1046
Deutsche Nom an-Bibliothek
blieb stundenlang fort und kehrte Zurück mit einer Miene, als gehe Alles vortrefflich. Egon begegnete ihr dann mit einem Blick, der ihr andeuten sollte: schließlich werden wir, die Mutter und ich, doch ein Wort mitzureden haben!
Als Lola heute von ihren „Kommissionen" heimkehrte, begegnete ihr in der ersten Etage des Hauses ein junges Mädchen mit ausfallend kupferfarbig glänzendem und dichtem, welligem Haar, das unter dein Hütchen hervor fast bis aus die großen dunkelbraunen Augen quoll. Die Fremde hatte eben den Knopf der Korridorthüre in der Hand und erwartete, daß man ihr öffne.
Beide Mädchen begegneten sich mit neugierig fragenden Blicken. Sie mochten Beide annähernd in demselben Alter sein, diese Kupferbraune aber, meinte Lola, sei kräftiger gebaut als sie, und sie blickte auch so selbstbewußt und herausfordernd.
Ihr Teint war makellos rein und von eigen- thümlich blendender Wirkung; Zwei kleine Leberfleckchen entdeckte Lola aus Schläfen und Wangen; ihre Lippen waren voll und aufgeworfen, ihre Nase keck und lebhaft geflügelt, ihr Kinn hob sich kräftig gerundet über dem von einem Sammetbändchen mit Medaillon umschlossenen, einen schönen Gliederbau andeutendcn Halse. Sie trug ein nur bis aus die Fußknöchel reichendes dunkles Kleid, in der einen Hand ein Körbchen, in der andern den Sonnenschirm.
Lola schritt an ihr vorüber; Jene schaute ihr nach Mädchenweise neugierig und musternd nach, als sie die Treppe erstieg. Auf der Wendung derselben schaute sie noch eiumal hinab. Beider Augen begegneten sich wiederum, daun ward die Thür vou einem Diener geöffnet, der mit einer respektvollen Verbeugung vor dem Mädchen Zurücktrat.
„Wer mag nur das sonderbare braune Mädchen sein?" fragte sie sich. Sie überlegte in ihrem Zimmer. Die Fremde interessirte sie außerordentlich; dem Benehmen derselben nach mußte sie in die große, vornehme Beletage gehören, die der „Baron" und seine Frau bewohnten, aber die Leute hatten keine Kinder und waren den Winter hindurch verreist gewesen. Eine Verwandte vielleicht; der Diener hatte sich so uuterthänig gegen sie benommen.
Ihrer Neugier ließ das keine Ruhe. Sie horchte an der nur angelehnten Thür ihres Zimmers, ob nicht einer der Dienerschaft des Hauses die Hintertreppe desselben heraus oder herab komme, aus die ihr Zimmer hinausgiug.
Wissen mußte sie's. Die Andere hatte wahrscheinlich auch schon den Diener gefragt, wer sie sei, denn sie hatten sich Beide mit Zu großem Interesse angeschaut. Eine neue Freundin, die mit den alten in keiner Beziehung, wäre ihr gerade jetzt so willkommen gewesen. Barons waren reiche Leute, und eine Bekanntschaft mit solchen war ihr so dringend nothwendig für ihre Pläne.
Eine der Mägde vom Hause kam gerade von der Mansarde herab. Lola trat wie Zufällig hinaus. Unter anderen Umständen hätte sie dieselbe nicht angesprochen, denn man respektirte die Familie Goldmann im Hause nicht mehr.
Eine Tochter des Baron Oppenstein sei cs, so
erfuhr sie, eine Stieftochter, eine Pflegetochter, man wisse das noch nicht genau, denn sie sei erst vorgestern niit der aus Italien zurückgekehrten Herrschaft angekommen.
Lola streckte sich auf das Lager, um ausznruhen. Es war Zwar Essenszeit, aber sie hatte keinen Appetit. Sie wollte überlegen, welche Vortheile aus dieser neuen Bekanntschaft zu ziehen seien, wenn dieselbe anznknüpfen war. Das Mädchen war noch fremd hier, und wenn es nicht allzu stolz, so war es gewiß dankbar für eine Annäherung.
Stunden verstrichen ihr so allein im Zimmer. Sonst in glücklichen Tagen hatte sie sich an das Pianino gesetzt, so gut oder schlecht es ging, sich selbst begleitet, und ihre Helle Sopranstimme hatte daun durch das offene Fenster geschmettert, daß die ganze Nachbarschaft lauschte.
Der Gesang war ja das Einzige, was ihr Vergnügen machte, ihm hatte sie den Schulfleiß dermaßen geopfert, daß sie als träge Schülerin bekannt geworden; nur der Gesanglehrer war mit ihr zufrieden gewesen. Aber der war auch schon abbestellt, und die Stimme schien ihr versiegt. Znm Singen mußte man gut gelaunt sein; das Herz saß ihr ja immer an der Kehle; sie hätte keinen Laut hervorgebracht.
Sie mußte immerfort daran denken, daß sie nach den beiden Festtagen der Mutter da weit hinaus in eine ärmliche Dachwohnung folgen sollte, und das jagte ihr die Angst aus dem Herzen heraus.
„Nein, weinen will ich nicht mehr!" rief sie, die Hände vor die Stirn pressend. „Ich weiß zwar nicht, wie ich das Alles beschaffen soll, was dazu gehört; ich habe noch keine Ahnung davon, denn wer soll mir helfen, die ich so ganz verlassen dastehe; aber ergreifen muß ich doch etwas, wozu ich mich im Stande fühle, und das Leichteste ist es gewiß nicht, was ich will, daraus mache ich mir ja kein Geheimniß."
Ein Pochen an der Thür erschreckte sie. Vielleicht kam Jemand in ihrer Angelegenheit... Ein flüchtiger, besorgter Blick in den Spiegel, dann öffnete sie.
Eine Magd aus dem Hause überreichte ihr ein zierliches Billet.
„Von dem gnädigen Fräulein! Ich soll aus Antwort warten."
Lola fand in dem Couvert folgende Zeilen:
„Die junge Dame, die Ihnen heute aus der Treppe begegnete, bittet um die Erlaubniß, Ihnen Besuch machen zu dürfen."
Ueberrascht und verwirrt stammelte Lola in einigen Worten, sie werde sich sehr glücklich fühlen ec. Die Magd ging und sie stand erstaunt mit dem parfümirtcn kleinen Briefbogen in der Hand.
„Es setzt mich eigentlich in Verlegenheit.. ." Sie räumte in aller Eile im Zimmer auf, warf in den Schrank, was umher lag, und ordnete dann ihre Toilette. „Es ist wenigstens eine Bekanntschaft in meiner Verlassenheit!"
Schon nach wenigen Minuten kam der angekündigte Besuch. Lola empfing das Mädchen überrascht und verlegen durch die Eigenthümlichkeit der ganzen Erscheinung. Was sie nur flüchtig im Vorübergehen