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(1885) 44
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Deutsche Noman-Bi-liothek.

Seelen, die sich mit der Hoffnung trugen, wieder einmal eine Hinrichtung mitansehen und das traurige Schicksal der Delin­quenten beweinen zu können. Die Exekution griff zwar ihre Nerven jedesmal so sehr an, daß sie achtundvierzig Stunden nichts essen konnten, aber darum versäumten die Damen trotz­dem keine Gelegenheit, einen armen Teufel auf kurzem Wege in's Jenseits befördern zu sehen. Darum wurde denn auch im Hause der Frau Stadtrichterin seit drei Tagen nur ge­backen und gebraten. Die Knechte hatten Tag und Nacht alle Hände voll zu thun und unablässig lief man im Hause hin und her. Die Fremdenzimmer waren alle vollgepfropft und die Frau Richterin athmete auf. als der Ballabend endlich gekommen war: nun war wenigstens ein Ende des Echauffe- ments absehbar.

Bald füllten sich die festlich geschmückten Säle mit der vornehmen Welt des Komitats, schönen Damen in Seide und Atlaß mit kostbarem altem Schmuck, flotten Tänzern und ehr­würdigen Notabilitäten mit ernsten Mienen. Die alten Herren sammelten sich in den Spielzimmern an, wo eine kleine Pharao­bank improvisirt wurde, in allen Ehren natürlich hohe Einsätze waren streng untersagt, in der ersten Stunde wenig­stens. In den Tanzsälen vergnügte sich die Jugend, lachend, scherzend, im Wirbelreigen des Walzers, bei den verführerischen Klängen des Csardas. Wie sich Tänzer und Tänzerinnen in dem feurigen Tanze umschlangen, wie sie sich neckten, flohen und haschten! Die Fiedel der Zigeuner spielte glutvolle Weisen auf, welche alle Sinne berauschten, und der Zimbal- schläger schlug mit seinen kleinen Hämmerchen auf die tönenden Saiten seines Instruments, daß sie klagten und weinten, daß sie beinahe Funken sprühten. Und die übermüthigste von allen Tänzerinnen war die schöne Tochter des Stadtrichters, eine üppige Blondine von hoher, majestätischer Gestalt, schon zwanzig Jahre alt, wenn man sie auch mit einem zärtlichen Diminutiv noch immer Boriska nannte, die kleine Barbara. Sie lachte so fröhlich, sie tanzte so gern, sie gab nicht einmal dem Vize- notär einen Korb, der sonst so viele bekam, weil er, klein gewachsen, wie er war, den meisten Mädchen unter dem Arm passiren konnte. Man sah sie überall, die schöne Boriska, wenn sie auch nicht lange in einem Saale blieb; wenn man sie in dem einen vermißte, war man gewiß, sie in dem andern zu finden . .. Wenigstens dachte man so. Denn als es elf Uhr schlug, verschwand sie unbemerkt aus den hell erleuchteten Sälen und eilte durch einen Wintergarten neben dem Speise­saale. Dort warf sie einen einzigen Blick in den Spiegel, der ihr ein bezauberndes Antlitz mit gerötheten Wangen und leuchtenden Augen zeigte. Sie steckte die weiße Rose im Haare fester, warf ein weißes Tuch um die entblößten Schultern und eilte dann durch ein verlassenes Vorhaus über eine stille, matt­beleuchtete kleine Seitentreppe in den Garten. Es war eine stille, kalte Winternacht. Wie zwei Reihen drohender Gespenster starrten sie die alten, entlaubten Bäume an, die ihre knorrigen, schneebedeckten Arme gegen sie ausstreckten. Der Schnee knisterte unter ihren Füßen, während sie durch die Allee schritt, die zu einem im Winter verlassenen, öden, abgesperrten Pavillon führte. Sie schloß die Thüre auf, und erst nachdem sie in den dunklen Gartensaal gedrungen, warf sie einen Blick zurück auf das stolze Herrenhaus, aus dessen hell beleuchteten Fenstern rauschende Musik in den stillen, nächtigen, winterlichen Garten herabtönte. Dann schien sie ein anderes Geräusch zu hören. Sie horchte auf . ..

*

In der öden Csarda zumWasserschlauch" so nannten sie weit in der Runde den alten Jakob, der niemals Wein trank, Jakob, den Schenkwirth zechte am Abend desselben Tages ein Betyar. Es war ein prächtiger Bursche, schlank gewachsen, mit dunklen Augen und einem dunklen Schnurr­bärtchen. Er war vielleicht gar noch nicht zwanzig Jahre alt und lebte seit Jahr und Tag doch schon als Räuber in der Haide. Das heißt, er raubte nicht. Einmal hatte er das Geld in der Stadt vertrunken und verspielt, das er auf dem Markte für die Schafe seines Herrn gelöst, und so war er in die Haide hinaus geflohen, um der Strafe zu entgehen. Er raubte nicht und stahl nicht er erschien nur bewaffnet in den ver­lassenen Bauerngehöften, wenn er hungrig und durstig war. Zu solcher Zeit setzte man ihm die besten Speisen und die besten Weine vor, ja man gab ihm manchmal auch aus freiem Antriebe etwas Geld und dann zog er wieder weiter, ohne die Leute sonstwie zu attakiren. Das Leben gefiel ihm so über alle Maßen; und er nahm es nicht schwer auf, daß manchmal

die Gendarmen auf ihn Jagd machten. Ja, es schreckte ihn auch das Statarium nicht; der alte Jakob meinte, es wäre für ihn doch klüger, in das nächste Komitat zu übersiedeln, der schmucke Bursche aber lachte und sagte, er habe Csongrad zu lieb, er könne sich von ihm nicht trennen.

