Heft 
(1885) 44
Seite
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Die tolle Betty von Hans Wachcnhufen.

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hinüber, zündete die Kerze wieder an und suchte mit glühender Stirn nach dem Couvert.

Mit den äußersten Spitzen der Finger hob er es vom Boden, trat an das Licht und hielt es über die Flamme. Eine Qualmsäule stieg vor ihm zur Decke; seine Hand war fest, sein Auge blickte weit geöffnet und starr auf die Lohe; ihm war's eine Genugthuung, die Bankscheine, die sich verkohlend vor seiner Hand krümmten, in Asche vor sich nieder­fallen zu sehen.

Er zuckte auch nicht, als die Thür sich öffnete und der Zug die Flamme bewegte. Seine Hand blieb fest, sein Auge unverwandt.

Egon, was treibst Du?" hörte er Lola's Stimme hinter sich. Das Antlitz der Schwester beugte sich über seinen ausgestreckten Arm, mit einem Aufschrei packte Lola denselben, um ihn herabzndrücken. Egon's Hand blieb fest. Er lachte laut auf, als das Licht ihm auf die Fingerspitzen brannte.

Da liegt es!" ries er, den kohlenden Nest auf den Boden schleudernd und die knisternde Lohe mit dem Fuß zertretend.Eine siebenzackige Krone und ... dreitausend Thaler in Banknoten! Jn's Fegefeuer mit Dir selbst, elende Kreatur!" Er stieß Lola zurück, und diese blickte keuchend, mit sprachlosem Er­schrecken in sein erhitztes Gesicht.

Du hast getrunken!" schrie sie.Du..." Die Stimme versagte ihr, mit gefaltet erhobenen Händen starrte sie auf die Asche am Boden.

Ja, das habe ich, aus Freude, um hier zu Hause unsere Schande zu erleben! Aber nimm Dich in Acht vor mir! Ich werde über Dich wachen, wenn kein Anderer da ist, und finde ich den geringsten Verdacht, ich vernichte Dich, wie ich das da vernichtet habe!"

Die geballte Hand noch einmal gegen sie aus­streckend stürmte er hinaus.

Lola sank zusammen. Seine That erklärten ihr die Drohungen, die er gegen sie ausgestoßen Worte, unter denen ihr Herz sich krampfhaft zusammen- gczogen. Er, den sie selbst bis jetzt als unreifen Knaben betrachtet, der mit ihr stets im Einverständniß gewesen, wenn es galt, die Eltern zu täuschen, warf sich ihr zum Vormund, zum Richter auf!

Dieser einfältige Bube!" Der Schmerz jagte sie auf, sie griff sich mit den Händen in das Haar, sie wollte aufschreien vor Zorn, aber nur ein Schluchzen brachte sie hervor. Ihre ganze Zukunft hatte dieser betrunkene Knabe zerstört, unrettbar, mit muthwilliger Hand ...

Taumelnd warf sie sich mit dem Antlitz über das Bett und brach wieder in herzzerreißendes Schluch­zen aus.

Egon, zufrieden mit sich selbst, hatte sich in­zwischen abgekühlt. Er wollte wachen, das war sein Amt, seine Pflicht jetzt. Daß die Schwester wirklich schlecht geworden, das glaubte er bei ruhigerer Ueber- legung nicht. So schnell ward man nicht schlecht; er kannte sie besser. Aber das Unglück hatte sie verbittert, und wer konnte wissen, zu was die Ent­behrung ein an die Erfüllung seiner Wünsche ge­wöhntes Mädchen zu treiben im Stande, das, von ihren Freundinnen verlassen, ohne Anhalt, in un­

verschuldeter Vereinsamung, das Bewußtsein des eigenen Werthes zu verlieren in Gefahr?

Er wollte sich in Güte ihr wieder nähern, seinen Einfluß als Bruder auf sie geltend machen; was er aber gethan, war recht, und in dem Bewußtsein schlief er ein. In seine Träume aber mischte sich die zackige Freiherrnkrone, die sich in einen garstigen Igel verwandelte, der mit gesträubten Stacheln über seine Brust kroch, und sein Schlummer ward erst ruhiger, als er sich in seinen Träumen bei Reichmann vor dem Zeichentisch sitzen sah und er das Gold klimpern hörte, das dieser ihm in die Hand gedrückt.

Zehntes Kapitel.

Mehrere Tage hindurch hatte Gabriele an ihrer Tochter eine steigende Unruhe gewahrt; aber ihre Gewalt über dieselbe war in dem Grade geschwunden, daß sie nicht zu fragen wagte. Ihr eigenes Herz ging schon um anderer Gründe willen in heftigeren Schlägen. Man hatte von Seiten des Gerichts von ihr Auskunft über den Aufenthalt ihres Gatten ver­langt; sie hatte diese nicht geben können, er sollte also wegen betrügerischen Bankerotts öffentlich ver­folgt werden.

Wie sollte sie noch den Augen der Kinder be­gegnen können, wenn diese davon erfuhren! Sie ver­brachte die Tage, die Nächte in Thränen, und keins der Kinder sah es, denn Egon war von Morgens bis Abends draußen, und Lola schien in der That weit entfernt, von der Schande zu ahnen, die auch ihr bevorstand.

Letztere, von Bettina deren Pflegeeltern vorgestellt, hatte eine Einladung zu der Soiree derselben er­halten; der eine Bankschein, den sie gerettet, war zu einem Theil verausgabt für das weiße, schöne Seiden­kleid, in welchem sie am Abend vor dem Spiegel stand, während unten schon die Equipagen vor das Haus fuhren.

Zum ersten Mal sah sie sich als Dame in dem Schleppkleide, von welchem sie so lange geträumt, die schöne jugendliche Büste, die Rundung der weißen Arme bewundernd, während sie den Blumen im Haar noch ihre richtige Lage gab.

Und so lauschte sie, mit der Toilette fertig, pochen­den Herzens auf das Geräusch der Wagen und die Zurufe ungeduldiger Kutscher, prüfte noch einmal das Ensemble und verließ in feierlichster Spannung das Zimmer.

Der Baron und seine Gattin standen inmitten des Empfangsalons. Er war jetzt bereits ein früh gealterter, dürrer Herr mit schmalem, bleichem Gesicht, scharfen, geistvollen Zügen, grauem Bart und zurück­gewichenem dünnem Haar; seine Augenlider lagen müde, halb geschlossen über den glanzlosen, aber doch noch Hellen Augen, von den Flügeln seiner Sperber­nase glitt ein scharf eingegrabener Zug um die Ecken der schmalen, farblosen Lippen. Sein ganzes Er­scheinen trug den Stempel einer Hinfälligkeit, die von festem Willen aufrecht gehalten ward.

Seine Gattin hatte in ihrem trägen Naturell eine behäbige Korpulenz gewonnen; ihr rundes Gesicht war stark geröthet, die Haut etwas narbig; es lag