Heft 
(1885) 44
Seite
1050
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Deutsche Roman-Bibliothek.

kam er endlich und zum ersten Mal wieder mit frohem Gesicht Zur Mutter Zurück.

Meine Zeichnungen und Entwürfe haben un­geheuer gefallen, Mama!" rief er, diese umarmend.

Deine Zeichnungen?" fragte sie erstaunt.

Ich sagte Dir nichts davon! Du weißt doch, daß ich ein bischen Geschick und Ideen auch für Musterzeichnungen habe. Einer meiner Schulkameraden ist der Sohn eines reichen Tapetenfabrikanten, der mich zuweilen mit in sein Etablissement nahm. Ich zeichnete bei der Gelegenheit einmal ein paar Ara­besken mit Kreide an die Wand; der Werkführer sah sie und fragte, ob ich das aus mir selber habe, damit würde ein Anderer ein gutes Stück Geld ver­dienen. Und da ich nun leider oder Gott sei Dank ein Anderer bin, setzte ich mich all' die Tage hin und zeichnete, brachte die Blätter dem Werksührer, und gestern schloß dieser mich eine ganze Stunde ein, ich solle ihm aus dem Kopf eine Renaissancetapete entwerfen. Als ich fertig war, versprach er, meine Zeichnung seinem Patron zu bringen, ich solle mir am zweiten Festtage Antwort holen. Da sieh' her, diese fünf Goldstücke hat mir Herr Reichmann selbst gegeben und mich anfgesordert, für ihn zu arbeiten. Es solle mir an Honorar nicht fehlen, wenn ich Aus­dauer habe und immer nur neue Ideen in meinen Zeichnungen seien. Ich soll jetzt jeden Tag seine Fabrik besuchen, soll einen eigenen Zeichentisch in seinen Ateliers haben, und da will er selbst dafür Sorge tragen, mein Talent auszubilden; seine Künstler seien ihm so arm an Ideen geworden, er brauche neue Kräfte!"

Gabriele, überwältigt von Stolz und Freude, lehnte die Stirn an des Sohnes Schulter.

Ob ich nun werde leisten können, was Herr Reichmann von meinem kleinen Talent erwartet, das wird sich Herausstellen, Mama; an meinem Fleiß soll's nicht fehlen. Die Fabrik macht namentlich große Geschäfte nach Hinterindien, und da wimmelt es mir schon im Kops von lauter Drachen und Un­geheuern ! ... Aber jetzt muß ich mit mir allein sein! Ich habe Geld verdient, baares, blankes Geld! Wer mir das früher gesagt hätte!"

Und als könne er das Unglaubliche selbst nicht fassen, zog er noch einmal die Goldstücke hervor, ließ sie in der Hand springen und stürmte dann zum Zimmer hinaus.

Neuntes Kapitel.

Egon litt es nicht in seinem Zimmer; mit dem ganzen beglückenden frischen Künstlerdrang, dem ein erster Wurf gelungen, ehe ihm noch eine Enttäuschung geworden, zog er in die Anlagen hinaus, in denen die Matten sich schon mit frischem Grün schmückten. Die Vögel zwitscherten in den Bäumen, die ersten geflügelten Wanderer waren bei dem zeitigen Früh­jahr schon eingetroffen, die Spatzen lärmten in den noch nackten Zweigen und in Schaaren bewegte sich die Bevölkerung in Festkleidern daher.

Egon sah die Welt plötzlich so ganz anders aus. Er, der bis dahin als Sekundaner in knabenhaftem Uebermuth Mit ihr noch in einer Art von Feind- I

seligkeit gelebt, der, gezwungen lernend und bereit­willig vergessend, gegen die ganze moderne Welt­ordnung als gegen eine große Dummheit angekämpft, er betrachtete sich plötzlich wie ein wichtiges Rad der­selben. Die Welt brauchte ihn, sie hatte förmlich aus ihn gewartet. Wenn ein Anderer das gekonnt hätte, was der große Fabrikherr von ihm erwartete, so säße er nicht von morgen ab an einem der großen Zeichentische in dem Atelier der Fabrik; er war also ein schaffendes Mitglied der Staatsgemeinschaft.

Erst bei Einbruch der Dunkelheit kehrte er zurück. Die Mutter hatte das Lager schon gesucht. Lola war noch nicht zurück, als er, seinen Groll gegen sie vergessend, zu ihr wollte, um ihr sein Glück zu verkünden. Ohnehin schon aufgeregt, denn er hatte draußen mit einigen seiner früheren Kameraden, die sich ihm freundlich gezeigt, getrunken, schoß ihm wieder die Frage in den Kopf:Was mag sie treiben?"

Der Schlüssel seines Zimmers öffnete auch das der Schwester; erhitzt betrat er das letztere. Nichts Ungewöhnliches fiel ihm auf. Ihr Schrank war ge­schlossen, in der Kommode aber steckte der Schlüssel. Er wollte nachforschen und dnrchwühlte mit der Hand die Schubladen. Dabei fiel ihm das in ein Fichü gewickelte Couvert in die Hand.

Eine siebenzackige Krone . . . bronzirte Ini­tialen . . . Er öffnete und blickte mit starrem Auge aus die Banknoten. Er zählte... ein ... zwei... Tausend. . .

So viel Geld in Lola's Besitz und die Familie darbte! Mit schwankenden Knieen sank er auf einen Stuhl.

Finster stieg ein Verdacht in ihm auf; er ver­jagte ihn wieder. Aber ein eisiger Schauder über­lief doch seinen Rücken und strich ihm wie eine kalte Hand über den Kopf und wieder strömte das Blut in demselben . . . Woher kam dieses Geld? .. . Und die siebenzackige Krone? ... Das Couvert war nicht geschlossen gewesen, es stand keine Adresse daraus, sie mußte es also mit eigener Hand in Empfang genommen haben, und von wem?

Das Couvert zusammenpressend, nahm er es, schleuderte es vor sich hin, trat mit dem Fuß darauf und stieß es in die Ecke. Es war Abend und seine Schwester noch draußen!

Mit einem Fluch trat er hinaus und warf die Thür hinter sich zu.

Kann man denn nicht arm sein, ohne ehrlos Zn werden?" knirschte er auf dem engen Flur. In seinem Zimmer traten die schlimmsten Bilder vor sein Auge.Meine Schwester!" rief er, umher­rennend.Meines Vaters Name, der meinige als der eines Betrügers gebrandmarkt, und meine Schwe­ster ... Ist es erhört, ist es denkbar! ... Er­würgen könnt' ich sie mit dieser Hand, Müßt' ich, daß es wahr sein könne!... Und die arme Mutter! Diese Schmach!"

Er lauschte, ob sie endlich komme; er faßte einen Entschluß und wieder einen andern ... Dieses Geld drüben! Wer gab einem Mädchen eine Summe wie diese!?...

Wieder eine andere Idee kam ihm, eine furcht­bare, strafende Idee! Er stürmte noch einmal