Die tolle Octty von Hans Wachenhufen.
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sich bedienen zu lassen, — Alles das verletzte den Eintretenden.
Er ließ sich hinter ihr auf ein Kindersopha nieder, das noch aus früherer Zeit dastand, schob die darauf liegenden Toilettensachen unsanft beiseite und blickte mit gekreuzten Armen auf ihr Profil.
„Es scheint Dir sehr wohl zu Muthe!" begann er polternd, als Lola keine Notiz von ihm nahm und die nackten, runden Arme erhob, um noch einige Haarnadeln anzubringen.
Lola machte ein Mäulchen, als sei sie die grobe Frage nicht gewohnt.
„Wer erlaubt Dir, hier so herein Zu toben? Bringe mir meine Sachen nicht in Unordnung!" sagte sie, ohne auf ihn zu schauen.
„Ich meine, daran fehlt's hier nicht! Willst Du alle die Kleider zum Trödler bringen, die Du da aus das Bett gehäuft hast?"
„Weßhalb? ... Wir müssen doch daran denken, die Wohnung zu räumen!"
„Hast Du etwa schon eine andere?"
„O, die wird sich schon finden!" Sie lehnte sich zurück, um ihre Coiffüre zu betrachten.
„Wer soll sie finden?"
„Nun, die Mama!"
„Weißt Du denn, wer uns aufnehmen wird? In die Mansarde, die uns beschieden, dürfte der Staat da kaum hinein passen."
Sie wandte sich verletzt zu ihm.
„Wie sprichst Du denn eigentlich, und wie kommst Du dazu, Deinen Aerger an mir auszulassen? Sind Dir Deine Pläne zu Wasser geworden, was kann ich denn dafür? Ich habe die meinigen; Jeder muß jetzt für sich selbst sorgen; das Weinen hilft nichts, ich habe es satt."
„Und was sind das für Pläne, wenn ich fragen darf?"
Lola hatte eine Sprache wie diese nie aus dem Munde des Bruders gehört, mit dem sie sonst immer übereingestimmt. Sie lehnte den Arm über den Stuhl und wendete sich herausfordernd zu ihm.
„Hast Du etwa seit heute Morgen die Absicht, Dich zu meinem Vormund aufzuwersen?" fragte sie mit erzürntem Auge, während Stirn und Wangen sich färbten. „Wir sind im Alter nur ein Jahr von einander und deßhalb bin ich, ein Mädchen, um Zehn Jahre reifer als Du, aus dem jetzt noch gar nichts werden kann."
Egon nahm das hin; er blickte finster vor sich.
„Und was willst Du also aus Dir machen?" fragte er wieder aufschauend.
„Darüber bin ich jetzt Niemand Rechenschaft schuldig. Ich hatte gestern endlich den Muth gefaßt, für uns Hülse Zn suchen. Man sagte mir, ich müsse etwas ergreifen, da meine Mutter unfähig fein werde, für mich zu sorgen; ich dürfe ihr nicht zur Last fallen. Ich wollte, es wäre Jeder hiezu so entschlossen wie ich!" fetzte sie schnippisch hinzu. „Uebrigens laß mich in Ruhe, ich muß mit meiner Toilette fertig werden."
„Du wirst nichts thun ohne die Billigung der Mutter! Ich kam eben, um mit Dir über unsere Zukunft zu sprechen." Er erhob sich mit steigendem
Unwillen, als er die zurückweisende Miene der Schwester sah.
„Das ist gar nicht nöthig. Kümmere Dich um Dich selber. Ich hoffe sogar, bald im Stande zu fein, die Mutter zu unterstützen. Schwerlich wirst Du dasselbe von Dir sagen können. Du hast also keine Ursache, hier so aufzutrumpfen."
„Du? . . ." Er schaute mitleidig auf sie herab; inzwischen aber stieg ihm eine gewisse Angst auf; er fixirte sie herausfordernd.
„Ja, ich, Herr Egon Goldmann!... Ich schäme mich fast, den Namen als den meinigen noch zu nennen. Wenn Du übrigens in Zukunft mit mir etwas zu besprechen wünschest, so bitte ich, dieß in anderem Ton zu thun. Auch ich hatte die Absicht, wenn Du kämst, mit Dir etwas Wichtiges zu besprechen, aber ich habe keine Lust mehr dazu, seit Du so grob gegen mich bist. Ich will Dir zeigen, daß ich meine eigene Herrin bin. Auch die Mutter braucht erst davon zu hören, wenn es so weit ist und ich es für nothwendig halte. Bis dahin bitte ich, wenn Du dieß Zimmer betreten willst, erst artig anzuklopfen und zu erwarten, ob ich in der Stimmung bin, Dich anzuhören. Es muß jetzt Jedes von uns thun, was es für das Klügste hält."
Damit wandte sie ihm den Rücken und schritt in das kleine Schlafkabinet. Egon wollte, als sie an ihm vorüber kam, seine Hand auf ihre Schulter legen, um sie zurückzuhalten; er beherrschte sich, schaute ihr schwer verdrossen nach und verließ das Zimmer.
„Albernes Ding!" warf er ihr nach und schlug die Thür hinter sich zu.
Siebentes Kapitel.
Die schrecklichen Tage, vor denen Gabriele gezittert, verstrichen. Die Bücher und Papiere ihres Gatten waren amtlich abgeholt, der Konkursverwalter hatte mit dem Hauswirth sich über das Retentionsrecht der Mobilien geeinigt; das in diesem Jahre so früh fallende Osterfest war da, nach welchem die Wohnung geräumt werden sollte.
Egon hatte gehalten, was er der Mutter versprochen; er war ihr Schutz, soweit er es in feinem Alter zu sein vermochte. Lola ihrerseits war scheu, verschlossen, zerstreut; sie vermied, mit der Mutter allein zu bleiben, und schien mit eigenen Dingen beschäftigt zu fein.
Sie hörte kaum auf die Worte der Mutter, wenn diese von der traurigen Nothwendigkeit sprach, durch der Hände Arbeit den Unterhalt zu erwerben, falls — und das sprach sie in so muthlosem Ton — die Verhältnisse des Vaters, von dem noch keine Zeile gekommen war, sich nicht zum Bessern wendeten.
Egon beobachtete heimlich und mißtrauisch die Schwester; zwischen Beiden war es zu keiner Wiederverständigung gekommen. Er war täglich einige Stunden außerhalb des Hauses, ließ aber stets zurück, wann er wieder da sein werde, und arbeitete auch spät noch in seinem Zimmer.
Lola hatte das Geheimniß bewahrt, das sie dem Bruder, wenn er ihr der Alte geblieben wäre, in früherer Vertraulichkeit mitgetheilt haben würde. Sie