Heft 
(1885) 43
Seite
1030
Einzelbild herunterladen

1030

Deutsche Roman-Bibliothek.

Gabriele traten Thränen in die Augen, die einen Schleier über dieselben Zogen; ihre Hand legte sich .stützesuchend auf die Lehne eines Stuhls.

Ist es so schlimm?" fragten ihre bleichen Lippen.

Ich fürchte, ja! Womit löse ich meine Wechsel ein? Zwei derselben sind schon in einigen Tagen fällig. Bei Heilburg finde ich keine Hülse, denn er kennt meine Beziehung Zu diesen Häusern."

Und . .. was ... soll dann werden aus uns, wenn..." Sie schwankte auf dem Sessel und stützte die Stirn in das Taschentuch.

Goldmann zuckte die Achsel.

Es ist nicht um uns. . . unsere Kinder! . . . Und auch mein Vermögen..." Sie blickte zitternd in sein Gesicht. Die Frage stieg aus verzweifeln­dem und doch noch hoffendem Herzen auf.

Goldmann hatte keine Antwort. Er kreuzte die Arme und schaute zum Fenster hinaus.

Wenn ich nichts rette, bleibt mir nur übrig, in London gleich eine Stelle Zu suchen."

Gabriele erschauerte in sich; ihre und ihrer Kinder ganze trostlose Zukunft lag vor ihren Augen. Der kalte, gefühllose Ton, mit dem er das Alles sprach, durcheiste ihre Glieder. Sie allein mit den Kindern und er sprach nicht einmal, von was sie leben sollten!

Du begreifst, daß mir die Sohlen hier brennen," fuhr er, nach der Uhr sehend, fort.Ich hätte schon den Frühzng nehmen sollen und blieb nur, um Dich Zu unterrichten. Das Fallissement ist hoffentlich noch nicht erklärt; vielleicht kann es sich bei meiner Ankunft um eine Stunde handeln." Er schritt unruhig auf und ab.Ich habe den Tag hindurch in der Stadt zu thun, einige Inkasso, um wenigstens euch das Notwendigste Zurück zu lassen. Mein Gepäck ließ ich schon von einem Bahnhof zum andern schaffen; ich hoffe, es bleibt mir so viel Zeit, euch noch einmal zu sehen. Sollte es nicht sein können, so habt Muth, bis die Katastrophe vorüber und ich Zurückkehren kann, um wieder von vorn an­zufangen. Du siehst, ich blicke der Gefahr mit Ruhe in's Auge, obgleich auch mich gestern der Schlag betäubt hat. Ich will doch Zn Heilburg gehen, und wenn er schon gehört, ihn bitten, noch vierundzwanzig Stunden zu schweigen, um zu was soll ich's Dir verhehlen meinen Kredit noch auszunützen."

Gabriele, über den Frühstückstisch gebeugt, die Stirn in der Hand, horchte plötzlich erschreckt aus.

Moritz, was willst Du thun?" rief sie, die Kausmannstochter.Willst Du zu dem Unglück auch noch die Schande aus uns laden?" Sie erhob sich schnell, bebend am ganzen Körper, die Hände faltend. Du würdest nicht zurückkehren dürfen, Du willst uns hier der Schande überlassen; ich errathe, was Du vorhast! Gestehe es!" ries sie, ihm näher tretend, aber leiser.Das Fallissement ist schon erklärt! Du weißt bereits, daß Du ruiuirt bist, und willst einen Kredit benützen, aus den Du keinen Anspruch mehr hast! Man wird Dich einen Betrüger nennen, Du kennst die Folgen, die Dich und uns treffen werden!"

Goldmann's Antlitz verlor seine Ruhe nicht; er lächelte, fuhr sich aber nervös durch den Vollbart.

Sei unbesorgt, mein Kind! Uebrigens würde ich ja kaum mehr im Stande sein, das Vertrauen Anderer um den zwanzigsten Theil von Dem zu täuschen, um was ich in meinem Vertrauen gebracht worden. Die Geschäftswelt ist einmal Tausch und leider so oft Täuschung. Es ist hart, auch die andere Wange noch Hinhalten zu sollen, wenn uns die eine geschlagen worden ... Aber ich habe Eile, Kind! Jedenfalls seht ihr mich heute noch!"

Er reichte ihr die Hand. Gabriele ergriff die­selbe und hielt sie mit fieberhaftem, heißem Druck in der ihrigen.

Moritz!" bat sie, auch die andere Hand noch auf die seinige legend,ist Dein Herz voll Bitter­keit, weil langjährige Geschäftsfreunde Dein Vertrauen mit unser Aller Unglück lohnten, so entziehe mir dasselbe wenigstens nicht. Sag' mir die Wahrheit," ihre Stimme brach sich in sie überwältigendem Schmerz,ich kann, ich will sie ertragen! Sind wir verloren, Du siehst mich bereit, mit Dir jedes Loos zu tragen, und sei es das schlimmste! Denk' an unsere Kinder, die noch das ganze Leben vor sich haben, ein Leben, das wir ihnen zu ebnen verpflichtet sind! Ich will ja nichts begehren, aber sie erwarten von uns noch Alles . . . Laß uns nicht im Stich, Moritz! Ich sehe es Dir an, Du bist nicht ganz aufrichtig, warst es nicht seit. . . Laß mich nicht nach Worten suchen, die ich in meiner Angst nicht finde!" bat sie heißer und drängender. Du willst nicht sprechen; Du wendest Dich ab! O, hätte ich ahnen können, ich hätte die Kinder heute von der Schule zurückgehalten, um mich mit ihnen Dir zu Füßen zu Wersen!"

Sie wollte, sich an seinen Arm klammernd, vor ihm uiedersinten; seine kräftige Hand verhinderte sic.

Laß das Alles! Ich muß meinen Kopf Zusammen halten!" sprach er mit kalter, abweisender Stimme. Ich rette heute noch, was eben zu retten ist!"

Gabrielens Hände waren herabgesunken. Was er sprach und wie er das sprach, machte sie erstarren. Die Thränen rannen über ihre Wangen.

Moritz!" flehte sie, ihm die Arme uachstreckend, als er sich von ihr wandte,so beschwöre ich Dich um Eins nur noch: nimm uns mit Dir, oder ge­lobe mir, uns zu schreiben, wo wir Dich finden können!"

Sie sah ihn nicht; ihre Augen waren geblendet. Sie fühlte nur noch seine Nähe.

Ueberlaß das Alles den Umständen! Ich komme noch, ehe ich reise und dann sprechen wir!"

Gabriele stand allein. Regungslos vernahm sie, wie seine Tritte draußen verhallten. Sie sank aus die Kniee und barg das Antlitz in den Händen. Gold­mann war in sein Arbeitszimmer zurückgekehrt, in welchem er bei seiner Rückkehr Hut und Stock auf den Tisch gelegt. Niemand durfte dasselbe betreten, wenn er zu Hause war; sicher also vor der Gattin, stand er hier einen Moment und preßte die Hand vor die Stirn, als überlege er. In seinem sonst so regungslosen Gesicht spielten die Nerven, seine Augen hasteten unruhig sinnend am Boden, seine Füße, obgleich von Unruhe gedrängt, stemmten sich zögernd gegen denselben.