Heft 
(1885) 43
Seite
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Deutsche Roman-Bibliothek.

ihm seine Frau nach acht Tagen seiner Krankheit, seinem Lehnstuhl gegenüber sitzend.Du hast mir das Kind ganz verwöhnt; das ist nicht die richtige Art, ein Mädchen von solchem Temperament zu er­ziehen! Du weißt, wie lieb ich sie habe!" Die Thräneu stiegen ihr in die Augen.

Oppenstein, noch sehr ermattet, blickte sie groß, erstaunt an.

Wärst Du mir nur gefolgt!" fuhr sie fort. Eine Tochter zu einer braven Hausfrau zu er­ziehen ist nach meiner Ansicht die Hauptsache, aber Du kannst einmal von Deinen himmlischen Hos- meistereien nicht lassen, mit denen Du das Mädchen ganz konfus gemacht hast. Zu was brauchte nur ein Wesen wie dieß, so groß und stark, so lange in der Pension zu bleiben, anstatt sie unter unsere eigene Aussicht zu nehmen? Diese ganze Frau von Schüller hatte es nur mit dem Munde; das habe ich lange durchschaut; aber Du wolltest nichts hören. Jetzt ist meine Meinung: Bettina muß heirathen so bald wie möglich, und ich werde glücklich sein und Du auch, wenn wir ein paar Enkelchen auf dem Schooß haben. Alles Uebrige ist dummes Zeug!"

Mitleidig die Achsel zuckend, dann aber in steigen­dem Unwillen hatte Oppenstein sie angehört. Nur sein Blick verbot ihr, in dem Sinne weiter zu reden. Sie aber war einmal im Zuge.

Ich habe längst im Stillen darüber gedacht und wüßte schon den besten Mann für sie; auch Du kennst und schätzest ihn..."

Niemanden kenne und schätze ich zu dem Zweck!" ries er heftig.Schone mich! Ich will kein Wort mehr! Ich will sie selber sprechen! Unsinn ist Alles, was Du sagtest!"

Die Baronin erhob sich erzürnt.

Bettina fragte vorhin, ob wir denn nicht bald weiter reisten. Gestern verlangte sie noch das Gegen- theil. So ist sie jetzt!" Sie ries ihm das in der Thür noch zu und verschwand, als sie seine empörte Miene sah.

Wenn sie in dem Ton redet, wird sie mir ganz unausstehlich!" brummte der Baron.Das Mädchen vernachlässigt mich jetzt in der That aus­fallend." Er schellte und verlangte Bettina zu sehen.

Sie sei vor wenigen Minuten in einem Fiaker ausgefahren, meldete man ihm.

Keine Aufsicht, wenn ich fehle! Es soll anders werden!"

Eine Stunde später kniete Bettina vor ihm und versöhnte ihn mit dem Zärtlichsten Lächeln. Sie schien sehr erregt, war aber pünktlich seiner Ordre gefolgt.

Deine Pflegemutter ist unzufrieden mit Dir!" Er strich mit der Hand über das glänzende Haar, während sie die verführerischen Augen zu ihm auf­geschlagen.Du weißt, sie ist etwas . . . beschränkt in ihren Ansichten, aber sie meint es gut mit Dir. Du verlangst fort von hier?" Er war nicht im Stande, ihr einen weiteren Vorwurf zu sagen, sie war so schön heute, ihre Augen strahlten ein so be­zauberndes Leben.

Ja! Auch Dir sagt ja der Aufenthalt hier nicht zu; ich bereue es, daß ich die Veranlassung gewesen!" bat sie gehorsam ab.

Morgen also! Das Wetter bessert sich. . . Gib nur Ordre, daß Alles bereit gemacht werde!"

Sogleich!" Bettina küßte ihm die Hand und sprang eilig hinaus. Er senkte die Stirn in großer Verstimmung.

Die Symptome verrathen allerdings, daß etwas in ihr vorgeht. . . Aber eine Herzensneigung? .. . Unmöglich! Es ist ihr Niemand nahe gekommen, und was ich so sorgfältig und unermüdlich in sie gepflanzt, ist unfehlbar ein Palladium gegeu jede frivole . . . Ihre Augen waren auch so klar, sie hatten nichts Zu verhehlen. Aber weiß ich denn, was in einem Geschöpf wie diesem Vorgehen kann?... Mir ist, als wandle mich eine Art Eifersucht gegen Denjenigen an, der es wagen könnte, mir dieses seltene Mädchen Zu entreißen, mit dessen seelischer Ausbildung ich ja noch nicht fertig; als gönnte ich cs Niemanden, durch ihren Besitz die Resultate meiner Bemühungen eiuznheimsen... In zwei, in drei Jahren meinetwegen! Da werde ich mich ent­schließen müssen, sie von mir zu geben, aber nur nach meiner Wahl, unter ineinen Garantieen... Es ist thöricht, darüber zu denken! Nur in dem Kopf meiner Frau konnte so etwas entstehen!"

Sein persönliches Wohlsein den Wünschen des Mädchens opfernd, reiste Oppenstein am nächsten Tage. Bettina war in heiterster Stimmung, aber auch diese gab der Baronin Anlaß zu heimlicher Beobachtung. Das Mädchen zeigte auch beim Ein­treffen in der mit fürstlichem Aufwand ausgestatteten Wohnung keinerlei Neugier oder Interesse, selbst nicht für die Gemächer, die ihr bestimmt wurden. Bettina war Alles recht, sie nahm es hin ohne Be­friedigung. Nur nach einer Richtung zeigte sie großen Eifer, in dem Streben, ihren Pflegevater mehr als je zu besteche:: und ihn vergessen zu machen, daß er Grund zur Unzufriedenheit mit ihr gehabt.

Die Baronin schüttelte heimlich den Kopf, wenn sie sah, wie bemüht das Mädchen war, ihm seine Wünsche abzulauschen, wie geduldig und hingebend sie wieder seinen dozirenden Worten lauschte, mit welchem Scheineiser sie die Bücher las, die er ihr besonders empfahl. Und jetzt ward sie wieder eifer­süchtig; auch sie wagte kein mahnendes Wort mehr; die Thräneu kamen ihr in die Augen, wenn sie sich vernachlässigt glaubte. Nur:Bettina, bin ich Dir denn nichts mehr?" fragte sie Wohl zärtlich und lächelte glücklich, wenn diese sie küßte.

Bei alledem aber stieg heimlich ihr Mißtrauen, daß es mit dem Herzen des Mädchens nicht richtig sein könne. Sie errieth aus mancherlei Symptomen, aber begriff nicht, wo sich die Gelegenheit geboten hätte.

Sie ist klug, nicht aufrichtig!" seufzte sie. Aber auch das ist Oppenstein's Schuld! Wir hätten sie früher an uns fesseln sollen, so hätte ich ihr eine ältere Freundin werden können, wie es eine Mutter sein soll... Und jetzt mußte so früh schon das Unglück geschehen... Gott schütze sie!"

Fünftes Kapitel.

Eine Treppe höher in demselben Hause des Westend, dessen Hof und kleiner Garten auf eine