Heft 
(1885) 44
Seite
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Die tolle Betty von Hans Wachenhuscn.

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wisse, was er darin habe. Aber komm' und sei mir nicht so traurig; ich sorge für Alles!"

Bettina setzte sich an das Piano, fuhr in ihrer ungestümen Weise über die Tasten und ging dann träumerisch in eine Arie über. Lola war hinter sie getreten und begleitete sie anfangs schüchtern und beklommen, dann hell und laut mit ihrer glockenreinen Stimme. Bettina lauschte überrascht.

Ei, ei, Du singst! Und diese prachtvolle Stimme läßt Du nicht ausbilden?"

Woher nähme ich jetzt noch die Mittel?"

Sei nicht so muthlos! Ich sage Dir, es findet sich Rath." Damit sprang sie ungeduldig wieder auf. Beide trennten sich, als es spät ward. Lola schlief zum ersten Mal wieder ruhig bis in den nächsten Ostermorgen hinein.

Hell und schön war dieser aufgegangen. Lola erschien in ihrem Hauskleide zum Frühstück. Die Mutter war leidend. Egon sprach gar nicht mehr mit der Schwester; sie begehrte es auch nicht und erwiederte sein Benehmen in gleicher Weise.

Ihr braucht euch vorläufig keiue Sorge zu machen wegen der Wohnung; die Miethe für das nächste Quartal ist bezahlt," sagte sie, sich erhebend. Fragt nicht, durch wen," setzte sie hinzu, als ihr so erstaunte Augen begegneten.Ich habe eine gute Fee, die mir wohlwill."

Wer hat sie bezahlt? ... Ich will es wissen!" brauste Egon aus, sich erhebend und vor sie tretend.

Das wirst Du am wenigsten erfahren, wenn Tu in dem Ton sprichst!" Lola wandte ihm den Rücken.

Egon erfaßte ihre Schulter. Beider unverständiges Benehmen gegen einander ließ keine Versöhnung zu.

Ich verlange als Bruder auch zu wissen, wohin Du immer gehst; Du bleibst stundenlang in der Stadt!"

Wenn es mir beliebt, ja! Ich habe Dir am wenigsten Rechenschaft zu geben."

Ich gebiete es Dir!"

Und ich lache über Deine Anmaßung!"

Kinder, ich beschwöre euch!" bat Gabriele, zu ihnen tretend.Egon, sei nicht heftig, Lola wird mir ja Alles sagen! Unser Unglück zwingt uns, treu zu­sammen zu halten, und ist es Lola gelungen, eine Helferin zu finden, so wollen wir ihr Dank wissen!"

Ich danke für den Dank! Erfahren will ich es!" Egon verließ mit heftigen Schritten das Zimmer und schlug die Thür hinter sich zu.

Wartend stand Lola Mittags in ihrem Zimmer am Fenster und schaute über die niedere Hofmauer auf die Promenade des Thiergartens hinaus. Das Wetter war herrlich. Geputzte Festtagsmenschen ström­ten vorüber in den schönen Frühling hinaus; es war so unheimlich öde im Hause. Welch' traurige Fest­tage gegen sonst!

Endlich erlöste Bettina's Kommen sie aus ihrer Unruhe. Das Antlitz des Mädchens hatte etwas lächelnd Geheimnißvolles. Sie trug ein schwarzes Seidenkleid mit halb langen Aermeln, das ihre kleinen Füße frei ließ, sich fest um die stark entwickelten Hüften schloß und die plastisch schöne Büste hob.

Deutsche Roman-Bibliothek. XII. 22.

Sie erschien Lola in dieser Kleidung heute größer als gestern, eine wahrhaft stattliche Gestalt, zu der sie mit Erstaunen aufblickte.

Du siehst, ich halte mein Wort!" lächelte Bettina, die Hand unter die Rüsche ihres Brustausschnitts führend und ein dickes Briefcouvert hervorzieheud. Ich hätte auch mehr bringen können, denn auf Geld komnit es bei uns ja nicht an, aber es wird vor­läufig genügen. Natürlich braucht Niemand davon zu wissen; es ist ganz für Dich allein!"

Ohne ein Wort, nur mit einem Blick des Dankes versteckte Lola das Couvert in ihrem Kleid.

Ich muß nun aber leider gleich wieder fort; die Baronin- Mama will mit mir ausfahren. Uebrigens will sie Dich kennen lernen, denn ich sagte ihr von Dir. Dieser Tage gibt es eine Gesellschaft bei uns, da soll ich den Leuten vorgestellt werden. Adieu, ich sehe Dich bald!"

Bettina schien wirklich Eile zu haben. Sie küßte Lola und eilte hinaus. Diese stand einige Sekunden wie erschrocken über das Geschehene.

Ob es wirklich Geld ist?" flüsterte sie endlich. Sie zog mit bebender Hand das Päckchen hervor, öffnete es nur halb und las die großen Ziffern aus den Billets.O Gott, es muß viel sein! Aber ich wage nicht zu zählen, ich bin noch Zn unruhig! Später!" Sie schloß das Couvert wieder und be­trachtete die Initialen und die Freiherrnkrone auf demselben.

Ich kann das Leben fortab mit anderen Augen anblicken! Und auch der Mutter will ich geben . . . Aber sie wird fragen, woher ich es habe, und ich soll doch nichts sagen. Es würde ihr nicht recht sein."

Wie betäubt von Freude sank sie auf das Sopha und sann, die Stirn in die Hand legend.

Ich will gleich gehen," ries sie, in höchster Er­regung wieder aufspringend.Es ist zwar noch Festtag, aber das thut nichts; man erwartet mich ja!"

Sie nahm Hut und Mantille, öffnete die Kom­mode, zog eine der Banknoten aus dem Couvert, blickte noch einmal im Zimmer umher, schloß dann von außen die Thür und steckte den Schlüssel zu sich. Geflügelten Schrittes eilte sie die Straße hinauf.

Gabriele schaute ihr vom Fenster nach, wie sie über die Straße schritt. Sie machte sich Vorwürfe, wenn sie die Tochter anschaute. Lola's Erziehung war eine verfehlte gewesen; sie war draußen der Aufsicht ihrer Lehrerinnen überlassen gewesen, die eben nur ihre Pflicht als solche gethan; die mütterliche Hand hatte sie daheim nicht sorgsam genug geleitet. Lola's Kenntnisse waren deßhalb sehr oberflächliche geblieben; sie hatte im letzten Jahr nur an den ersten Ball gedacht, der ihr bevorstand, das Zusammenbrechen aller ihrer Träume hatte ihr Gemüth gegen die Eltern verbittert und ihre Stimmung selbst die Mutter nicht geschont, die in ihrer Trauer sich wehrlos gegen der Tochter anklagende Augen sah.

Die Suppe stand schon lange auf dem Tisch, aber Lola kam nicht zurück. Ihr Zimmer war ge­schlossen, sie hatte auf kein Rufen geantwortet. Auch Egon war sehr erregt ausgegangen. Es werde sich heute etwas entscheiden, hatte er gesagt. Und jetzt

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