Heft 
(1885) 45
Seite
1073
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Oie tolle Betty von Hans Wachenhuj'en.

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Die Mutter soll und darf uichts wissen, es muß Alles insgeheim geschehen, und ist es geschehen, wird sie vergeben! Egon hat eine Beschäftigung, auch ich werde mein Brod finden."

Das tief herabgebrannte Licht versank erlöschend im Leuchter. Schluchzend wand sich Lola auf dem Kissen. Die Trennung von den Ihrigen, die ihr so leicht erschienen, drückte ihr das Herz ab; doch es mußte so sein, und heimlich, schon Egon's wegen; später konnten sie Alles erfahren...

Zwölftes Kapitel.

Die Verfolgung Moritz Goldmanu's durch die Staatsanwaltschaft hatte auch den letzten Faden zer­schnitten , durch welchen die unglücklichen Zurück­gebliebenen noch mit der Welt zusammeuhingen.

Als Egon am nächsten Morgen, selbst in nervösem Zustande, der Mutter in schonender Weise davon sagte, fand er diese vorbereitet. Der Vater habe noch kein Zeichen von sich gegeben, hatte sie den Kindern gesagt, und doch mußte sie in irgend welcher geheimen Kommunikation mit dem Flüchtling stehen.

Bleich und zitternd, nicht wagend, dem Auge des Sohnes Zu begegnen, flüsterte sie vor sich hin: So hat uns denn das Grab der Schande ganz ver­schlungen!" Dann die Stirn an des Sohnes Schulter legend, preßte sie ihn an sich.Vergib ihm," bat sie mit Thränen in den Augen,wie ich ihm vergeben muß! Euch, arme Kinder, wird ja die Welt nicht leiden lassen für das, was ihr nicht verschuldet!"

Mit schwerem Herzen, ohne den Muth, irgend einem Derer iu's Äuge zu schauen, die ihm be­gegneten, betrat Egon die Fabrik.

Im Atelier fand er das Personal bereits an­wesend. Man dankte seinem Gruß nicht. Neichmann begegnete ihm. Er grüßte ihn freundlich. Er meinte es wohl gut mit ihm, aber seine Leute waren nicht geneigt, ihm sein Unglück zu verzeihen. Schweigend vermied man ihn. Als Egon am Mittag das Atelier verließ, nahm er das trostlose Gefühl mit sich, daß seines Bleibens in der Fabrik nicht sein werde; der Chef derselben konnte ihn nicht schützen gegen die Mißachtung Derer, die ihn vom ersten Tage ab als einen Eindringling betrachtet.

Zerfahren, mit bleicher, vergrämter Miene er­schien er bei dem kargen Mittagsmahl. Die Mutter wagte nicht zu fragen; Lola hatte wiederum erklärt, sie speise bei einer Freundin.

Egon bemerkte nicht, daß die Wohnung fast gänz­lich während des Morgens ausgeräumt worden, denn man speiste in einem kleinen Hinterzimmer. Auf Gerichtsbefehl war Alles abgeholt bis auf das Un­entbehrlichste, das ihr die Großmuth der Gläubiger gelassen, und Lola hatte sich weinend entfernt, als man auch in ihr Zimmer eingedrungen. Nicht ganz friedlich ging es auch eine Treppe tiefer im Haufe zu. Baron Oppenstein lag in Folge Ueberanstrengung auf dem Divan des großen Wohnzimmers. Er war verstimmt. Während Bettina noch schlief, hatte seine Gattin beim Frühstück wieder da angefangen, wo sie,

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sich in ihr Himmelbett vergrabend, nach Mitternacht abgebrochen.

Ihr war es nicht entgangen, daß zwischen Bettina und dem jungen Virtuosen ein heimliches Verständniß bestehe; was ihr bis dahin an dem Wesen des Mädchens nicht begreiflich gewesen, erklärte sich ihr mit Schrecken. Sie wußte jetzt, weßhalb dasselbe an­fangs nicht von Nizza fortgewollt, dann nach München verlangt und dort wieder zur Abreise nach hier gedrängt.

Sie kannte Bettina's leidenschaftliches Wesen, aber sie errieth auch, weßhalb sie dieses ihrem Pflegevater verheimlichte und mit so viel Geduld sich seinen er­müdenden Belehrungen fügte. An ihrem, der Pflege­mutter, Wohlwollen schien zu ihrem Schmerz dem Mädchen wenig gelegen, und er mit seiner Schwäche für weibliche Schönheit wäre nicht fähig gewesen, ihr zu zürnen, selbst wenn sie ihn dazu zwang.

Heute noch wollte sie ihm die Augen öffnen; das Lebensglück des Mädchens verlangte es.

Dieser Geiger spielt mit dem Herzen des un­besonnenen Kindes!" rief sie, sich in Uebereile an­kleidend.Ich würde nicht dagegen sein, wenn ich nicht gesehen hätte, wie das arme Ding unter seinen Blicken sich förmlich anbetend wand! Ihm ist sie doch nur ein Spielzeug, das er vernichten würde ohne Gnade und Erbarmen! Ich kenne diese Künstler­naturen mit ihren kalten und egoistischen Herzen, ich weiß, mit wie schnöder Gleichgültigkeit und Nicht­achtung sie über Diejenigen unseres Geschlechts dahin schreiten, die schwach genug sind, vor ihrem Triumph­zuge niederzuknieen. Sie buhlen um die Verehrung der Frauen, mißbrauchen die unselige Gewalt, die ihnen ihr Talent über sie gibt, und das Weib, das ehrlich und liebend ihnen seine Hand gereicht, duldet tausend Qualen durch ihre Eitelkeit... Er soll Alles wissen, was ich seit gestern weiß. Walbeck und kein Anderer, und so eilig wie möglich!"

Oppenstein war uun gestern Abend ohnehin schon in eine mißliche Lage gerathen. Er mit all' seinen schönen Erziehungsgrundsätzen hatte nicht hindern können, daß Bettina, der Königin des Abends, nament­lich von den Offizieren in der ausgesprochensten Weise der Hof gemacht ward, daß sie sich, zuweilen sogar in wilder Betäubung, in einem Sinnenrausch, der ihm unziemlich erschien, ihrem Naturell hingab und sich erst wieder fand, als die Ermüdung sie zwang, sich Ruhe zu gönnen. Er hatte auch in ihren Augen einen Glanz, zuweilen sogar ein Lodern und Phosphorleuchten bemerkt, das ihn tief verstimmte, namentlich wenn er in der Miene seiner Frau die spottende Frage Zu lesen glaubte:Was nützt Dir jetzt Alles? Das Mädchen will wie Alle seine Jugend genießen!"

Pack' nur alle Deine Erziehungskunst und die schönen moralischen Bücher ein!" sagte sie beim Frühstück.Es ist gekommen, wie ich es voraus­gesagt! Aber Du hörst ja nicht! Du bist immer der Enthusiast und wirst die Welt und die mensch­liche Natur doch nicht anders machen; Du Zwingst mich, meine ruhigeren und vernünftigeren Ansichten durchznsetzen, namentlich da, wo Du positiv gar uichts verstehst. Du siehst in Bettina immer nur das

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