In dem Schenkzimmer kauerte noch eine alte Zigeunerin, die der Winter hieher getrieben hatte und die aus Mitleid ein Plätzchen am warmen Ofen erhielt. Plötzlich fiel es dem jungen Komlos Vincze ein, sich von der Alten wahrsagen zu lassen.

Komm' her, Hexe," sagte er wenig höflich,und lies mir aus der Hand das Schicksal!"

Die Alte humpelte herbei und studirte eine Weile mit wichtigthuender Miene die innere Handfläche desarmen Burschen". Dann that sie einen langen Zug aus ihrer kurzen, schmutzigen Tonpfeife und sagte:

Hüte Dich vor dem Csongrader Fasching!"

Der Bursche lachte.

Sie weiß auch schon," sagte er zum Wasserschlauch,daß das Standrecht publizirt ist. Ja, das wird ein lustiger Fasching in Csongrad werden. Mancher wird in der Lust tanzen wenn der Wind den Galgen schüttelt. Aber ich, ich fürchte mich nicht, braune Hexe."

Die Zeit rückte vor. Es war schon neun Uhr vorbei. KomlöZ Vincze erhob sich und steckte die Pistole in den Gürtel, die vor ihm auf dem Tische lag.

Wohin in so später Nacht?" fragte Jakob.

Habe noch einen weiten Weg," sagte der Betyar.Ein schönes Mädchen erwartet mich."

Gute Unterhaltung!" brummte der Schenkwirth, während er den Burschen in's Freie begleitete. Es strich ein scharfer Wind über die Haide und rauschte im Röhricht des nahen Theißufers in schauriger Weise. Der junge Mann aber schwang sich wohlgemuth in den Sattel und sprengte ohne Gruß davon.

Der Schenkwirth kam eben rechtzeitig in die Stube zurück, um die Zigeunerin dabei zu überraschen, als sie einen Zinn­löffel vom Tische in ihrer Tasche verschwinden lassen wollte.

Im Augenblicke hatte ihr der alte Jakob den Löffel ent­rissen.Das ist der Dank für die gastfreundliche Aufnahme? Hinaus, Du häßliche Hexe!" Und damit versetzte ihr der noch immer kräftige Mann einen Stoß, daß sie durch die offene Thür in den Hof hinausflog.So, nun kannst Du Dich im Schilfrohr wärmen!" sagte er, während er die Thüre hinter ihr schloß.

Die alte Zigeunerin erhob sich mühsam aus dem Schnee. Ich will Dir aber auch einheizen, altes Laster!" zischte sie kaum hörbar vor sich hin. Dann schlich sie zum Stalle und machte sich beim Stroh zu schaffen. Schließlich suchte sie das Weite und humpelte schlecht und recht auf der Landstraße dahin. Als sie sich nach einer halben Stunde umwandte, da war der Horizont bereits grell beleuchtet. Die Csarda zum Wasserschlauch brannte lichterloh und der Wind fachte die Flammen an. Die Hexe lachte heiser und schritt rüstiger weiter als vorhin.

*

Der Betyar ritt über die Haide und achtete nicht auf den Sturmwind. Er ritt mehr als zwei Stunden, bis er Szegedin erreicht hatte. Er wich der unter den obwaltenden Verhält­nissen höchst gefährlichen Stadt durchaus nicht aus, sondern betrat wohlgemuth das Labyrinth ihrer engen Gassen. In einem dunklen Gäßchen band er sein Pferd an einen Baum­stamm, schwang sich über einen Zaun, durchschritt einen Ge­müsegarten und drang durch eine kleine Gartenthüre in den Park des Stadtrichters. Er schien den Weg sehr gut zu kennen und traf pünktlich beim Pavillon ein die schöne Boriska hatte kaum zwei, drei Minuten gewartet . ..

Sie umschlang ihn mit ihren weißen Armen, als er in dem Gartensalon erschien, und er drückte sie zärtlich an sich. Sie waren einst Nachbarn gewesen und hatten als Kinder zu­sammen gespielt. Sie hatten sich lieben gelernt, als sie älter wurden, und wenn sie auch die Wege des Schicksals weit aus­einander führten, so hingen sie doch mit jugendlicher Glut an einander.

In dunkler Nacht trafen sie sich manchmal auf einige flüchtige Minuten in dem öden Pavillon, um ihre Schwüre der Liebe und Treue zu erneuern.

Ich zittere für Dich," flüsterte die schöne Boriska.Du mußt fort! Fort, bis das Standrecht wieder aufgehoben ist! Man kommt so leicht in einen falschen Verdacht! Ich will Dich bis dahin nicht Wiedersehen ..."