Heft 
(1885) 44
Seite
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Die tolle Betty von Hans Wachenhuscn.

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gewahrt, übte jetzt auf sie den unmittelbarsten Ein­druck.

Ich heiße Bettina, eigentlich Betty, aber meine Pflegemutter, die Baronin von Oppenstein, will mich nur so genannt wissen. Ich sehnte mich nach Ihrer Bekanntschaft, da wir so nahe bei einander wohnen und ich hier noch ziemlich fremd bin."

Lola hörte nur halb, was Jene sprach, versunken in den Anblick des großen, frischen und durch so originellen Freimuth fesselnden Mädchens, namentlich des so seltenen, in mächtiger Fülle die weiße Stirn umquellenden Haars, das kein Hut bedeckte, dieser großen, von dunklen Brauen und Wimpern ver­schleierten Augen, aus denen es so blitzte und funkelte.

Sie fühlte sich geschmeichelt durch diese Auf­merksamkeit. Den Armen ist ja jede Berührung mit reichen Leuten etwas Trostbringendes. Das Mädchen trat auch mit so viel Offenheit und unverholenem Bedürfnis; des Anschließens aus; es hatte Lola's Hand ergriffen, ehe diese noch eine Antwort gefunden.

Lassen Sie uns Freundschaft schließen," bat sie. Ich hörte, als wir hier ankamen, Sie hätten Un­glück gehabt, und das gab mir um so mehr Ver­anlassung, Sie auszusuchen."

Auf Lola's Gesicht prägte sich nach diesen Worten die Empfindung ihres Mißgeschicks so sprechend aus, daß Bettina ihr tröstend die Hand drückte und sie selbst die neue Freundin zum Sopha zog, um sich neben sie zu setzen.

Hier erst blickte Lola zu ihr auf, und in stummer Bewunderung haftete ihr Auge an den widerwilligen, dunkelgoldigen Löckchen, die sich auf Bettina's Schläfen kräuselten, an dem blendenden Teint und den beiden sich so scharf abzeichnenden Leberfleckchen.

Wie alt mochte sie sein?" so stieg Lola unwill­kürlich die Frage auf. Bettina war von Natur kräftig gebaut, Büste und Hüften zeigten bei der schlanken Taille seit ihrer Rückkehr von Italien aus­gesprochene Konturen, aber die Art, wie sie lächelte, ihre Vertraulichkeit hatten noch etwas Kindliches.

Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Teil­nahme," antwortete Lola.Das Schicksal hat uns allerdings hart geprüft."

Seien Sie nicht so fremd gegen mich; ich suchte Sie ja aus wirklichem Bedürfniß, und wenn wir Freundinnen sein wollen, so werden wir uns doch Du nennen müssen, denn es plaudert sich so besser und vertraulicher. Ich möchte unter uns auch gar nicht so vornehm erscheinen, denn ich bin von Hause ans armer Leute Kind. Die Baronin nahm mich im vorigen Herbst aus der Pension und gleich mit nach Italien, von wo wir erst zurückgekehrt sind. Seit meiner ersten Kindheit bin ich hier ganz fremd geworden."

Bettina sprach das Alles so natürlich, daß Lola sich von ihr angezogen fühlte. Zum ersten Male hörte sie wieder theilnehmende Worte, die ihr so rvohl thaten. Ohne auszublicken drückte sie der neuen Freundin Hand.

Sie haben mir gleich sehr gefallen," sagte sie, noch immer mit einiger Beklommenheit, aber weniger ans Schüchternheit, als weil sie innerlich die Trag­weite und den Nutzen dieser Freundschaft berechnete.

Aber wir werden uns ja doch sehr schnell wieder trennen, denn nach Ostern müssen wir die Wohnung verlassen, wir würden sie nicht mehr bezahlen können."

Bettina legte ihr den Arm über den Nacken.

Willst Du mich dafür sorgen lassen? ... Du staunst! Aber ich spreche im Ernst. Siehst Du, mein Vater es wird nur immer noch schwer, ihn so zu nennen also der Baron ist ein sonder­barer Mann. Ich kann von ihm Alles haben, wenn er nur sagen kann, es geschehe aus gutem, edlem Herzen. Das ist ihm Alles! Ganz entzückt aber ist er und sitzt mit geschlossenen Augen da, wenn ich mich an das Piano setze und meine Phantasieen spiele. Es ist mir nämlich nichts so leicht wie dieß Instrument, die Musik überhaupt. Wenn sie mich viel Mühe gekostet hätte, würde ich sie schwerlich ge­lernt haben; der Lehrer meinte immer, sie sei mir angeboren. Uebrigens spricht er nur von Herz und Gemüth, die ausgebildet, veredelt werden müßten. Als wir hier ankamen, fand ich in meinem Zimmer eine ganze Bibliothek von Büchern, alle in Gold­schnitt eingebunden, aber langweilig zum Sterben; da­gegen waren meine Schulbücher noch interessant. Was braucht denn ein Mädchen viel zu können, und was thu' ich mit all' der Wissenschaft, wenn ich znm Ball gehe! Und dann predigt er immer: echt weib­lich sein, während ich noch nicht begreifen kann, was er eigentlich damit meint. Das ist einmal seine Marotte. Dafür aber kann ich auch Alles von ihm verlangen, er versagt mir keinen Wunsch. Er hat ja aber auch furchtbar viel Geld und weiß kaum, wohin damit. Er selbst kann's nicht verzehren, denn er muß sehr vorsichtig leben. Was ihm eigentlich fehlt, das weiß ich nicht; er hat nur so seine Tage."

Und wie ist denn Deine . . . Mutter?"

O, die ist immer gut; ich wüßte kaum, wer zärtlicher gegen mich ist, er oder sie. Beide haben eine so ganz verschiedene Manier, das zu Zeigen. Er verwöhnt mich schrecklich, denn er ist immer ganz gerührt, wenn er mich ansieht; er findet mich so schön, sagt aber jedesmal, es sei eine Undankbarkeit gegen den Himmel, wenn ein schönes Geschöpf nicht auch strebe; sich nach allen Richtungen durch ein schönes Gemüth auszuzeichnen. Dann liest er mir sogar Stellen aus den Büchern vor und fragt, ob ich den Sinn auch so ganz und wahr verstehe oder in mich anfnehme. Und sie,-die Baronin, sitzt dann dabei und bekommt Thränen in die Augen, wenn sie mich ansieht. Du kannst Dir denken, wie glücklich ich bin, wenn ich ihnen einmal entwischen kann, um nicht an mir herummodeln zu lassen... Aber sprechen wir von etwas Anderem, von Dir! Ich weiß Alles; es wurde unten davon erzählt. Was wird mit Dir?"

Lola zuckte die Achsel.

Ich darf von meinen Plänen noch nicht sprechen."

Auch Zu mir nicht?"

Ich weiß ja selbst noch nicht..."

Gut also! Der Baron und seine Frau sind morgen eingeladen: ich gehe nicht mit ihnen, denn sie wollen mich erst in einer großen Gesellschaft, die sie geben werden, ihren Bekannten vorstellen. Wir können dann ungestört beisammen sein. Bis dahin soll auch eure Miethe bezahlt sein."