1071
Die tolle Betty von
Mensch sein, aber sür die Anderen, nicht für mich; und ich schwöre es, er wird namenlos unglücklich werden durch mich! Ich nehme ihn auch, wenn sie mich dazu Zwingen, ich muß ihn ja nehmen, denn ich will dieses Geld haben, über das ich ganz allein verfügen soll; ich will reich sein, wie es stets mein Traum gewesen, will unabhängig von dieser! Pflege- eltern sein, unabhängig von Allen! Walbeck soll und wird nie Gewalt über mich bekommen!"
Drohend hatte sie sich in ihrer ganzen Gestalt vor Lola ansgerichtet; eine Walküre stand sie vor dieser, mit dem im Lichtschein knisternden, wallenden Haar über Schultern und Nacken, den kräftigen Weißen Arm aus denn Nachtgewande hebend, unheimliches Feuer in den Augen.
„Aber wie Du so erschrocken dasitzest!" rief sie plötzlich und mitleidig lächelnd ans das eingeschüchterte Mädchen herabblickend. „Nicht wahr, so hast Du mich noch nicht gekannt? Aber Die da unten kennen mich auch noch nicht! Wie ein Lamm, das ein Kind am Bändchen führt, sitze ich da, wenn der Baron mir von der Mission des Weibes vorschwatzt... furchtbar langweilige Redensarten, über die ich einschlasen möchte! Mit Ergebung höre ich die einfältigen und eintönigen Lehren und Ermahnungen an; aber warum, meinst Du, unterwerfe ich mich der Qual? Um reich zu werden und selbstständig trotz der Ketten, die ich mir vielleicht auferlegen muß, die ich aber zerreiße wie dieß hier..."
Sie packte das schöne weiße Perlenband, bas am Abend schon ihren Hals geschmückt, zog es unter der Rüsche ihres Nachtgewandes hervor und zerriß es, daß die kostbaren Perlen über den Boden rollten. Spöttisch lachend warf sie auch den Rest in ihrer Hand von sich, und das schien sie abzukühlen.
„Lola," bat sie in plötzlich sanftem Ton, „ich kam mit einer Bitte! Du darfst mich fragen: wie lerntest Du Camill Balsado kennen?... Du sollst es hören!" Sie setzte sich zu ihr und schlang den Arm um sie. „In Nizza war's, wie ich Dir sagte. Er entzückte Alles; die Frauen schwärmten. Er wohnte in unserem Hotel. Mein Pflegevater, der ihn einen wieder anferstandenen Paganini nannte, bat ihn, in der Abschiedssoiree mitzuwirken, die er seinen Bekannten gab.
„Ich dachte mit süßem Erschrecken den Tag hindurch daran, daß er kommen werde. Und er kam. Er verfolgte mich den Abend hindurch heimlich mit seinen magischen Augen, vor denen ich zitterte. Wie ein glühender Strom ging es durch meine Adern, wenn unsere Blicke sich begegneten. Er gewahrte es und ward unaufmerksam gegen mich ... aus Barmherzigkeit, ich errieth es! Ich war beleidigt, entrüstet über diese Gnade und mied ihn mit kalter Verachtung. Aber sie that mir selber Weh; ich wollte ihn hassen. Ich war ja die Tochter des Hauses, der er Alles schuldig!
„Als man ihm seine Geige brachte und Alle in athemloser Stille erwartend dasaßen, wünschte mein Pflegevater, ich solle ihn auf dem Piano begleiten. Ich weigerte mich und erklärte, ich sei unfähig zu einer solchen Ausgabe. Ihm, wie er mit seiner Geige erwartend auf mich schaute, warf ich einen Blick voll Wuth hinüber. Er lächelte bittend, und wieder
Hans Wachenhuscn.
meinte ich, es geschehe ans Mitleid, denn ich mußte blaß geworden sein wie eine Leiche; ich fühlte es.
„Der Baron quälte mich, auch unsere Hausfreunde umringten mich; sie wußten, daß es mir nicht allzu schwer sein würde, ich selbst traute es mir zu, aber ich wollte nicht. Ich sah jetzt, wie er trauernd zu Boden blickte, als fühle er, was mich zu dieser Weigerung bestimmte. Es lag eine Abbitte in seinem Gesicht... Da trat ich entschlossen an das Piano. Mit dein tiefsten Ernst schaute ich zu ihm aus, seinen Wink, seine Jntensionen erwartend, und jetzt lag ein unverkennbarer Dank in seinen Augen.
„Als wir geendet, nahm er, ehe ich es wehren konnte, meine Hand und küßte sie respektvoll. Mir ward es zu heiß im Salon. Mein armes Herz schrie nach Luft, nach Befreiung aus einem unerträglichen Bann; meine Pulse tobten. Ich stahl mich ans der Gesellschaft und weinend floh ich in den von Heliotropen überrankten kleinen Gartenpavillon am Meeresstrande.
„Die Wellen rauschten so magisch an's Ufer, als träumten auch sie, der Mond warf tausend glitzernde Lichter auf das Meer; ich schaute den Fischerbooten nach, deren Ruder große Phosphorbogen in die Flut gruben. Mein Auge hing an der brennenden Pinien- srncht an der Spitze der Boote, welche die Fische lockte. Ich konnte nicht denken, mein Gehirn war so wüst. Da trat er zu mir, überrascht, wie es schien, mich iu der wundervollen Einsamkeit zu finden. Auch unsere Augen trafen sich wie zwei Brände, aber ich ertrug seinen Blick. Ich weiß nicht, was ich that... Er sprach Zu mir mit einem Wohllaut der Stimme, der allein mich schon berauschte. Er erzählte mir, er liebe die Deutschen, er rede ihre Sprache, die seine Mutter, eine deutsche Sängerin, die ehedem in Neapel an San Carlo engagirt, ihn als Kind schon gelehrt. Sein erster Weg als Künstler führe ihn nach Deutschland, der Heimat der Musik.
„Frage nicht, wie es geschah, ich selbst weiß es nicht: meine Hand lag in der seinen; ich vergaß mich selbst, die Welt, ich sah nur ihn, und erst als seine Lippen die meinigen berührten, als ich mein Herz zusammengeschnürt fühlte durch den Druck seines Armes, erwachte ich und floh in's Hans zurück.
„Ich floh!" wiederholte sie, das Haupt schüttelnd. „Heißt es fliehen mit nach ihm ausgestreckten Armen, nach ihm rufendem Herzen? Wir sahen uns heimlich wieder. Neue Triumphe warteten seiner in Deutschland. Er reiste. Ich folgte ihm und wir sahen, uns in München. Aber dort schon loderte die Eifersucht in mir auf. Die Frauen überhäuften ihn mit Blumen, mit Lorbeeren, die zärtlichsten Briefe flehten nur um einen Gnadenblick aus seinen göttlichen Augen. O, schon dort empfand ich, welche Höllenqual es ist, einen Mann zu lieben, der, ausgestattet mit allen äußeren Vorzügen, die ein Weib verführen ! können, auch mit einen: die Sinne hinreißenden Talent begabt ist, das uns Zwingt, ihm täglich neue Kränze zu flechten, wehrlos ihm zu Füßen zu sitzen unter dem unwiderstehlichen Zauber seiner Töne!"
Bettinas Augen leuchteten in fieberhafter Glut, während sie sprach; ihr Arm war von Lola's Nacken > herabgesnnken, ihr Athem schien unter dem Druck be- z ängstigender Gedanken zu stocken.