Die tolle Betty von Hans Wachenhusen.
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Zuwidersprechen; sie wiederholte sogar mit Nachdruck gern, daß ihr die Leitung des Mädchens gebühre.
Einige Wochen später, als mancherlei gesellschaftliche Berührungen ihm wieder Veranlassung gaben, mit seiner Gattin Leitung nicht einverstanden zu sein, antwortete sie ihm sogar:
„Du bist unausstehlich! Wir leben doch einmal in dieser Welt und unter sündigen Menschen! Ein weibliches Geschöpf, wie Du es modeln willst, würdest Du selbst im Himmel nicht finden! Würden wir denn Menschen heißen, wenn wir nicht mit menschlichen Schwächen behaftet wären?"
Aber Oppenstein selbst war ja nicht im Stande, Bettina zu zürnen, als er zu bemerken glaubte, daß seine Gattin größeren Einfluß ans sie Zu gewinnen drohe. Es entstand ein förmlicher Wettstreit Beider um das Mädchen, der des letzteren Klugheit schließlich Zwang, sich heimlich auf Seite dessen zu halten, der ihr die meisten Vortheile bot, und das war der reiche Majoratsherr. Die Baronin war natürlich untröstlich, wenn sie sich einmal vernachlässigt glauben mußte.
„Was willst Du eigentlich!" rief er dann. „Welche Rechte hast Du mehr auf sie? Du weißt, daß ich mir die Adoption des Mädchens in rechtlicher Form Vorbehalten habe, daß es von mir abhängt, sie mit einer kleinen Summe abzufinden oder sie zur Erbin meines ganzen Privatvermögens zu machen."
„Also das ist Deine Liebe für unser Kind! Damit suchst Du Bettina auf Deine Seite zu Ziehen! Sie ist achtzehn Jahre alt, und Du gönnst ihr nicht die Lebensfreude! Was hat denn ein junges Mädchen, wenn es heirathet? Kinder und Sorgen! Also quäle die Aermste nicht mit dieser Hosmeisterei. Selbst in's Theater soll sie nicht einmal!"
„Kein Wort mehr, ich bitte!" Oppenstein brach gebietend dieses Thema ab. Er ward jedesmal nervös, wenn sie es wagte, wieder darauf zurück- znkommen, glaubte aber schließlich zu bemerken, daß sie jede Gelegenheit suchte, um sich heimlich mit Bettina zu unterhalten.
Desto eifriger blieb er in seinem Bemühen, auf Bettina's Denken und Handeln zu wirken; auch er zog sie näher an sich; sie mußte seine Briefe schreiben, ihm vorlesen. Nie sah sie einen unwilligen Blick von ihm; er liebkoste sie, und Kavalier wie er war, blieb sein Einfluß auf das Mädchen doch der überwiegende, zum Kummer der Baronin, die sie bei ihm stundenlang aushalten und ihn Gefahr laufen sah, von ihr ganz beherrscht zu werden.
Endlich um Neujahr hielt Oppenstein es doch für gerathen, seine Pflegetochter in die Gesellschaft einzusühren. An feiner und der Gattin Seite besuchte sie das Theater, die Konzerte, die Soireen, und Alles ging gut. Bettina schien in der That seinen Ansprüchen zu genügen; sie war das Muster der Decenz, der Bescheidenheit, sie unterhielt sich, wenn auch nicht mit Geist, doch mit Klugheit; ihr Benehmen war so abgerundet und sicher, daß sie selbst ihre Heiterkeit zn zügeln verstand, namentlich wenn Oppenstein's mahnender Blick sie traf. Sie machte Sensation in der Gesellschaft, und die kleinen Spötteleien derselben, Oppenftein bilde sie zur
Heiligen aus, hafteten nicht an ihr; sie kannte bei aller Selbstüberwachung keine Prüderie.
Ihr Pflegevater ward jetzt unerschöpflich, durch Geschenke und Aufmerksamkeiten ihr zn lohnen. „Du verwöhnst sie!" warnte seine Frau; „aber —"
„Einem guten Herzen ist jeder Undank fremd!" war seine Meinung. „Du siehst, wie sich dieses Herz unter guter Leitung veredelt und alle meine Bedenken hinsichtlich des Einflusses ihrer Geburt zerstreut. Sie ist mildthätig, gibt mit vollen Händen, und ich muß sie in den Stand setzen, Gutes zn üben; sie begehrt nichts, als was wir ihr bereiten, sie bezaubert Alles durch die Liebenswürdigkeit ihres Wesens und alle unlauteren Gedanken, wie sie unsere Jugend so früh vergiften, sind ihr fern."
Frau von Oppenstein fügte sich. Sie durfte nicht sprechen; sie wurde nicht gefragt, und Bettina verstand es, die Eifersucht der Beiden um ihre Person durch Klugheit zu versöhnen. Inzwischen nahte die Saison ihrem Ende. Die Südwinde begannen schon die Wintergäste über die Alpen zurückzuschicken; auch Oppenstein dachte an die Heimkehr in seine Wohnung, die er im vergangenen Herbst nur flüchtig gesehen.
Während seiner Abschiedsbesuche verlor er acht Tage lang sein Pflegekind aus den Augen; er sah es nur Abends, wenn er es in die letzten Konzerte der Saison führte, wonach er sich noch in den Klub begab. Er selbst veranstaltete noch eine letzte Soiree, die er durch das Spiel eines von ihm protegirten jungen Künstlers, dessen Stern eben aufging, verherrlichte.
„Bettina ist seit Kurzem so unruhig, so anders; hast Du ihr etwas gethan?" fragte die Baronin. „Sie weinte schon darüber, daß sie hier fort solle, es sei so schön hier; wenn Du kamst, schwieg sie natürlich. Dann seit gestern reisen wir ihr plötzlich wieder nicht schnell genug von hier fort... Ich verstehe das Mädchen nicht; es ist nichts aus ihr herauszubringen."
Oppenstein hörte nicht darauf; in seinen Augen war nach all' den Streitigkeiten um Bettina's willen seine Frau der personifizirte Unverstand. Als man einige Tage darauf Nizza verließ, sah er in Bettina dieselbe, die er gewohnt, nur mehr erregt, indeß schob er das aus Rechnung der neuen Verhältnisse, die ihrer daheim, in der großen, schönen Wohnung des Westendquartiers warteten, von der ihr die Baronin so oft erzählt.
Ihretwegen hatte er noch am Abend vor der Abreise seinen ganzen Plan geändert. Bettina wünschte durchaus München zu sehen, von dem er selbst ihr viel gesprochen; ihretwegen mußte dort Halt gemacht werden. Oppenstein aber ward schon am Tage nach der Ankunft in der herrschenden rauhen Witterung genöthigt, das Bett zn hüten.
Er beklagte sich hier, daß Bettina ihn so vernachlässige. Sie kam wohl, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen, aber sie hielt nicht aus an seinem Lager. Sie sei einer Pensionsfreundin hier begegnet, sagte sie, und die beanspruche sie.
„Oppenftein, Du hörst zwar gar nicht mehr auf mich, aber ich darf es Dir nicht verhehlen, daß wir strenger gegen Bettina werden müssen," gestand
