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Deutsche Roman-Sililiothek.
für das, was ihr darnach noch blieb; aber ihre Zukunftsplüne hatten sie gezwungen hiezu; sie mußte ja so wie so in die Welt hinaus.
Und Bettina. .. Wie sonderbar ihr diese heute vorgekommen, wie aufgeregt; wie so wild und glühend ihre Angen... Sie hatte erreichen, Bettina hatte...
Ein leises Pochen erschreckte sie. Die Freundin trat ein, wie sie in weißem Nachtgewande, dessen Schleppe sie hastig aufhob, um zu ihr zu treten. Ihr Haar war im Nacken geknotet, das Gewand nur leicht durch einen Gürtel über den Hüften gehalten. Sie löste etwas ans ihrem Taschentuch und stellte eine Flasche Champagner auf den Tisch.
„Das ließ ich von dem Diener in mein Zimmer stellen," lachte sie. „Ich liebe das Zeug da, der Gaumen ist mir so trocken und an Schlafen ist für mich nicht zu denken . . . Nicht wahr, Du kannst auch nicht schlafend"
Sie legte den Arm über Lola's Nacken und lächelte sie an. „Du hast heute viel Triumphe gefeiert ..." Sie trocknete die feuchte Stirn, griff nach einem Glase, goß von dem Champagner hinein und leerte es gierig. „Mir brennt das Herz!" Sie lüftete das Gewand über der Brust und athmete aus tiefster Seele . . . „Trink'!" rief sie, auch Lola reichend.
„Aber Du. .." Lola erhob sich und schaute groß, fragend auf sie. „Was war's mit Dir heute? Nicht wahr, Du kanntest den schönen Geiger schon?"
Bettina preßte die Hände an die Stirn.
„Zu meinem Unglück, ja!" rief sie aus. „Ich sah ihn Zuerst in Nizza; 'mein Pflegevater, entzückt von seinem Talent, zog ihn selbst in's Hans; dann sah ich ihn in München, gestern Abend hier im Konzert und heute... Ich weiß nicht, warum ich ihn nicht lieben kann, wie jede Andere ihn lieben würde; mein Herz ist wahnsinnig, seit ich ihn kenne! Kannst Du Dich dahinein versetzen? Der Blick feiner wunderbaren Augen Zwingt mich gnadenlos zu feinen Füßen und sein Spiel versetzt mich in ein Delirium, gegen das ich nichts vermag... O, ich bin sehr unglücklich, ich verliere den Verstand seit heute! Was hat es mich gekostet, ihm gegenüber alle die Aufmerksamkeiten dieses Walbeck zu ertragen, dem ich rettungslos verschrieben zu sein fürchte, während ich nur ihn, nur Camillo lieben kann! . . . Aber weißt Du," fuhr sie mit verstörtem Antlitz auf, „weißt Du, was mir noch mehr diese Liebe zur Qual macht?" Sie ergriff leidenschaftlich Lola's Hand. „Der Gedanke, die Ueberzeugung, daß alle Frauen dasselbe Gefühl haben müssen, wenn ich ihre Augen so verloren, so voll traumhaften Entzückens auf ihn gerichtet sehe! O, das macht mich toll! Ich möchte ihn schützen, vertheidigen gegen sie, ihn in ihrer Gegenwart umarmen und ihnen Zurufen: ,Er ist mein! Wagt es nicht, ihn mir zu entreißen!'. . . Aber..." Ihre Arme sanken in den Schooß, ihr Kinn auf die Brust, „es ist ja nicht nur der Wahnsinn, mit welchem ich ihn liebe, es ist überhaupt Wahnsinn, daß ich ihn lieben muß! Nicht allein, daß ich mir nicht verhehlen darf: ein Mann wie dieser, dem die Welt so viel Begeisterung entgegenträgt, feit er vor wenigen Monden erst wie ein Komet im Sturm seine Bahn begonnen, wie kann
ihm, dem alle Herzen entgegen schlagen, das eine genügen, und kann dieses eine das einzige sein, dessen Liebe er erwiedert? — Meine Pflegemutter besteht darauf, daß ich. diesen Walbeck heirathen soll; ich sehe die Stunde kommen, wo auch der Baron, der mich bisher in Schutz genommen zu haben scheint, seinen Widerstand aufgibt und dann..."
Sie grub die Hände in das Haar, starrte Rettung suchend zur Decke, sprang auf und legte Lola zitternd vor Erregung die Hand auf die Schulter.
„Ich wäre zu einer That fähig! Aber zu welcher? Ich bin nicht ihr Kind! Die Baronin, nachdem sie mich mit Thränen beschworen, ihren Rath zu befolgen,'sagte mir, sie wisse, was in mir vorgehe, und heut Abend hat sie wohl Alles errathen. Ich solle nicht so thöricht sein, sagte sie, zu glauben, der Baron sei bereit, mich dem ersten Besten in die Arme rennen zu lassen. Er habe mir ein Vermögen von vorläufig dreimalhunderttausend Thalern bestimmt, dazu noch eine jährliche bedeutende Rente ans den Revenuen seines Majorats und endlich Alles, was er hiuterlassen werde, wenn ich seinem Willen folge, und ihr Wille werde schließlich der seinige sein. Bis jetzt habe er sich freie Hand hinsichtlich meiner Vorbehalten, ich habe auf nichts zu rechnen; wenn ich widerspenstig sei, könne ich sogar auf das Aergste gefaßt fein. Bin ich ihnen also nicht mit gebundenen Händen überantwortet, und was wäre ich als armes, verstoßenes Geschöpf einem Manne wie Camillo, dem die reichsten und glänzendsten Weiber zu Füßen liegen? ... Was daraus werden soll, ich weiß es nicht! Ich weiß nur, daß ich nicht würde leben können ohne ihn... Aber arm! Mein Gott!" Sie rang die Hände. „Ich sehe mich ja noch, als ich an jenem Morgen auf der Treppe der armen Frau saß, da sie kamen, die reichen Leute, um mich zu besehen, wie man eine Sklavin in Augenschein nimmt, die man kaufen will. Ich hätte ihnen eine Unart in's Gesicht sagen mögen, aber ich wollte klug sein. Und was sie darnach Alles an mir gethan, haben sie es nicht für sich selber gethan, um eine Tochter Zn haben? Hätten sie mich genommen, wenn ich häßlich gewesen wäre? ,Wir sind reiche Leute/ sagten sie; ,wir kaufen uns ein Kind, so schön, wie wir eins finden können!' und da gaben sie tausend Thaler für mich! Meinst Du, daß ich so viel werth war?"
Lola hörte mit Besorgniß die steigende Bitterkeit in Miene und Ton.
„Aber Du könntest doch mit Deinem Loose zufrieden und glücklich sein!" wagte sie zu sagen. „Tausende, ja Millionen Mädchen würden Dich beneiden."
„So wissen sie nicht, was sie thnn! Was habe ich von einem Glück, wenn es nicht das ist, das ich begehre! Was nützt es einem Blinden, wenn man ihm das schönste Bild schenkt! Ich bin nicht so wie die anderen Mädchen, das gestehe ich gern. Die Natur hat nur einmal so heißes Blut gegeben; meine Pflegeeltern haben mich verwöhnt; was ich begehrte, wurde mir schon in der Pension gegeben, obgleich die gute Frau von Schüller jedesmal einen moralischen Sermon daran knüpfte, und jetzt, da ich gerade das verlange, was ich haben muß zu meinem Glück, wird es mir versagt! Walbeck mag ein ganz guter