Heft 
(1885) 44
Seite
1043
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Die tolle Betty von Hans Wachenhusen.

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Roman

von

Hans Wachenhusen.

(Fortsetzung.)

Sechstes Kapitel.

ine heftige Nervenerschütterung warf an demselben Tage Gabriele auf das Lager. Der Arzt befahl die strengste Schonung, und so erfuhr sie nicht einmal, daß ihr Gatte znrückgekehrt und ohne die im obersten Stockwerk in ihren Zimmern beschäftigten Kinder zu sehen, wieder fortgegangen war.

Acht Tage blieb der Zustand der unglücklichen Frau ein trostloser, selbst als die innere Unruhe sie vom Lager ansgejagt.

Egon, ein hoch aufgeschossener, hübscher Bursche mit lichtbraunem Haar und schmalem, intelligentem Gesicht, hatte täglich die Mutter zu sehen begehrt. Er müsse sie sprechen! Damit hatte er alle Bitten der ihr vom Arzt gesandten Wärterin zurückgewiesen und war endlich erhitzt in das Zimmer gedrungen.

Du bist krank, Mama!" ries er aufgeregt, als er die bleiche, leidende Mutter im Lehnstuhl liegen sah.Ich verstehe das endlich, seit ich anfange klar zu sehen, denn meine Kameraden in der Schule wußten schon mehr von dem, was bei uns vorgeht, als ich; Du mußt hören und wissen; so kann das nicht fortgehen."

Um Schonung stehend schaute die Mutter den erregten, bald achtzehnjährigen Burschen an.

Ich besuche schon seit gestern meine Klasse nicht mehr; ich habe keinen Kopf mehr zum Lernen, aber hier im Hause halte ich's auch nicht mehr aus. Drei Tage hindurch, während Du im Fieber lagst, kamen Gerichtsboten, die uns Wechselklagen an die Thür hefteten, da Niemand zu sprechen war. Ich riß sie herunter, aber damit ist nicht geholfen. Soeben waren einige Beamte hier, die des Vaters Arbeits­zimmer versiegelten und auch an die Möbel Siegel anlegten. Sie sagten mir, es sei von Amtswegen Konkurs über des Vaters Eigenthnm verfügt. Sie haben seine Bücher gesucht und keine gesunden. Der Hanswirth dankt meinem Gruß nicht einmal mehr, die Stubenmagd packt ihren Koffer und verlangt ihren Lohn, die Köchin sagt, sie habe heute nichts mehr zu kochen, und ich muß Dir gestehen, daß ich schon meine entbehrlichsten Schulbücher verkaufte, um in der Restauration mich satt zu essen ... So weit hat uns also der Vater gebracht; vielleicht weißt Du, was nun weiter werden soll."

Er saß da, die Ellenbogen auf den Knieen, die Stirn in den Händen. Was er sprach, drang wie Messerstiche in der armen Mutter Herz. Er, der eben an der Schwelle des Lebens stand, sah sich

mit all' seinen hochstiegenden Jünglingsplänen zu Boden geschleudert. Sie selbst hatte diese Wohl ge­nährt und gepflegt, wenn er ruhig und zutraulich mit ihr geplaudert, und sie saß jetzt wie eine Mit­schuldige vor ihm.

Sie antwortete nicht auf seine Frage und er wagte nicht aufzusehen, um nicht in ihr von Schmerz entstelltes Gesicht zu blicken.

Ich hoffe zu Gott, daß er uns nicht verlassen werde!" flüsterte sie endlich.

Zu Gott!" Der Ausruf klang ihm wie Hohn. Da werden wir wohl nächstens auf der Straße sein!"

Egon, frevle nicht! Ich habe mir schon vor­genommen, zu Heilburg zu gehen und ihn zu bitten, er möge Dich in sein Comptoir nehmen."

Zn Heilburg! Der ist gerade unser größter Feind geworden! Ich las seinen Namen in einer der Wechselklagen."

So wird sich eine andere Stelle finden."

Egon hob den Kopf aus den Händen und kreuz!e die Arme.

Ich würde nie ein Kaufmann werden, wenn ich mir auch Mühe gäbe. Ich werde jetzt achtzehn Jahre, und Seifenblasen waren alle meine schönen Ideen! Nach München, nach Düsseldorf wollt' ich auf die Malerakademie, und mir bleibt jetzt nichts, als bei einem Stnbenmaler in die Lehre zu treten!"

Er biß» die Zähne zusammen; Thränen liefen über die abgehärmten Wangen.

Egon!" Der Nils der Mutter klang wie der Aufschrei eines blutenden Herzens. Die eigenen Thränen vergaß sie, die des Sohnes, mochte sein Ungestüm, sein Ungehorsam ihr auch in letzter Zeit viel Sorge bereitet haben, vermochte sie nicht zu sehen.Egon, hast Du kein Mitleid mit Deiner armen Mutter, die ihren Kindern ihr Blut, ihr Leben opfern würde, um ihnen den Schmerz Zu ersparen! Es vergeht ja keine Nacht, ohne daß ich mir um euretwillen den Kops zermartere!"

Egon schwieg. Er schaute nicht aus. Seine Wimpern preßten das Wasser ans den Augen. Er wollte nicht weinen. Auch er hatte noch keinen ruhigen Schlummer gesunden. Seine Schulkameraden aus Scham vermeidend, war er halbe Tage umher­geirrt; er hatte auch die Schwester gemieden, mit der er in glücklichen Tagen alle Geheimnisse ans- getanscht, denn auch diese war fassungslos.

Meinetwegen brauchst Du das nicht!" sprach er vor sich hin.Wäre ich ein paar Jahre älter und nicht so lang und dünn gewachsen, ich wüßte