie nur mit ihren Augen sahen, nur auf ihre Wünsche lauschten.
In Nizza sah er mit Stolz schon beim ersten
Spaziergang auf der Promenade des Anglais die Aufmerksamkeit, welche die Tochter erregte — aber auch mit Besorgniß. Jndeß Frau von Schöller's Erziehungsmethode bewährte sich; Bettina schien nicht zu gewahren, nicht zu verstehen, was um sie vorging. Mit der ahnungslosesten Miene begegnete sie den Blicken der jungen Kavaliere. Ihre PD-gemutter preßte sie nach diesem ersten Spaziergang, überwältigt von ihren Gefühlen, an das Herz und blickte dann stolz und zuversichtlich auf ihren Gatten. Worte hatte sie nicht, denn diese fehlten ihr ganz bei solchen Gelegenheiten. Sie wollte ihm sagen: „Siehst Dn, dieses Kind war damals meine Wahl! Mir verdankst Du dieses Kleinod!"
Und so sprach zu ihm stumm, aber beredt ihr Blick, wenn Bettina am Piano ein Talent entwickelte, das ihr die Natur in erstaunlichem Grade verliehen, das die schwierigsten Aufgaben löste, ohne daß sie demselben je besonderen Fleiß gewidmet. Oppenstein lauschte ihr, in sich versunken, bewundernd, wenn sie die schwierigsten Kompositionen vom Blatt spielte, wenn sie aus sich selbst und oft in mutwilligster Weise zu bekannten Motiven ihre Phantasieen hinzufügte; ja auch von Leonorens Lippen klang es wie ein leises Echo aus alten Zeiten, wenn sie summend eine Arie begleitete, die sie in ihrer Künstlerzeit studirt.
Talent und Schönheit, in diesem Wesen vereint, erschienen Oppenstein wie eine ganz wunderbare irdische Offenbarung, eine heilige Cäcilie. Er sah und hörte sich satt an dem seltenen Mädchen und in eigenthümlichem Ideenflug sah er sich, wenn er darnach sein Zimmer ausgesucht, wieder zurückgetragen in das stille Kloster, wie er, während Bruder Loreuz das Harmonium spielte, stundenlang vor dem Bilde der Himmelskönigin und der Maria Magdalena saß oder im Garten unter den Ulmen lag. „Das reine, das göttliche Weib, es ist, es existirt! Ich war blind, der ich an seiner Existenz verzweifelte! Nur die falsche Erziehung raubt es uns!" dachte er.
Eines Abends, als Bettina schon die Ruhe gesucht, hatte er mit Leonore eine lange Unterredung.
„Ach, sprich doch nicht so viel unnöthige Worte!" rief sie. „Unsere Bettina ist ein Engel, an dem nicht gemodelt werden darf! Siehst Du denn nicht, wie ihre Stirn durch den hellgoldigen Glanz der Haarwurzeln wie von einer Strahlenkrone umgeben ist?"
„Hm, die hattest Du auch einst, als ich Dich kennen lernte! Wache Du mit mir über sie. Die Schönheit ist ein verhängnißvolles Geschenk der Vorsehung!"
„Nun, für ein Kloster soll sie doch nicht erzogen sein mit diesem Talent und diesem Aeußern! Du sprichst, als könne sie jeden Augenblick in einen tiefen Abgrund fallen!"
„Du mißverstehst mich immer! Sie soll ein Muster der Weiblichkeit inmitten dieser Welt sein! Dazu will ich sie erziehen!"
„Und woher willst Du dann später das Muster eines Ehemanns für sie nehmen? Hältst Dn die Männer etwa für so vollkommen?" Frau von Oppenstein wagte, seit Bettina bei ihr, zuweilen dem Gatten
