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Deutsche Noinan-Biüliothek.
„Gestern Abend sah ich ihn im Konzert. Niemand hatte ihn bisher gekannt, nur sein Rus war wie ein Frühlingssturm hieher gedrungen. Ich wußte, wie dieser Sturm auch die Zuhörer Hinreißen werde; ich sah nicht auf ihn, als er erschien, nur auf die Frauen und Mädchen umher; von Jeder Lippen, aus Jeder Augen flog ihm Bewunderung entgegen, und wie das hier innen schmerzte und doch mit erdrückendem Stolz mein Herz erfüllte! Es war eine Stunde der Qual und der Freude; ich wagte keine der Frauen anzublicken, als ich mit der Baronin das Konzert verließ; ich hätte sie Alle hassen müssen. Ich schloß die Nacht auch kein Auge; ich wußte, daß der Baron ihn eingeladen. Auch am heutigen Abend war es mir nur vergönnt, eine flüchtige Minute unbeachtet mit ihm zu sprechen. Er verlangt, mich allein zu sehen, und hier bei Dir soll es morgen Abend geschehen. Er wird kommen; nicht wahr, Du wirst mir helfen? Sein Bleiben hier ist nur wenige Tage; mir bricht das Herz, wenn ich denke, daß fein Adlerflng ihn fo schnell von hier fortreißt; aber er gebietet nicht über sich, er muß sich dem Willen seines Impresario fügen, der ihn durch Deutschland schleppt. Was ans mir wird, wenn er geht, aus mir, die ich hier fcstgebannt... ich weiß es nicht, es ist mir gleichgültig; ich heirathe Walbeck, wenn man mich Zwingt, aber Segen wird das ihm nicht bringen, nein, nimmermehr! Es wird ein Unglück geben, ein großes Unglück. Ich reiße ihn mit mir, ihm nach, gleichviel wohin... in's Verderben!"
Wieder versank sie, die Hände auf die Kniee stützend, in sich; ihre Brust keuchte, ihre Angen schlossen sich, als fühle sie ein Grauen gegen die Gebilde, die sich ihr anfdrängten. Und plötzlich hob sie die Arme, packte über den heftig pnlsirenden Schläfen das Haar, warf es in den Nacken und richtete trotzig die Stirn auf.
„Zu was ich Dir das Alles erzähle! Du verstehst mich doch nicht! Mich soll auch Niemand verstehen!" Sie sprang auf und streckte gähnend, wie sich erholend aus innerem Krampf, den Oberkörper. „Und jetzt gute Nacht, Lola! Ich wollte mir nur bei Dir den Kummer vom Herzen reden; ich mußte Jemand haben, der ihn anhörte. Ich muß schlafen gehen, denn morgen, das weiß ich, habe ich eine große Unterredung mit der Frau Mama zu bestehen, die sicher heute Alles errathen haben wird, und läßt mich der Papa im Stich, mögen sie Beide selbst verantworten, was geschieht!"
Ehe Lola von der stürmischen Umarmung zu sich kam, war sie hinaus. Zu ihrem neuen Erschrecken aber stand — Egon vor ihr, dem Jene die Thür in die Hand gegeben haben mußte.
Er war bleich, athemlos von schnellem Heraufsteigen, verwirrt durch die Erscheinung, die ihm in der Thür entgegen getreten und mit dem ausgelösten Haar seine Wange gestreift hatte.
„Was wollte dieser späte Besuch?" fragte er mit gepreßter Stimme. „Es ist Mitternacht vorüber!" Betroffen schaute er auf die über der Stuhllehne hängende weiße Ballrobe, aus die langen Handschuhe, die über den Tisch hingestreuten Blumen. „Und was soll das da? Hat Jene sich bei Dir ausgekleidet?"
Beide standen noch immer ans gespanntem Fuß; schon sein spätes Eintreten verdroß sie, noch mehr die barsche, herrische Frage.
„Du würdest wohl thun, zu Bett zu gehen; laß wenigstens mir die Ruhe!" Sie wandte ihm den Rücken.
„Zn Bett zu gehen! Kannst Du schlafen, wenn Du das hier gelesen? Ich fand es gegen Abend aus meinem Zeichentisch; Einer, der es schlecht mit mir meinte, und an Denen fehlt es nicht in der Fabrik, hatte es mir roth angestrichen ans meinen Platz gelegt. Da lies, und dann geh' künftig in die vornehmen Gesellschaften!"
Er hatte ein Zeitungsblatt hervorgeholt, legte die Hand gebietend auf ihre Schulter und reichte ihr das Blatt über dieselbe.
Lola starrte mit ermüdeten Augen auf die gezeichnete Stelle und Egon las:
„Moritz Goldmann, öffentlich verfolgt alsWechsel- sälscher und betrügerischer Bankerottier. . . Alle Behörden werden ersucht. .. Erkennst Du Deinen Vater in dem Signalement?"
Lola war schwankend zurückgetaumelt; er überließ es ihr selbst, sich aufrecht zu halten, und steckte das Blatt in die Tasche zurück.
„Was hilft jetzt all' mein Fleiß, meine Arbeit!" stöhnte er, mit von Schweiß gefeuchtetem Haar ans den Stuhl sinkend und die weiße Robe mit dem Ellenbogen zerdrückend. „Wenn Einer nicht mit Ehren arbeiten kann, so nützt alles Wollen nichts, und vor der Schande wird mich auch Herr Reichmann gegen meine Neider nicht schützen können. Gott ist mein Zeuge," knirschte er, den Kopf senkend, „daß ich es gut gemeint, aber ich bin zu jung noch, um auch mit diesem Feinde, der Schande, den Kamps schon anfnehmen zu können!"
Er erhob sich. Lola, die ihn zitternd und rathlos angeschaut, sah, daß er wankte.
„Ich habe getrunken, ja!" murmelte Egon vor sich hin, die Hand noch auf der Stuhllehne. „Es war nicht viel; der Gram über diese Schmach hat mir das Gehirn betäubt. Aber schlimmer wird's morgen früh, wenn der Tag, die Sonne auf unsere Schande... Ich habe beschlossen, in die Fabrik zu gehen, als sei nichts vorgefallen, wenn aber..." Seine Zähne knirschten. „Gott bewahre Jeden, mir ein Wort davon zu sprechen, ich weiß nicht, zu was ich im Stande sein würde!"
Müden Schrittes und gesenkten Hauptes schwankte er zur Thür. In dieser wandte er sich noch einmal mit leichenblassem Gesicht zurück.
„Sehe ich die vornehmen Lumpen da morgen noch bei Dir, so werfe ich auch sie in's Feuer! Verlaß Dich daraus!"
Die Thür schloß sich hinter ihm. Lola stand mit verhülltem Antlitz da.
„Das nach einem so glücklichen Abend!... Aber es braucht Niemand zu wissen, daß ich seine Tochter!... Es hindert mich ja nichts, einen andern Namen..." Sie seufzte, sah auf. „Und wenn ich heimlich fortginge, würden auch sie nicht einmal wissen ... Aber Bettina zwingt mich ... Also nicht morgen schon, ich würde sie erzürnen... Es muß ja doch sein!